Verschmutztes Trinkwasser:Sondermüll aus dem Feuerlöscher

Verschmutztes Trinkwasser: Eggstätts Bürgermeister Christian Glas steht an einer Messstelle direkt an der Grenze zum Wasserschutzgebiet.

Eggstätts Bürgermeister Christian Glas steht an einer Messstelle direkt an der Grenze zum Wasserschutzgebiet.

(Foto: Matthias Köpf)

Ein Mann soll regelmäßig Löschmittel in einen Gully in Eggstätt entleert haben. Jetzt hat die Gemeinde ein Problem mit ihrem Grundwasser - und massiven Kosten.

Von Matthias Köpf, Eggstätt

Nach außen wirkt die Szenerie ganz harmlos, und womöglich soll sie das auch. Ein roter Kastenwagen steht in einem Gewerbegebiet am Straßenrand, davor sitzt der Fahrer und macht Brotzeit. Anwohner haben ihn ein paar Wochen vorher auch schon mal beobachtet, doch diesmal kommt die Polizei rechtzeitig. Denn hinten aus dem Kastenwagen führt ein dünner Schlauch in den Gully, aus einem großen Kanister fließt etwas in den Kanal, von dem erst ein paar Tage später klar wird, was es war. Seither hat die 3000-Einwohner-Gemeinde Eggstätt im Landkreis Rosenheim ein Problem, das ihr manchmal größer zu sein scheint als sie selbst.

Jetzt, fast ein halbes Jahr nachdem die Polizei den Fahrer des Kastenwagens auf frischer Tat ertappt hat, steht der Eggstätter Bürgermeister Christian Glas vor einem blauen Unimog mit einem großen, lauten Bohrgerät auf der Ladefläche. Die Arbeiter treiben gerade den dritten Brunnen in den Untergrund, ein vierter wird folgen und später womöglich noch ein fünfter. Die Brunnen dienen nur dazu, Proben des Grundwassers zu ziehen, das in nicht ganz 20 Metern Tiefe durch den kiesigen Untergrund strömt. Denn was aus dem Kastenwagen schäumend in den Gully gelaufen war, waren offenbar Löschmittel aus alten Feuerlöschern. Der Fahrer führt in einer Gemeinde in der Region einen Ein-Mann-Betrieb. Unter anderem übernimmt er für Unternehmen die vorgeschriebene Wartung der Feuerlöscher in Werkshallen und Verwaltungsetagen. Muss das Löschmittel ausgetauscht werden, gilt es als Sondermüll, seine fachgerechte Entsorgung kostet Geld. Es in den Gully fließen zu lassen, kostet scheinbar nichts. Doch jetzt zahlt eben die Gemeinde.

In Eggstätt ist das Gewerbegebiet Natzing zwar sehr wahrscheinlich der Ort, der am wenigsten an die Eggstätt-Hemhofer Seenplatte erinnert, das älteste Naturschutzgebiet Bayerns. Von dieser 1939 unter Schutz gestellten Toteis-Landschaft liegt das Gewerbegebiet aber nicht einmal einen Kilometer Luftlinie entfernt. Noch näher, nämlich unmittelbar an seinem Rand, stehen diese blauen Schilder. Das Retentionsbecken, in das der Regenwasserkanal des Gewerbegebiets mündet, liegt einem solchem Schild praktisch zu Füßen: Wasserschutzgebiet. Die Gemeinde Bad Endorf fördert hier ihr Trinkwasser. Das Wasserschutzgebiet von Breitbrunn beginnt in 600 Metern Entfernung, und das von Eggstätt selbst ist auch nicht weit.

Auch deswegen musste es schnell gehen, als das Wasserwirtschaftsamt Rosenheim Glas im April die Testergebnisse mitteilte: Perfluorierte Tenside sind da also durch den Gully in den Regenwasserkanal, dann in das Rückhaltebecken und von dort in die Sickerschächte gelangt. Die Stoffgruppe gilt als krebserregend und kann der Fruchtbarkeit schaden. PFT werden in der Umwelt extrem schlecht abgebaut und können sich beim Menschen im Blut und den Organen anreichern. Aufgenommen werden sie oft über das Trinkwasser.

Es habe nur ein paar Stunden gedauert, bis ein Feldweg mit Kies für schwere Lastwagen befahrbar gemacht worden sei, sagt Bürgermeister Glas. Hunderte Kubikmeter Erde habe man ausgebaggert und den ganzen Kanal "gespült, gespült, gespült" - und das Wasser natürlich aufgefangen und nicht versickern lassen. Allerlei Behörden, Verbände und Fachfirmen kümmern sich um den Fall, und längst stehen Klär-Container und Tanks mit Aktivkohlefiltern am Rand des Beckens. Solche Filter sind die einzige Möglichkeit, PFT aus dem Grundwasser zu bekommen.

Immerhin scheint das Wasser im Untergrund nach bisherigen Erkenntnissen genau zwischen den Schutzgebieten von Bad Endorf und Breitbrunn hindurchzuströmen. Dort in den Wasserwerken wurde noch keine Belastung festgestellt. Eggstätt kommt die Sache trotzdem teuer. Kosten von einer halben Million Euro seien schon sicher, sagt Glas, wahrscheinlich werde man aber das Doppelte brauchen - Geld, das die Gemeinde viel lieber in den Neubau des Kindergartens stecken würde. Doch alle Ausgaben bleiben bisher an ihr hängen. Glas' letzte Hoffnung sind Härtefall-Zuweisungen von Freistaat, alle anderen hätten schon den Kopf geschüttelt.

Und das Verursacherprinzip? Beim Militärflugplatz Manching, wo PFT aus Löschschaum in den Boden gelangt sind, will die Kommune den Bund per Klage in die Pflicht nehmen. Im Landkreis Altötting, wo derlei Stoffe lang hergestellt wurden, steht das betreffende Unternehmen inzwischen wenigstens teilweise für Schäden gerade. In Eggstätt ermitteln Polizei und Staatsanwalt erst, ein Urteil liegt noch fern. Aber selbst wenn es mal so weit ist, macht sich Glas wenig Hoffnung: "Lang einem Nackten in die Tasche." Auch mit Antworten auf weitere drängende Fragen zur Entsorgungspraxis rechnet er nicht: "Wie viel, wie lang - und was das Schlimmste ist: wo noch?"

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