Brief von Erwin Huber an die SZ-Redaktion„Die nominelle Opposition im Parlament konnten wir mühelos niederstimmen – die SZ erschien jeden Tag neu!“

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Erwin Huber hat es nicht immer leicht gehabt mit der SZ. Aber er ist nicht nachtragend.
Erwin Huber hat es nicht immer leicht gehabt mit der SZ. Aber er ist nicht nachtragend. (Foto: Friedrich Bungert)

Der frühere CSU-Chef Erwin Huber war in seiner langen politischen Karriere oft Thema in der Berichterstattung der „Süddeutschen Zeitung“ – nicht immer zu seiner Freude. Zum Jubiläum haben wir ihn um eine Erwiderung gebeten.

Von Erwin Huber

Liebe SZ,

Glückwunsch zur publizistischen Bilanz in 80 Jahren. Die SZ zeigt keine Altersmüdigkeit. Das nährt beste Hoffnungen für die Zukunft.

SZ, CSU und ich persönlich feiern zeitnah diesen hohen Geburtstag. Auf der zwar nicht gemeinsam, aber parallel gelaufenen Wegstrecke gab es viele Begegnungen, gelegentlich Kollisionen und unvermeidbare Aufgeregtheiten; einige davon bleiben für immer in Erinnerung.

Jubiläum
:Die SZ wird 80

Zeit, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Was waren die größten Fehlprognosen in der SZ? Was denkt die älteste Leserin über ihre Zeitung? Und was haben Essiggurken und Demenzuhren mit der Redaktion zu tun? Hier finden Sie alle Stücke zum runden Geburtstag.

Meine geliebte Heimat Niederbayern ist nicht originäres Verbreitungsgebiet der SZ. Wohl deshalb war mein (Vor)Urteil in den ersten Jahren eher von einem situations-adäquaten Feindbild geprägt, wobei „linksliberal“ noch eher ein Kosewort für die Zeitung aus München war. Als sucht-zentrierte (sz) Kampfeinheit gegen FJS war sie aber auch willkommenes Aufputschmittel für hiesige CSU-Wahlkämpfe. Willy Brandt und SZ brachten die Stimmung unserer Wähler oft auf den Siedepunkt; die Grünen gab es ja noch nicht!

Ein Saulus-Paulus-Erlebnis im Verhältnis zur SZ gab es für mich nicht, eher eine tatsachen- und personenbezogene Annäherung. Als Mitarbeiter in der Pressestelle des Finanzministeriums und als „einfachem“ Abgeordneten wurde mir die Zeitung aus der Sendlinger Straße zur Pflichtlektüre, die Begegnung mit ihren Redakteuren alltäglich. Das führte zu einer Ent-Dämonisierung. Nähe zerstört Feindbilder!

Die SZ hat durch ihren wachsamen Blick auf politische Entscheidungen sowie auf innere Abläufe und nichtöffentliche Vorgänge die CSU begleitet, beleuchtet und angespornt.

Die SZ nahm ich über Jahrzehnte als die eigentliche Opposition im Lande und im Landtag wahr. Permanent störte sie unsere auf absoluter und vermeintlich unerschütterlicher Mehrheit fußende selbstbewusste Politik, die schließlich das moderne Bayern erfunden hat. Die nominelle Opposition im Parlament konnten wir mühelos niederstimmen – die SZ erschien jeden Tag neu!

Unsere akten- und wahlbasierte Positionierung als Primus bekam damit immer wieder neu ein Doping, das uns zu Höchstleistungen anspornte. Um das blumige Narrativ in nüchterne Sprache zu bringen: Die SZ hat durch ihren wachsamen Blick auf politische Entscheidungen sowie auf innere Abläufe und nichtöffentliche Vorgänge die CSU begleitet, beleuchtet und angespornt. Das ist zwar ihre verfassungsgemäße Bestimmung, aber die Qualität der Arbeit verdient – bis auf wenige Ausnahmen – Respekt und Hochachtung im Namen der Demokratie. Die CSU darf das nicht so laut und deutlich sagen, um den guten Ruf der SZ nicht zu beschädigen! Aber anlässlich eines Familienfestes kann man auch das eigentlich Unaussprechliche bekunden: Bayern wäre ohne SZ weniger interessant, weniger aufregend, weniger liberal, ein Weniger!

Berichte und Kommentare werden von Menschen geschrieben, nicht von Maschinen. Wenn ich jetzt einige Namen nenne, entspringt das ausschließlich meinen persönlichen Erinnerungen und Begegnungen und nicht einem journalistischen Prädikat, das mir gar nicht zusteht. Im Landtag bin ich in den Achtziger- und Neunzigerjahren vor allem Michael Stiller und Egon Scotland begegnet, Letzterer ist in Erfüllung seiner journalistischen Pflicht auf dem Balkan ums Leben gekommen. Hans Holzhaider hat mich in meiner Zeit als Generalsekretär gepiesackt wegen angeblicher Tarnlisten der CSU bei Kommunalwahlen.

