Süddeutsche Zeitung

Engpass bei Feuerwehrschulen:"Zehn Plätze Bedarf, zwei gekriegt"

  • An den bayerischen Feuerwehrschulen fehlen Plätze für Ehrenamtliche, die Lehrgänge machen müssen.
  • Die Fluktuation der Mitglieder bei den Freiwilligen Feuerwehren ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, daher müssen mehr Menschen angelernt werden.
  • Bei den Verantwortlichen wächst die Sorge - denn zwar stehen Gerätschaften bereit, doch viele können sie nicht bedienen.

Von Johann Osel, Passau/München

Es gibt diese Tage, an denen bei der Feuerwehr Passau unerfreuliche Nachrichten zu überbringen sind. Bei den ehrenamtlichen Mitgliedern zeigt sich das in enttäuschten Gesichtern und Kopfschütteln, auf Führungsebene sind es Sorgenfalten. Immer dann nämlich, wenn die Rückmeldungen über die bewilligten Lehrgänge an den staatlichen Feuerwehrschulen eintreffen. Der Passauer Stadtbrandrat Andreas Dittlmann liest vor: Technische Hilfeleistung, die oft Verkehrsunfälle betrifft, aber im Grunde für viele Rettungseinsätze wichtig ist: "zehn Plätze Bedarf, zwei gekriegt"; der Lehrgang zum Drehleitermaschinisten: 18 gemeldet, drei zugeteilt. Und so weiter.

"Die Schere zwischen Ausbildungsbedarf und den tatsächlich zugeteilten Plätzen geht weit auseinander", sagt Dittlmann. Gerade mit Blick auf die Technik könne das keiner verstehen: Da fördere der Freistaat die Anschaffung der Geräte massiv - "doch was nützt es, wenn mir die Leute fehlen, die sie bedienen können." Da spiele der "weiche Faktor Motivation" gar nicht mal die Hauptrolle: Dass man einem, der Freizeit opfert für den Dienst an der Gesellschaft, sagen muss, er darf sich nicht fortbilden. Vielleicht klappt's ja in den nächsten Jahren, irgendwann mal.

Die Kapazitäten an den drei staatlichen Feuerwehrschulen Würzburg, Regensburg und Geretsried in Oberbayern sind ein Frustthema in der Szene der ehrenamtlichen Retter. 310 000 Bürger in Bayern sind aktive Feuerwehrleute - und die Anforderungen an sie steigen. Beispiel: Wenn früher die Feuerwehr an einen Unfallort kam, fand sie Diesel oder Benziner vor; heute sind es vielleicht Elektro-, Hybrid-, Wasserstoff- oder Erdgasautos, mit anderen Erfordernissen. "Jeder verlangt professionellste Hilfe von uns", so Dittlmann. "Deshalb brauchen wir auch professionellste Ausbildung - die gewährleisten die staatlichen Schulen mit ihren Übungsanlagen am besten." In Zeiten von Mobilität und Flexibilität steige zudem die Fluktuation - und damit fortlaufend der Ausbildungsbedarf.

Das sieht auch der Landtagsabgeordnete Alexander Muthmann so: Trotz "anerkennungswürdiger Bemühungen" des Innenministeriums, die Kapazitäten zu erweitern - "die ehrenamtliche Feuerwehrfamilie darf erwarten, dass der Staat als engagierter Dienstleister auftritt!" Der FDP-Politiker hat sich intensiv des Themas angenommen, er hat Gespräche mit Funktionären in seiner ostbayerischen Heimat geführt. Auch das Angebot ist demnach mitunter unpassend: Im Kreis Regen werde etwa ein Defizit bei Gruppenführerlehrgängen beklagt, stattdessen bekomme man Drohnenkurse angeboten. Leidtragende seien Feuerwehrleute in dritter und vierter Reihe - sie würden immer wieder zurückgestellt, könnten keine Führungsaufgaben übernehmen. Muthmann war früher Landrat von Freyung-Grafenau, damals noch bei den Freien Wählern, er hat einen guten Draht in Kommunen. In den vergangenen Jahren wurde das Thema im Landtag häufiger aufs Tapet gebracht, etwa durch den Nürnberger SPD-Abgeordneten und Berufsfeuerwehrmann Stefan Schuster. Die Bredouille betrifft ganz Bayern.

