Naturschutz:Der Fischotter gefährdet ein Weltkulturerbe

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Gefräßiger Räuber: Ein Fischotter vertilgt bis zu 1,2 Kilogramm Fisch am Tag. (Foto: Silas Stein/dpa)

Die Wiederausbreitung des kleinen Raubtiers beschert Teichwirten manchmal bis zu 90 Prozent Verluste. Die Fischer fordern deshalb, bestimmte Tiere "entnehmen" zu dürfen. Selbst Naturschützer denken inzwischen über einzelne Abschüsse nach.

Von Christian Sebald, Vilsbiburg

Franz Kühn erinnert sich noch genau, wie es war, als er das erste Mal mit dem Fischotter zu tun bekommen hat. "Es ist jetzt vielleicht 15 Jahre her, da lagen an den Ufern eines Fischteichs von uns immer große, tote, angefressene Karpfen herum", sagt Kühn, der im oberpfälzischen Tirschenreuth eine weitläufige Fischzucht und den Traditionsgasthof Schwan betreibt. "Wir haben erst gar nicht daran gedacht, dass es ein Fischotter gewesen sein könnte, der sich da bedient hat. Sondern eher einen Fischadler verdächtigt." Die nördliche Oberpfalz und Oberfranken sind schließlich die einzigen Regionen in Bayern, wo die dunkelbraun und weiß gefiederten Greifvögel mit den vergleichsweise langen, schmalen Flügeln brüten.

"Aber als wir später den Teich abgefischt haben, da waren ein Drittel weniger Karpfen drin, als wir eingesetzt hatten", berichtet Kühn. "Da war uns klar, dass das nur ein Fischotter gewesen sein kann. Denn so viele Fische holt sich kein Fischadler." Heute passiert es Kühn immer wieder, dass er in einzelnen Teichen Verluste von 90 Prozent und mehr hat. "Die gehen zum allergrößten Teil auf den Otter", sagt er. "90 Prozent, das ist doch der Wahnsinn." 10 000 bis 15 000 Euro Schaden im Jahr beklagt er durch den gefräßigen Räuber. So wie Kühn ergeht es vielen Teichwirten in der Oberpfalz und in Niederbayern.

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Aus Sicht der Naturschützer ist die Rückkehr des Fischotters zuallererst ein großer Erfolg. So hat es der Chef des Landesbunds für Vogelschutz (LBV), Norbert Schäffer, erst an diesem Samstag vor ungefähr 300 Fischzüchtern und Anglern wieder betont. Schäffer war zu Gast auf dem Landesfischereitag im niederbayerischen Vilsbiburg. Das einzige Thema dort: Die Wiederausbreitung des Fischotters in Bayern und die Probleme, die er mit seiner Gier den Teichwirten und immer öfter auch den Anglern macht. Schließlich vertilgt so ein ausgewachsener Fischotter 1,5 Kilo Fisch am Tag. "Der Fischotter gehört selbstverständlich zur Natur in Bayern", hielt LBV-Chef Schäffer den Teichwirten und Anglern entgegen. "Seine Rückkehr ist deshalb ein Gewinn."

Vor 30 Jahren war der Otter in Bayern praktisch ausgerottet

Vor etwa 30 Jahren war Lutra lutra, wie der wissenschaftliche Name des Fischotters lautet, praktisch ausgerottet in Bayern. Nur noch an einigen Bächen und Flüsschen im Bayerischen Wald und der nördlichen Oberpfalz gab es einige wenige Exemplare der streng geschützten Art. Inzwischen haben sich die pfeilschnellen Schwimmer und ausdauernden Taucher aber wieder deutlich ausgebreitet. In der ersten offiziellen Studie für den Freistaat schätzen die Otter-Experten Steven Weiss und Tamara Schenekar den Bestand in Ostbayern auf ungefähr 650 Exemplare. Bayernweit könnten es demnach etwa tausend Stück sein. Praktiker wie Kühn sind sich indes sicher, dass es bereits deutlich mehr sind.

In der Oberpfalz sprechen die Teichwirte und Angler von einer "Bestandsexplosion". Sie rechnen fest damit, dass sich die Raubtiere in absehbarer Zeit wieder in ganz Bayern ausgebreitet haben. Inzwischen hätten auch die Teichwirte im mittelfränkischen Aischgrund immer öfter massive Probleme, die Gegend um das oberbayerische Rosenheim sei ein anderer "Hotspot". Einzig in Schwaben und Unterfranken sei es noch vergleichsweise ruhig, heißt es beim Landesfischereiverband (LFV).

