Hochwasserschutz:Widerstand gegen Polder

Hochwasser in Bayern

Szenen wie diese sollen sich nicht wiederholen. Am 3. Juni 2013 stand Kolbermoor nach tagelangen Regenfällen unter Wasser, die Schäden waren gewaltig.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

In Feldkirchen-Westerham wehren sich Bürger gegen den Hochwasserschutz. Sie halten die Pläne für überdimensioniert und klagen vor Gericht.

Von Matthias Köpf, Feldkirchen-Westerham

Wenn Georg Glas von Feldolling aus über die Mangfall schaut, dann sieht er am anderen Ufer die Bagger. Schon seit mehreren Monaten lässt der Freistaat unmittelbar unterhalb der Mündung der Leitzach in die Mangfall im Landkreis Rosenheim Vorkehrungen für den Bau eines riesigen Flutpolders treffen. Mehr als 4,6 Millionen Kubikmeter Wasser sollen notfalls dort auf einer Fläche von rund 150 Fußballfeldern Wiesen und Äcker überfluten, statt sich einige Kilometer flussabwärts durch tiefer gelegene Stadtteile von Kolbermoor und Rosenheim zu wälzen.

Weitere zwei Millionen Kubikmeter sollen schon existierende Speicherbecken fassen, die zum Pumpspeicherkraftwerk Seehamer See gehören. Einige der wenigen Häuser dort am rechten Mangfallufer sind schon verkauft und abgerissen, doch ein Eigentümer will bei Hochwasser hinter Deichen ausharren, die derzeit aufgeschüttet werden. Andere klagen gegen das Projekt. 26 Feldollinger und die Gemeinde Feldkirchen-Westerham, zu der das 1000-Einwohner-Dorf gehört, stemmen sich vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gegen das Projekt.

"Wir müssen ganz oben anfangen und nicht irgendwo in der Mitte", sagt Hans Schaberl, der seit 2017 Bürgermeister in Feldkirchen ist. Die Mitte, das wäre für ihn Feldolling. Er sehe nicht ein, warum der Ort die ganze Last des Hochwasserschutzes alleine tragen soll, sagt Schaberl. Er und die Feldollinger sähen auch die Gemeinden an der Leitzach und am Oberlauf der Mangfall in der Pflicht. Auch der Tegernsee müsse genutzt werden. Für den Tegernsee macht das zuständige Wasserwirtschaftsamt Rosenheim auch schon länger Pläne, die aber noch nicht so weit gediehen sind wie die Polderpläne an der Mangfall. Den Seespiegel beizeiten etwas zu senken, um dann mehr Wasser zurückhalten zu können, wäre von der Wirkung her eher Kreisklasse, wie es Behördenleiter Paul Geisenhofer zuletzt im Gemeinderat formuliert hat.

Der Feldollinger Polder, den seine Behörde seit rund 20 Jahren plant, spiele dagegen in der Champions League. Er soll bei einem Mangfall-Hochwasser geflutet werden, wie es statistisch alle hundert Jahre vorkommt, oder bei einem ähnlichen Hochwasser des Inns in Rosenheim mit entsprechendem Rückstau. Und er soll auch die zusätzlichen 15 Prozent Wassermenge aufnehmen können, die der Freistaat bei derartigen Projekten schon länger als "Klimazuschlag" ansetzt und die das Vorhaben noch einmal deutlich umfangreicher werden ließen. Es gehe um Leben und Gesundheit von 42 000 Menschen, heißt es von den Behörden. Nach dem bisher letzten großen Hochwasser in der Region 2013 wurden die Schäden auf bis zu einer Milliarde Euro geschätzt.

Die Feldollinger wehrten sich auch keineswegs gegen einen besseren Hochwasserschutz für Rosenheim, sagt Burghardt Schallenberger als Sprecher des Ortsrats. Doch für die Feldollinger ist das Projekt vollkommen überdimensioniert. Zudem sehen sie die Gefahr, dass die riesige Wassermenge im gefluteten Polder auf der anderen Mangfallseite das Grundwasser in ihre Keller drücken werde. Hochwasserschutz müsse dezentral sein, um das Risiko für alle zu verkleinern, sagt Schallenberger am Dienstag vor dem Verwaltungsgerichtshof. Der ist seit einer Gesetzesänderung vor einigen Jahren erste Instanz beim Hochwasserschutz.

Das damals noch zuständige Verwaltungsgericht München hatte eine erste Baugenehmigung von 2014 wegen größerer Mängel beim Schutz der Zauneidechse und der Haselmaus verworfen. Die Behörden hatten nachgebessert, nun gehen die Kläger gegen den neuen Bescheid aus dem Jahr 2017 vor. Einig werden sich beide Seiten trotz staatlicher Zugeständnisse in einigen Details auch jetzt nicht. Dafür einigen sich die Behörden abseits der Gerichte nach und nach mit immer mehr Grundeigentümern wie Georg Glas. Der Feldollinger Landwirt ist einer der Kläger, doch den notariellen Vertrag über einen Grundstückstausch hat er schon daheim am Tisch liegen. Die Behörden haben sich bereits viele der oft sehr kleinen Flächen gesichert und beschaffen sich die fehlenden über Tauschgeschäfte in einer Art informeller Flurbereinigung.

Viele Bauern wurden schon mehrmals zum Zwecke von Besitzeinweisungen - einer Vorstufe der Enteignung - ins Landratsamt geladen. Wirklich in Besitz bringen müssen die Behörden nur die Flächen für die Deiche. Die eigentliche Überflutungsfläche sollen die Bauern weiterhin nutzen können. Nach einer Flutung sollen sie entschädigt werden. Damit mag sich Franz Schmelmer als Ortsobmann des Bauernverbands nicht abfinden. Er kritisiert, dass in Kolbermoor und Rosenheim wieder Flächen bebaut werden sollen, die 2013 überflutet waren. Bürgermeister Schaberl wünscht sich beileibe keinen Polder, aber auch vom Gericht endlich ein Ende des belastenden Verfahrens. Sein Urteil will der VGH in zwei Wochen bekannt geben.

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