Hört man sich im Freistaat um bei Feuerwehren, vergleicht mancher den Zuschlag für bestimmte Kurse gar mit einem "Lottogewinn" - also ähnlich wahrscheinlich. Dabei wird das Angebot der Schulen selbst, fachlich wie atmosphärisch, nur gelobt. "Tipptopp, besser geht's nicht", erzählt ein Aktiver aus Oberbayern. Eine Datenbasis hat Muthmann nach Anfrage an die Staatsregierung erhalten. Wie aus den Zahlen hervorgeht, wurden 2018 für alle Bezirke und Lehrgänge 30 bis 50 Prozent der Bedarfsmeldungen bewilligt. In Kernlehrgängen wie Gruppen- und Zugführer, die Voraussetzung für die Übernahme von Funktionen sind, werde aber eine Deckung des Bedarfs von rund 70 Prozent erreicht, schrieb das Ministerium. Zusätzliche Nachfrage durch Fluktuation sieht das Haus von Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sehr wohl. Viele Feuerwehrleute seien nicht mehr in der Lage oder willens, ihre Freizeit dauerhaft in hohem Maße bei der Feuerwehr zu verbringen. Hintergrund seien berufliche Anforderungen, aber auch der gesellschaftliche Wandel. Zum Beispiel "Väter interpretieren ihre Rolle wesentlich stärker im Kreis der Familie". Das betreffe unter anderem die Leitungsebene, bis zum Kommandantenlehrgang.

"Wer früher als Kommandant gewählt wurde, hat das fast sein Leben lang gemacht", sagt Dittlmann, der als Stadtbrandrat der Kommandant für alle Wachen und Stadtteilfeuerwehren in Passau ist. Inzwischen machten das viele eine Periode lang, vielleicht zwei, mehr selten; auch weil der Verwaltungskram Überhand nehme. In Passau fußt der Fortbildungsbedarf noch auf Besonderheiten: Einerseits ziehen Aktive oft, wenn sie Familien gründen, zwecks Hausbau ins Umland. "Für die Feuerwehr in der Stadt sind sie dann verloren. Wir fangen beim Nächsten wieder von vorne an." Anderseits sind da die Studenten - "heilfroh" sei man, diesen Nachwuchs zu haben. Aber sie gehen halt meist wieder weg. "In einer Feuerwehr wie Passau brauche ich eine möglichst breit aufgestellte Mannschaft, am besten können alle alles", sagt Dittlmann. 50 000 Einwohner, Bundeswasserstraße, Autobahn, Klinikum, unzählige Schulen, hier könne viel passieren. "Und da sollte es nicht sein, dass ich keinen Drehleitermaschinisten im Einsatz habe."

Das Ministerium versichert, der Freistaat investiere verstärkt in die Feuerwehrschulen. So entstünden in Geretsried und Würzburg weitere Zimmer für Kursbesucher, auch seien die Lehrgangskapazitäten von 46 000 im Jahr 2011 auf aktuell 65 000 gestiegen. Für die kommenden Jahre sei eine weitere Vergrößerung des Personalkörpers angedacht, ein "Masterplan" widme sich nötigen Baumaßnahmen bis 2028.

Da das alles offenbar kaum die Nachfrage bedient, schwirren viele Ideen durch die Feuerwehrszene, samt Gegenargumenten: Dass Lehrer in die Fläche gehen sollten für Kurse; was aber wohl nur bedingt Sinn ergibt, mangels Infrastruktur zum Üben. Dass Aktive als Multiplikatoren Kurse absolvieren sollen und daheim dann andere ausbilden; was jedoch, wie Dittlmann sagt, nie dasselbe Niveau haben könne, auch habe "die Belastung fürs Ehrenamt irgendwo Grenzen." Und Einiges werde heute längst dezentral geschult. Dass man Spezialseminare zugunsten von "Basics" aufgeben solle; doch wo beginnt Expertentum genau? Muthmann wünscht sich "effizienteres Management" der Platzvergabe und Bedarfsmeldung. Der Ablauf an sich ist aber klar geregelt: Ausbildungspläne am Ort, dann schrittweise Meldung von Kreis- bis auf Landesebene, Verteilung der Plätze nach bestimmten Schlüsseln - und retour. Bis zur Entscheidung in der einzelnen Wehr, welchen Aspiranten man nun schickt.

"Wir melden immer brav den konkreten Bedarf, da ist keine Taktiererei dabei. Aber man verzweifelt schier, was am Ende rauskommt", sagt Dittlmann. All die Ideen klingen für ihn ein wenig nach "Herumdoktern". Womöglich müsse man mal die große Frage stellen: "Brauchen wir einfach eine weitere staatliche Feuerwehrschule?"

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SZ vom 09.09.2019/vewo
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