Später kamen Sebastian Beck, Katja Auer, Wolfgang Wittl und Andreas Glas dazu, um uns den Alltag zu versüßen. Alle Landtagskorrespondenten haben natürlich versucht, in bayerisch-jovialer Weise interne Informationen zu bekommen und vertieft Einblicke zu erhalten. Manchem aus unseren Reihen ist erst dann ein Licht aufgegangen, als die journalistische Verarbeitung schwarz auf weiß vorlag. Dabei gehört faire, fundierte und korrekte Arbeitsweise zum Standard der SZ.

Für kurze Zeit das Spitzentrio in Bayern: Die damalige CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer, Ministerpräsident Günther Beckstein und CSU-Chef Erwin Huber bei der Fränkischen Fastnacht in Veitshöchheim 2008. Das Foto wurde 2008 zum Pressefoto des Jahres gekürzt. 
Für kurze Zeit das Spitzentrio in Bayern: Die damalige CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer, Ministerpräsident Günther Beckstein und CSU-Chef Erwin Huber bei der Fränkischen Fastnacht in Veitshöchheim 2008. Das Foto wurde 2008 zum Pressefoto des Jahres gekürzt.  (Foto: Oliver Lang/dpa)
Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit 2008 übernahm Horst Seehofer beide Spitzenämter. Erwin Huber musste ihm als CSU-Chef weichen. Von Huber ist der Spruch überliefert, er werde noch auf dem Sterbebett die Hand heben, um gegen Seehofer zu stimmen.
Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit 2008 übernahm Horst Seehofer beide Spitzenämter. Erwin Huber musste ihm als CSU-Chef weichen. Von Huber ist der Spruch überliefert, er werde noch auf dem Sterbebett die Hand heben, um gegen Seehofer zu stimmen. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Ob trotz oder wegen der Distanz Niederbayerns zur SZ – es haben besonders kluge Köpfe aus Ostbayern den Weg in deren Redaktion gefunden. Gründe waren weder Exil noch Flucht, als Win-win würde man das heute deklarieren. Heribert Prantl hat seine Herkunft aus dem Kelheimer Bereich nie verleugnet und seine bayerisch-christliche Erstprägung auch in den Weltstädten München und Berlin nicht verloren. Annette Ramelsberger aus Vilshofen, dem Ursprungsort des Politischen Aschermittwochs im berühmten Wolferstetterkeller, musste nicht wie weiland Emerenz Meier aus dem Bayerischen Wald nach Chicago auswandern zur beruflichen Befreiung, sondern nur in die Landeshauptstadt, die ihr, zur Krönung ihres Berufslebens, vor Kurzem sogar den Publizistikpreis verlieh. Und was wären baierische Sprache und Kultur in der SZ ohne Hans Kratzer aus Velden an der Vils? Er ist praktisch der Lordsiegelbewahrer des Bayerischen im Weltblatt.

Seit achtzig Jahren ist die SZ scharfäugige Beobachterin und kritische Begleiterin der Landespolitik und vor allem der CSU. Eine historische Leistung. Damit die Redaktion dennoch nicht abhebt, lege ich Wert auf die Feststellung, dass das Scheitern von Max Streibl, Edmund Stoiber, Erwin Huber und Günther Beckstein sowie von Horst Seehofer nicht die SZ vollbracht hat, sondern im Endeffekt die CSU selbst. Inwieweit die SZ dabei Beihilfe geleistet hat, lasse ich an dieser Stelle offen. Jedenfalls, so meine ich, war es bis vor Kurzem nicht denkbar, dass die Regierungschefs in Berlin und München (!) – wie geschehen – ihre Pressesprecher aus der SZ-Redaktion rekrutieren.

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Ich verdanke einem Realschullehrer, dass er uns Jugendlichen Augen, Ohren und Herzen geöffnet hat für die Demokratie. Er hat uns auch das Grundgesetz vermittelt, darunter die Pressefreiheit, und wir haben brav genickt zu dieser Selbstverständlichkeit. Erst heute, mehr als sechzig Jahre danach, verspüre ich Tag für Tag den unbedingten Stellenwert speziell dieses Grundrechts. Autoritäre Systeme und rechtsradikale Strömungen sind pausen- und hemmungslos dabei, politische Institutionen auszuhöhlen und zu unterwandern und immer geht damit einher, die Pressefreiheit einzuschränken. Beleidigungen, Pöbeleien und Kampfbegriffe wie „Lügenpresse“ dürfen Journalisten nicht hindern, mutig für Demokratie, Freiheit und Rechtsstaat einzustehen. Vielleicht war die SZ noch nie so wichtig wie heute!

Glück auf!

Erwin Huber

Erwin Huber stammt aus Reisbach in Niederbayern und saß für die CSU von 1978 bis 2018 im Landtag. In der Partei hatte er viele Ämter, von 1988 bis 1994 war er Generalsekretär. Von 1994 bis 2008 gehörte er der Staatsregierung an, als Staatskanzleichef, Wirtschaftsminister und Finanzminister. Nach dem Rücktritt von Edmund Stoiber wurde Huber 2007 CSU-Chef und hatte zusammen mit Ministerpräsident Günther Beckstein die verheerende Niederlage der Partei bei der Landtagswahl 2008 zu verantworten. Er trat als CSU-Chef zurück. Nach seinem Ausscheiden aus dem Landtag studierte er Philosophie an der Hochschule der Jesuiten in München. Nächstes Jahr wird er 80 Jahre alt.

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