Lebensmittelskandal:Ex-Geschäftsführer von Bayern-Ei zu Bewährungsstrafe verurteilt

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Stefan Pohlmann, Ex-Geschäftsführer der Firma Bayern-Ei, wird zu einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung verurteilt. (Foto: dpa)
  • Stefan Pohlmann, der Ex-Geschäftsführer der Firma Bayern-Ei, wird zu einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung verurteilt.
  • Das Landgericht Regensburg spricht ihn wegen fahrlässiger Körperverletzung in 26 Fällen und gewerbsmäßigen Betrugs in 190 Fällen schuldig.
  • Der Bayern-Ei-Skandal war auch ein Politikum: Er offenbarte große Defizite in der Lebensmittelüberwachung und führte zu einem Untersuchungsausschuss im Landtag.

Von Andreas Glas und Christian Sebald, Regensburg

Es ist Dienstag, 16.03 Uhr, als Richter Michael Hammer das Urteil verliest. Über den Mann im dunklen Rollkragenpulli, der rechts vor ihm auf der Anklagebank sitzt. Stefan Pohlmann, 49, Ex-Geschäftsführer der niederbayerischen Firma Bayern-Ei. Der Bayern-Ei-Skandal hatte im Frühjahr 2015 in ganz Europa Entsetzen ausgelöst. Nun also, fünf Jahre später, spricht der Richter den Eierproduzenten Pohlmann schuldig. Die Strafe: ein Jahr und neun Monate Haft, ausgesetzt zur Bewährung. Dazu muss er 350 000 Euro zahlen. Kein Raunen bei den Zuschauern, kein Staunen beim Angeklagten. Der Fall, der mit einem Knall begann, geht unerwartet leise zu Ende.

Sechs Journalisten, zwei Zuschauerinnen, das ist die Kulisse in Sitzungssaal 104 des Regensburger Landgerichts. Zuletzt ging es in diesem Prozess noch um 26 Menschen, die sich wegen verseuchter Eier aus Pohlmanns Legebetrieben mit Salmonellen infiziert haben sollen. Und um einen Todesfall. 26 Kranke, ein Toter, das zieht in Zeiten einer weltweiten Pandemie kaum noch Interesse auf sich. Trotzdem: Was am Dienstag in Regensburg sein Ende nimmt, ist einer der größten Lebensmittelskandale der vergangenen Jahre. Dass es dennoch so still ist im Gerichtssaal, so unaufgeregt, hat noch einen Grund: Seit zwei Wochen ist der Ausgang dieses Verfahrens bereits weitgehend klar.

Bayern-Ei-Prozess
:Die unklare Spur der faulen Eier

Der Prozess gegen den Eier-Fabrikanten Stefan Pohlmann neigt sich dem Ende zu. Bis zum letzten Tag der Beweisführung gestaltet sich diese äußerst schwierig. Fragen bleiben letztlich offen.

Von Andreas Glas

In seinem Urteil präzisiert Richter Hammer, worauf sich Strafkammer, Staatsanwaltschaft und Verteidiger in der ersten Märzwoche verständigt haben: eine Bewährungsstrafe, die Pohlmann knapp vor dem Gefängnis bewahrt. Das Gericht verurteilt ihn wegen fahrlässiger Körperverletzung in 26 Fällen und gewerbsmäßigen Betrugs in 190 Fällen, Schaden: mehr als 1,6 Millionen Euro. Dieses Geld wird nun aus Pohlmanns Vermögen eingezogen. Neben den ebenfalls angeklagten Verstößen gegen das Tierschutzgesetz lässt das Gericht den schwersten Vorwurf fallen: die Körperverletzung mit Todesfolge.

Zu den Hunderten, die im Sommer 2014 in Deutschland, Österreich, England und Frankreich an schweren Brechdurchfällen erkrankten, gehörte ja auch ein 94-Jähriger aus Innsbruck, der zwei Monate später starb. Die europäischen Lebensmittelbehörden ermittelten, dass sich der Mann und die anderen Patienten durch Speisen aus kontaminierten Eiern angesteckt hatten. Auch der Herkunftsbetrieb der Eier schien schnell identifiziert zu sein: die Firma Bayern-Ei. Die Staatsanwaltschaft nannte in ihrer Anklage zunächst 188 Krankheitsfälle. Im Prozess wurden aber nur 40 Fälle thematisiert. Dass letztlich nur noch 26 Fälle übrig blieben, hat mit der Beweislage zu tun, die sich im Prozessverlauf als extrem kompliziert herausstellte.

