Amphibienrettung:"Selbst Allerweltsarten könnten zu einem seltenen Anblick werden"

Erdkröte

Diese Erdkröte ist gerettet, zumindest für diesen Sommer: Eine ehrenamtliche Helferin hat sie wohlbehalten über eine Kreisstraße getragen.

(Foto: Florian Fuchs)

Ehrenamtliche Naturschützer helfen bei der alljährlichen Rettungsaktion Kröten, Molchen und Fröschen, unbeschadet an die Laichplätze zu kommen. Dabei zeigt sich, dass die Amphibien-Bestände rückläufig sind.

Von Florian Fuchs

Auf 700 Metern Länge haben Ehrenamtliche in Ettenbeuren im schwäbischen Landkreis Günzburg einen Fangzaun aufgebaut. Alle 20 bis 30 Meter sind Eimer in den Boden eingelassen. Jutta Reiter schreitet von Eimer zu Eimer und sammelt die Kröten ein, die auf der Wanderung zu ihrem Laichgewässer hineingeplumpst sind. Um zum Gewässer zu kommen, müssten die Erdkröten eine Kreisstraße überqueren, das kann leicht tödlich enden. Also helfen Reiter als Ehrenamtskoordinatorin der Kreisgruppe des Bundes Naturschutz (BN) und ihre Leute den Tieren über die Straße.

Die alljährliche Amphibienrettung ist die größte ehrenamtliche Naturschutzaktion des Bundes Naturschutz in Bayern: Jahr für Jahr helfen etwa 6000 Menschen im Freistaat bis zu 700 000 Kröten, Fröschen und Molchen über die Fahrbahnen, an etwa 450 Straßenabschnitten. Ein "Drama biblischen Ausmaßes" sei es, wenn man Straßen betrachte, auf denen nur noch Krötenmatsch zu sehen sei, sagt Thomas Frey, BN-Regionalreferent für Schwaben.

Doch es geht dem Bund Naturschutz nicht nur um die Rettung der Amphibien. Sie seien auch, erläutert BN-Landesbeauftragter Martin Geilhufe, ein wichtiger Indikator für den Zustand des Artenschutzes in Bayern allgemein: Seit zwei Jahren bekommen die Naturschützer von den freiwilligen Helfern die Rückmeldungen, dass immer weniger Kröten gefunden werden. "Selbst Allerweltsarten wie Erdkröte oder Grasfrosch könnten zu einem seltenen Anblick werden", warnt Geilhufe.

19 Amphibienarten gibt es im Freistaat, doch die Bestände sind rückläufig. Derzeit finden sich 13 der 19 heimischen Arten in der Roten Liste gefährdeter Arten. Besonders dramatische Rückgänge, heißt es in einer BN-Broschüre, gab es in den vergangenen Jahren bei Gelbbauchunke, Kreuzkröte und in großen Landschaftsteilen beim Laubfrosch. Selbst so häufige Arten wie der Teichmolch oder der Grasfrosch mussten demnach zuletzt in die amtliche Vorwarnliste aufgenommen werden. Schuld sind Flächenfraß, Landschaftszerschneidung durch immer neue Straßen, Zerstörung von Feuchtgebieten und Monokulturen in Land- und Forstwirtschaft sowie Insekten- und Unkrautvernichtungsmittel - und natürlich die Klimakrise. "Wir verzeichnen in Bayern massiv mehr ausgetrocknete Wasserläufe, die als Lebensraum für Amphibien dringend notwendig wären", sagt BN-Landesbeauftragter Geilhufe.

Um den Rückgang der Amphibienbestände wissenschaftlich zu fassen, schiebt der Bund Naturschutz vermehrt Forschungsprojekte an. Der ausgesprochen negative Verlauf der vergangenen beiden Jahre basiert vor allem auf Erfahrungswerten der freiwilligen Helfer, die teils bereits seit Jahrzehnten bei der Krötenwanderung helfen. "Stellenweise ist alles normal, stellenweise berichten die Helfer aber von dramatischen Rückgängen", sagt Geilhufe.

Um das Phänomen wissenschaftlich fundiert anzugehen, sollen die Ehrenamtlichen verstärkt Daten liefern. Auch ist gemeinsam mit dem Landesbund für Vogelschutz ein Forschungsprojekt zu Feuersalamandern ins Leben gerufen worden, der Bund Naturschutz veranstaltet darüber hinaus regelmäßige Amphibienfachtagungen mit Experten. In Polen, berichtet BN-Regionalreferent Frey, gebe es naturnahe Landschaften, in denen um den Faktor 100 bis 1000 mehr Amphibien lebten als im Freistaat. Weniger Kröten, Salamander, Molche und Frösche im Freistaat zeigten aber auch Veränderungen in der Fauna insgesamt. Das ist es, was die BN-Experten als "Indikator für den Artenschutz" bezeichnen: Durch das Insektensterben haben Amphibien weniger Nahrung. Gibt es weniger Amphibien, finden aber auch Störche oder Säugetiere weniger Fressen.

Am Amphibienübergang in Ettenbeuren werden von Jutta Reiter und ihrem Team Jahr für Jahr 1500 Erdkröten, 50 Grasfrösche und etwa 20 Bergmolche über die Straße getragen. Auf der einen Seite der Kreisstraße befindet sich ein Mischwald, in der kalten Jahreszeit vergraben sich die Kröten dort. Auf der anderen Seite des Asphalts wartet mit einem Bachlauf und einem Tümpel der Sommerlebensraum.

Die in Bayern noch häufigen Erdkröten wandern bis zu zwei Kilometer. Andere Arten wie Laubfrösche sind sogar bis zu zehn Kilometer weit unterwegs - sie überqueren mitunter mehrere große Straßen und sind demnach besonders auf Hilfe angewiesen. Allerdings können die ehrenamtlichen Helfer nicht annähernd alle Amphibien sammeln, auch weil manche Arten wie die Gelbbauchunke sich erst im Sommer auf die Wanderschaft machen. Da sind die Fangzäune, die wie jetzt zu den ersten warmen Tagen im Jahr aufgebaut werden, schon lange wieder abmontiert.

Der Geschäftsführer der BN-Kreisgruppe Günzburg, Bernd Kurus-Nägele, berichtet, dass es Amphibienübergänge in seinem Landkreis gebe, an denen die Helfer bis zu 60 Prozent weniger Amphibien fänden als in früheren Jahren. Thomas Frey sagt deshalb, dass all die Hilfe der Ehrenamtlichen immer nur "eine Krücke" sei: "Viele Amphibien können wir vor dem Straßentod retten. Aber das hilft langfristig nur, wenn auch ihre Lebensräume erhalten werden." In Kaufbeuren zum Beispiel sind inzwischen in einem wichtigen Lebensraum für Amphibien drei Ecken mit Wohnbebauung zugestellt. Nur noch ein Korridor ist frei für die jährliche Wanderung - und den will die Stadt nun auch für eine Bebauung freigeben.

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