Erneuerbare Energien:Die Wende hinkt in Bayern

Erneuerbare Energien: Im Jahr 2020 trugen erneuerbare Energien, wie aus Windkraft oder Photovoltaik, in Bayern 53 Prozent zur Stromerzeugung bei. Langfristig zu wenig, heißt es aus der Wirtschaft.

Im Jahr 2020 trugen erneuerbare Energien, wie aus Windkraft oder Photovoltaik, in Bayern 53 Prozent zur Stromerzeugung bei. Langfristig zu wenig, heißt es aus der Wirtschaft.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Eine Studie der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft zeigt, dass bei den Erneuerbaren zu lange geredet und zu wenig gemacht wurde - mal wieder. Gelobt wird aber der Windkraft-Vorstoß von Bundeswirtschaftsminister Habeck.

Von Maximilian Gerl und Johann Osel

Die Verkündung des Neuen beginnt mit einem Verweis auf das Alte. Vor zehn Jahren präsentierte die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) erstmals ein "Monitoring der Energiewende", Fazit damals: Die Wende hinkt. Am Mittwoch veröffentlichte der Lobbyverband nun den zehnten Jahresbericht - erneut stelle man in Sachen Energiewende "weitgehend" Stillstand fest, sagt Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. "Wir haben zu lange geredet und zu wenig gemacht."

Zu langsam, zu verzagt, zu verkopft: Der Zustand der Energiewende wird gerne mit solchen Attributen versehen. Dabei drängt die Zeit. Die letzten Kernkraftwerke gehen Ende des Jahres vom Netz, der Kohleausstieg soll am besten 2030 gelingen und Bayern gar bis 2040 klimaneutral sein, so hat es Ministerpräsident Markus Söder (CSU) vergangenen Sommer versprochen: "Erneuerbare Energien müssen Vorfahrt haben." So steht es in Söders Regierungserklärung.

Folgt man dem neuen VBW-Bericht, benötigt diese Vorfahrtsstraße aber zusätzliche Streifen, damit es beschleunigt vorangeht. Die Studie führte Prognos durch, die Daten stammen aus dem Corona-Jahr 2020. Demnach trugen damals erneuerbare Energien in Bayern 53 Prozent zur Stromerzeugung bei. Das war mehr als im Vorjahr und langfristig doch zu wenig, um die im bayerischen Energieprogramm einst festgehaltene Zielmarke von rund 70 Prozent fürs Jahr 2025 zu erreichen.

Auch beim Ausbau des Stromnetzes passen Wirklichkeit und Ansprüche nicht zusammen. Der Bau der großen Trassen, die Strom aus dem Norden Deutschlands nach Bayern bringen sollen, schreitet zäh voran. Laut Studie war die Versorgungssicherheit trotzdem gewährleistet, aber vergleichsweise teuer: Die Eingriffe ins System und Sicherheitsmaßnahmen werden auf 1,4 Milliarden Euro bilanziert, so viel wie nie. Die Studie wertet daher die Lage in diesem Bereich für Bayern als "mäßig zufriedenstellend". Oder weniger diplomatisch formuliert: "Bei der Versorgungssicherheit sind wir, was die Frage der Netze angeht, in einer sehr kritischen Bewertung", sagt Autorin Almuth Kirchner.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will die 10-H-Regel kippen

Um die Energiewende voranzutreiben, sieht die VBW Freistaat, Bund und EU gleichermaßen in der Pflicht. Brossardt fordert unter anderem niedrigere Strompreise. Außerdem müsse die "überfällige Ausbauoffensive" für Trassen und erneuerbare Energien starten. Genehmigungsprozesse gehörten entbürokratisiert und modernisiert, Solaranlagen auf jedes geeignete Dach und die Abstandsregel für Windräder abgeschafft. "Wir müssen leider feststellen, dass die 10-H-Regelung ein Fehlschlag war", sagt Brossardt: "Also brauchen wir sie auch nicht mehr."

Die in Bayern besonders streng ausgelegte Abstandsregel abzuschaffen, tat sich die Staatsregierung bislang schwer. Genauer: die CSU. Weil Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in seinem Klima-Maßnahmenpaket andeutete, die Vorgabe zu kippen, sehen die bayerischen Grünen nun Söder unter Zugzwang. Die CSU habe sich "in eine Sackgasse manövriert", sagte Grünen-Chef Thomas von Sarnowski. "Das Heft des Handelns" bei 10 H liege nun in Berlin, "auf bairisch: Ober sticht Unter". Die Grünen im Landtag wiederum werten das VBW-Monitoring als "rote Karte" für Bayern. Der energiepolitische Sprecher Martin Stümpfig forderte ein "generalrenoviertes Klimagesetz". Anders sieht Gerd Mannes (AfD) Habecks Vorstoß: Die Staatsregierung könne "nun zeigen, ob sie sich diesen radikalen planwirtschaftlichen Plänen widersetzt oder einknickt".

Bleibt die Sorge vor Stromengpässen. Die treibt Unternehmer schon lange um - vor allem in jenen Branchen, die mit steigendem Energiebedarf rechnen, um sich und ihre Produkte zu dekarbonisieren. Beispiel Petrochemie: Bis 2030 werde man wohl doppelt so viel Strom benötigen wie heute, schätzt Bernhard Langhammer, Sprecher des Chem-Delta Bavaria, dem Zusammenschluss der im Chemiedreieck Burghausen ansässigen Firmen. Vereinfacht verschlingt die Umstellung auf und Produktion von nachhaltigeren Raffinerieprodukten mehr Energie. Allein um den Bedarf an grünem Kerosin am Münchner Flughafen zu decken, "bräuchte man etwa 4600 Windräder", sagt Langhammer - oder 660 Quadratkilometer an Photovoltaikflächen.

Wasserstoff gilt als Hoffnungsträger

Gegen ein Ende von 10 H hätte das bayerische Wirtschafts- und Energieministerium bekanntlich nichts einzuwenden, bei dem Thema herrscht Dissens zwischen CSU und Freien Wählern. Ansonsten sieht man sich dort laut einer Stellungnahme von Minister Hubert Aiwanger (FW) auf einem guten Weg: So lasse man "keinerlei Abstriche" an der "auch im internationalen Vergleich hervorragenden bayerischen Versorgungssicherheit" zu. Laut den bisherigen Analysen seien keine Engpässe zu erwarten, auch gingen in diesem Jahr neue Gaskraftwerke für kritische Situationen ans Netz. Die Trassen Südlink und Südostlink würden durch die Bundesnetzagentur genehmigt, Verzögerungen seien hier nicht in Bayern zu suchen. Bei erneuerbaren Energien habe der Freistaat verglichen mit anderen Bundesländern "den mit Abstand größten Zubau" an Anlagen.

Inwiefern der Einsatz von Wasserstoff die Energiewende voranbringen kann, wurde in der Prognos-Studie nur am Rande untersucht. Der Energieträger gilt als Hoffnungsträger, Industrie und Mobilität klimafreundlicher zu gestalten. Bislang gibt es jedoch kaum Vorzeigbares. "Tolle Pläne, aber bei der Umsetzung sind wir noch nicht ganz so weit", sagt Kirchner dazu. Auch für Brossardt ist Wasserstoff eher ein Thema von 2030 an, nicht bis 2030. Bis dahin müsse man alles "zusammenkratzen", was zur Energieerzeugung zur Verfügung stehe.

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