Schon zu Prozessbeginn hatten die Pohlmann-Anwälte kritisiert, dass sich die Anklage auf epidemiologische Untersuchungen stützt, die eine Verbindung herstellen zwischen den Krankheitsfällen und faulen Eiern aus den Bayern-Ei-Fabriken. Für einen Beweis hätte es jedoch einer forensischen DNA-Untersuchung bedurft, sagte Verteidiger Ulrich Ziegert. Überhaupt sei eine Verbindung zu Bayern-Ei nicht zweifellos nachweisbar. Die Firma habe ihre Eier über Zwischenhändler vertrieben, die von mehreren Legefabriken beliefert wurden. Mit anderen Worten: Aus Sicht der Pohlmann-Verteidigung könnten die kontaminierten Eier auch aus anderen Betrieben gekommen sein.

Um dem Lieferweg der Eier auf die Spur zu kommen, hatten im Prozess neben medizinischen Sachverständigen und Erkrankten auch frühere Bayern-Ei-Mitarbeiter, Zwischenhändler und Endabnehmer ausgesagt. Ergebnis: viele Wahrscheinlichkeiten, relativ wenige Gewissheiten. Dennoch sah das Gericht in etlichen Fällen eine hinreichende Verknüpfung zwischen Erkrankungen und faulen Eiern aus der Bayern-Ei-Produktion - auch bei dem 94-jährigen Innsbrucker. War die Infektion für seinen Tod verantwortlich? "Sehr wahrscheinlich", sagt der Richter. Da es aber keine Obduktion der Leiche gab, stehe dies "nicht mit einer solchen Sicherheit fest, dass keine vernünftigen Zweifel verbleiben".

In seiner Urteilsbegründung nennt der Richter Hygienemängel in den Bayern-Ei-Ställen "offensichtlich". Er sagt aber auch, dass Salmonellen in Legebetrieben nicht komplett zu verhindern seien. "Wo beginnt das erlaubte Risiko und wo die strafbare Handlung?", sagt Hammer, das sei eine schwierige Frage.

Was die Betrugsvorwürfe angeht, liegen die Dinge klarer. Zwar hat das Gericht auch hier die Fälle von 473 auf 190 und die Betrugssumme von 5,1 Millionen auf 1,6 Millionen Euro reduziert - doch im Gegenzug habe Pohlmann zugegeben, dass er von Salmonellen-Befunden in seiner Firma wusste, die Befunde aber verschwieg und die Eier verkaufte. Zudem hat er eine Selbstverpflichtung abgegeben, in Deutschland keine Tiere mehr zu halten. Strafmildernd wirkte sich auch aus, dass Pohlmann für rund neun Monate in Untersuchungshaft saß. Publik gemacht hatten den Fall im Mai 2015 gemeinsame Recherchen der Süddeutschen Zeitung und des Bayerischen Rundfunks.

Die Landtagsabgeordnete Rosi Steinberger (Grüne) kritisiert das Urteil - vor allem mit Blick auf die Prävention künftiger Lebensmittelskandale: "Wenn ich nicht befürchten muss, dass ich massiv bestraft werde, fördert das weiter kriminelle Energie." Dass Pohlmann zudem nicht wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz verurteilt wird, "erschüttert mich", sagt Steinberger. Überfüllte Ställe, Milbenbefall, das und mehr war Teil der Anklage - aber nicht des Urteils, da auch diese Vorwürfe aus Sicht des Gerichts beim Strafmaß keinen Unterschied mehr gemacht hätten.

Der Bayern-Ei-Skandal war auch ein Politikum. Er offenbarte große Defizite in der Lebensmittelüberwachung. Die Landtagsopposition setzte einen Untersuchungsausschuss durch, die damalige Verbraucherministerin Ulrike Scharf (CSU) sah sich mit Rücktrittsforderungen konfrontiert.

Das größte Defizit der Lebensmittelüberwachung besteht aber fort: Personalmangel. Die Amtsveterinäre an Landratsämtern etwa fordern wenigstens 200 zusätzliche Planstellen - bisher vergebens. Der Oberste Rechnungshof kritisiert zudem die Nähe zwischen lokalen Kontrollbehörden und Betrieben, die sie beaufsichtigen sollen. Er fordert eine unabhängige Zentralbehörde. Die Staatsregierung antwortete mit einer halbherzigen Reform: Zur Überwachung von 600 überregional operierenden Großbetrieben richtete sie die "Bayerische Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen" ein. Wie wenig das gebracht hat, zeigen die aktuellen Skandale um Tierquälereien in großen Milchvieh-Betrieben im Allgäu. Der SPD-Abgeordnete Florian von Brunn fordert deshalb massive Verbesserungen beim Verbraucherschutz. Es brauche "unangekündigte Kontrollen, genügend Personal und vor allem eine transparente und verpflichtend dokumentierte Lieferkette, vom Produzenten bis zum Einzelhandel", sagte von Brunn. Auch er sei "nicht begeistert" vom Ausgang des Bayern-Ei-Verfahrens.

Juristisch ist der Fall nun trotzdem zu Ende. Und Pohlmann verlässt den Gerichtssaal als freier Mann. Wortlos, wie an allen Prozesstagen zuvor.

© SZ vom 18.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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