Für den LFV-Präsidenten Albert Göttle steht fest, "dass der Fischotter in Bayern nicht mehr vom Aussterben bedroht ist". Sein strenger Schutzstatus sei in "in keiner Weise mehr gerechtfertigt", er müsse "dringend angepasst werden". Aus Göttles Sicht ist es "höchste Zeit, die Entnahme von Fischottern zu ermöglichen." LFV-Vizepräsident Alfred Stier fordert gar, dass Fischotter, die den Teichwirten Probleme machen, in 200 Metern Umkreis um den jeweiligen Fischteich entnommen werden dürfen. Mit "Entnahme" meinen Göttle und Stier natürlich den Abschuss.

Albert Göttle hört nach zehn Jahren Amtszeit als Präsident des Landesfischereiverbandes Bayern auf. (Foto: LFV)

Die Fischer und Angler begründen ihre rigorose Forderung nicht nur mit den wirtschaftlichen Schäden durch die Otter. Sondern außerdem mit dem Schutz der einmaligen Kulturlandschaft in der Oberpfalz und dem Erhalt der Artenvielfalt. Die Oberpfälzer Teichwirtschaft blickt auf eine Jahrhunderte alte Geschichte zurück. Der Betrieb des Tirschenreuther Fischzüchters und Gastwirts Kühn etwa ist seit mindestens 500 Jahren im Besitz der Familie. Das ist der Grund, warum die Unesco die Oberpfälzer Teichwirtschaft zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt hat. "Wenn aber immer mehr Teichwirte ihren Betrieb wegen es Otters aufgeben, ist das Weltkulturerbe in Gefahr", sagt Göttle.

Ähnlich verhält es sich aus Sicht des LFV-Präsidenten mit der Artenvielfalt. Denn der Fischotter macht sich auch über Nasen, Huchen und andere seltene Flussfischarten her. Und er ist sogar eine Gefahr für die extrem bedrohte Flussperlmuschel, sagt Göttle. Die braucht für ihre Ausbreitung nämlich die Bachforelle als Wirtsfisch. Göttles Schlussfolgerung: Wenn nun der Fischotter die Bachforellen dezimiert, sinken zugleich die Überlebenschancen der Flussperlmuschel. "Wir können nicht zuschauen, bis es für Nasen, Huchen und Bachforellen zu spät ist", sagt Göttle. "Alle Wildtiere in Bayern sind gleich viel wert. Es muss Schluss sein mit dem überbordenden Schutz symbolträchtiger Tierarten, wenn dies absehbar zu Lasten anderer gefährdeter Tierarten geht."

CSU und Freie Wähler fordern schon seit Jahren Abschüsse

CSU und Freie Wähler haben sich die Forderung der Teichwirte und Angler schon seit mindestens fünf Jahren zu eigen gemacht. Angesichts der rasanten Ausbreitung des Fischotters und der von Jahr zu Jahr steigenden Schäden werden nun offenbar auch die Grünen und sogar die Naturschützer nachdenklich. So erklärte der Münchner Grünen-Landtagsabgeordnete und langjährige Bund-Naturschutz-Funktionär Christian Hirneis auf dem Landesfischereitag, das er sich "in Schwerpunktregionen eine Entnahme des Fischotters vorstellen" könne - vorausgesetzt, die Art sei dort tatsächlich nicht mehr gefährdet. Schließlich wolle er "beides erhalten, den Fischotter und die Teichwirtschaft".

Auch LBV-Chef Schäffer schließt Ausnahmeregelungen für eine Regulierung in besonders betroffenen Regionen zumindest nicht mehr kategorisch aus. Er fordert aber zunächst die Festlegung von Präventionsmaßnahmen und Entschädigungszahlungen an die Teichwirte. Zugleich verlangt er, "die regelrechte Dämonisierung des Fischotters zu beenden". Der LFV müsse sich auf die wirklichen Gründe der Artenverluste in Bächen und Flüssen besinnen. Das sind, so sagt Schäffer, die vielen Wehre und Wasserkraftwerke, die den Fischen die Wanderwege zu den Laichgründen versperren, Rückstände von Dünger und Agrarchemie, aber auch eingeschwemmtes Erdreich, die immer häufigeren Dürreperioden, die Bäche versiegen lassen, und zugewanderte Raubfische wie die Schwarzmeer-Grundel.

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