Süddeutsche Zeitung

Frauenfußball:Mädels, gehts raus und spielts

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Nach dem kurzen Hype zur Frauenweltmeisterschaft 2011 geht es mit dem Mädchenfußball in Bayern wieder bergab. Selbst hochklassige Vereine wie der FC Forstern müssen um Spielerinnen werben, weshalb Expertinnen und Experten eine bessere Förderung verlangen.

Von Alena Specht

Es wird langsam dunkel. Nebelschwaden ziehen über den Fußballplatz des FC Forstern. Der Rasen ist nass und beim Ausatmen bilden sich Wolken. Es liegt dieser ganz spezielle Fußballplatzgeruch in der Luft. Flutlicht. Heute Abend trainiert die U17 Mädchenmannschaft. Mitten auf dem Spielfeld steht Trainerin Marion Reiser und gibt lautstark die Kommandos. Sie ist mehr so der ehrgeizige Typ, eine die selbst mittrainiert. Schließlich hat sie die A-Lizenz - wenn Marion Reiser wollte, dann könnte sie auch eine Bundesligamannschaft trainieren.

Sie steht aber lieber hier am Dorfrand von Forstern, 30 Kilometer östlich von München, wo der Ball schon mal im Maisfeld landet, wenn ihn ihre Mädels verschießen. Marion Reiser legt Wert auf Disziplin: Das Training beginnt um Punkt 18.30 Uhr. Die Spielerinnen begrüßt sie alle mit Handschlag. Die 18 Mädchen im Alter zwischen 13 und 16 Jahren machen gerade Sprungübungen. Die Trainerin beobachtet sie mit wachsamem Blick: "Verbesserungswürdig" lautet ihr Urteil. Alle müssen zurück auf die Startlinie: "Das machen wir gleich noch mal."

Hier in Forstern wird hart trainiert, neben Spaß geht es vor allem auch um Leistung: Das Team spielt in der Landesliga-Süd, steht an der Tabellenspitze. Für ihre Auswärtsspiele fahren die Mädchen bis nach Passau, Augsburg oder Regensburg. Ein Team wie jedes andere auch - schließlich ist Mädchenfußball schon lange nichts Ungewöhnliches mehr.

Nach der Frauenweltmeisterschaft 2011 war in Deutschland ein regelrechter Hype ausgebrochen, und immer mehr Mädchen schlüpften in das Fußballtrikot. Doch inzwischen hat sich der Trend wieder umgekehrt. Eine Vergleichsstudie der Universität Würzburg aus den Jahren 2011 bis 2018 belegt den Einbruch. Waren in Bayern 2011 noch 1305 Mädchenteams bis zu den U17-Juniorinnen gemeldet, so ist ihre Zahl laut Statistik des Deutschen Fußballbundes (DFB) auf 712 Teams gesunken - ein Rückgang von mehr als 40 Prozent. Bayern zählt neben Württemberg zu den größten Verlierern aller Landesverbände. "Eine Sportart, die fast jedes zweite Team verliert, ist in sehr großer Not", sagt Heinz Reinders, Inhaber des Lehrstuhls Bildungsforschung und Leiter der Studie.

Konkret heißt das: Spielerinnen fehlen, Spiele fallen aus, Mannschaften werden abgemeldet oder zusammengelegt. Sogar in Forstern gibt es Probleme: "Wir hatten die letzten Jahre enorme Schwierigkeiten, genug Spielerinnen zu finden", sagt Reiser. Der Leiter der Damen- und Mädchenmannschaften beim FC Forstern, Hans-Jürgen Lukschanderl, wünscht sich eine zweite Mannschaft für die U-17 Mädchen, aber "es ist schwer eine Mädchenmannschaft aufrecht zu erhalten". Immerhin ist der Kader mit 20 Spielerinnen derzeit gut besetzt. Mädchenmannschaften in der Nähe sind rar. Und bei den gegnerischen Teams sieht die Situation oft noch schlechter aus. "Da sind ziemlich große Unterschiede", sagt Trainerin Reiser. Erst letztens wurde ein Spiel gegen Passau abgesagt. "Die Gegner hatten nur sechs Spielerinnen."

Aber was ist die Ursache für die Misere in einem Land, dessen Frauennationalmannschaft schon einmal auf Platz eins des internationalen Rankings stand? Nicht nur Reinders findet, dass das auch mit der unzureichenden Förderung zu tun hat. Seine Studie belegt, dass vor allem in Nordbayern die Vereine mit der Förderung des Mädchenfußballs immer unzufriedener werden. "In strukturschwächeren Gegenden fehlt es einfach an finanzieller Förderung und an den nötigen Strukturen." In den Augen von Reinders hat der DFB "das Thema schlicht vernachlässigt". Er glaubt auch, Fußball sei für viele noch eine männliche Sportart.

"Es wird dort investiert, wo Geld zu machen ist, und das ist hierzulande der Jungenfußball"

Der Hype von 2011 sei von den Verbänden zu wenig genutzt worden. "Es wird dort investiert, wo Geld zu machen ist, und das ist hierzulande der Jungenfußball." Andere Länder haben es Reinders zufolge dagegen geschafft, auch Frauenfußball als Mittel zur Kommerzialisierung zu nutzen. In England, Spanien und Frankreich werde wesentlich mehr investiert, dort seien auch die Stadien voller als in Deutschland, wenn es um Frauenfußball geht. Marion Reiser ist der gleichen Meinung. "Viele nehmen Frauenfußball nicht ernst", sagt sie. "Es gibt immer noch große Vorbehalte." In ihren Augen müsse Frauenfußball in den Medien mehr Beachtung finden: "Es macht was aus, zu sehen, dass man es als Frau im Fußball zu was bringen kann."

Und dann ist da noch die Sache mit den Vorbildern. Bei den Männern gibt es mehr als genug davon: Robert Lewandowski, Marco Reus, Timo Werner - solche Stars kennt jeder. Aber Lena Sophie Oberdorf vom SGS Essen? Auch Alina vermisst Vorbilder im Frauenfußball. "Fußball wird als Jungensport gesehen. Viele Eltern schicken ihre Töchter eher zum Tanzen oder Turnen", sagt sie. Die 15-jährige Mittelfeldspielerin wechselte vor einem Jahr zu den Juniorinnen des FC Forstern. Fußball spielt sie seit ihrem fünften Lebensjahr, aber bis zum Wechsel nur in Jungenmannschaften. "Mädchen, die gut werden wollen, müssen in jungen Jahren bei den Buben spielen", sagt Reiser. Nur so könnten sie lernen, sich durchzusetzen.

Beim FC Forstern kicken die Mädchen in den unteren Altersklassen mit den Buben. Mit Übertritt in die U17 wechseln sie dann in die Mädchenmannschaft. "Irgendwann sind die Jungen einfach körperlich stärker, da kann man nicht mehr mithalten", sagt Alina. Mädchen, die zusammen mit Buben spielen - was sich zunächst gut anhört, birgt aber ein Problem: Reine Mädchenmannschaften finden nur sehr schwer gute Spielerinnen, zumal auch noch die Verbände den Rat geben: Mädchen, die in die Auswahl kommen wollen, sollten so lange wie möglich mit Buben trainieren.

Eine verzwickte Situation. Reinders fordert, dass Mädchen von Beginn an in eigenen Mannschaften spielen sollten. Reiser plädiert hingegen für gemischte Teams bei den Kleinen. Einig sind sie sich darin, dass es mehr qualifizierte Trainer geben sollte. Einfach nur Papa und Mama am Spielfeldrand, das reicht nicht.

Trotzdem: Fußball macht Spaß. Das sieht man den Spielerinnen in Forstern an, zumal sie auch noch eine kompetente Trainerin haben, um die sie andere Vereine beneiden könnten. Um 20 Uhr ist das Training zu Ende, ebenso pünktlich wie es begonnen hat. Auf dem Nebenplatz machen sich inzwischen die beiden Damenmannschaften warm. Fußball in Forstern ist eben Frauensache. Die Herrenmannschaft kickt in der aktuellen Saison übrigens in der Kreisklasse herum. Das kann schon mal zu Neid führen, wenn die Damen - weil höherklassig - auf dem besseren Platz spielen. Wie an diesem Samstag gegen FC Stern München, Vorletzter in der Tabelle. Alina ist auch wieder dabei. Irgendwann, sagt sie, wolle sie mit Fußball Geld verdienen. Vielleicht wird sie selbst einmal zum Vorbild für andere.

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Quelle:
SZ vom 26.10.2019
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