Süddeutsche Zeitung

Bayern:Digitalisierung, jetzt aber echt

Ein Digitalpaket soll das Thema in Bayern endlich voranbringen und das Ministerium von Judith Gerlach gleich dazu. Doch die Pläne sind in der Corona-Lage zur Randnotiz geraten. Dabei setzt man in der CSU auch mit Blick auf die Landtagswahl 2023 große Stücke darauf.

Von Maximilian Gerl und Johann Osel

Vorsorglich schlendert der Sprecher von Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) durch den Pressebereich, hie und da mit dem Hinweis, dass von seiner Chefin gleich ein wuchtiges Vorhaben komme. Und ahnend, dass die Corona-Lage dieses erst mal zur Randnotiz degradiert. Neulich, Ende der Kabinettsklausur zum Haushalt: Ministerpräsident Markus Söder hat den Finanz-, den Umwelt- und den Kultusminister mitgebracht sowie die Digitalministerin. Es geht zunächst um die Pandemie, Söder ruft die "Woche der Wahrheit" aus. Dann sind die Ressortchefs dran, irgendwann auch Gerlach. Sie sagt, sie müsse jetzt schon noch ihr Digitalpaket "highlighten": Sie wolle Prozesse von Anfang an anschauen und die Bürger sollten am Ende etwa in der Verwaltung merken, "dass Digitalisierung funktioniert".

Zwei Dinge sind auffällig an dem Tag. Dass Gerlach vorne steht zum Etat, obwohl ihr eigener im Vergleich zum Beispiel zu den üblichen Schulmilliarden mickrig ist. Und dass Söder - entgegen seiner Art bei derlei Terminen - gar nicht vorab die Nachrichten verkündet und seine Minister nachher die Reste referieren lässt. Gerlach darf alles selber erklären. Mit Fortschritten bei der Digitalisierung, das ist bekannt, will die Staatsregierung bis zur Landtagswahl 2023 noch punkten. Dass sich viele in der CSU sichtbarere Minister wünschen, öffentlich verknüpft mit wichtigen Themen, gilt auch nicht gerade als Geheimnis.

Die Pläne jedenfalls lesen sich groß. Unter anderem soll Bayern einen Digitalrat bekommen, eine Digitalagentur und für Digitalprojekte ein "Beschleunigungsbudget". Was hat es damit auf sich? Noch ist wenig mehr bekannt als im Kabinettsbeschluss steht, Details werden derzeit erarbeitet. Geht es nach Gerlach, stellt man sich das Paket wirklich als Paket vor; nicht als ein Bündel von Einzelmaßnahmen, sondern als Rädchen, die ineinander greifen. Es gehe um das "Gesamtprodukt", sagt sie ein paar Tage später am Telefon. "Wir haben während Corona gemerkt, dass wir die anderen Ministerien gut unterstützen können."

Wir, das ist das Digitalministerium. Qua Geburt ein sonderbares Konstrukt: kaum Budget, kaum klare Zuständigkeiten. Gerlach und ihre Leute dürfen überall mitreden, wo Digitalisierung draufsteht - die Kolleginnen und Kollegen anderer Ressorts müssen aber nicht zuhören. Das könnte sich durch den Digitalrat ändern. Vereinfacht gesagt soll sich diese interministerielle Arbeitsgruppe unter Vorsitz von Gerlachs Haus zu Digitalisierungsprojekten austauschen. Das soll auch Doppelarbeit vermeiden. Ein Monitoring soll die Projekte überwachen und die Digitalagentur der Staatsverwaltung bei der Umsetzung helfen. Gerlach sagt, man müsse vor allem von Insellösungen weg, "wo jeder sein eigenes Süppchen kocht".

Einzelne Vorhaben kann die Ministerin künftig auch mit ihrem Beschleunigungsbudget fördern. 16 Millionen Euro sind dafür vorgesehen - Peanuts, verglichen mit anderen Förderprogrammen. Es komme weniger auf die Summe an, sagt Gerlach, sondern wie schnell diese verfügbar sei. So gesehen ist das Budget als eine Art Notfallreserve gedacht, um kleinere Maßnahmen abseits enger Haushaltspläne rascher umzusetzen. Ein "Pakt" mit Kommunen und Internetanbietern soll außerdem den Ausbau der digitalen Infrastruktur forcieren.

"Extrem schwach auf der Brust"

Unter anderem in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen gibt es bereits Beratungsrunden, ähnlich dem nun in Bayern geplanten Digitalrat. Der Digitalverband Bitkom hält solche Gremien grundsätzlich für sinnvoll. Ob das auch in Bayern funktioniere, hänge davon ab, wie der Rat genau ausgestaltet werde, sagt Lena Flohre, Bereichsleiterin für Landespolitik: "Schade wäre es, wenn es dort nur um einen Austausch auf Arbeitsebene ginge, wer im letzten halben Jahr welche Projekte aufgesetzt hat." Das Digitalpaket insgesamt bewertet Flohre als "weiteren Schritt" in die richtige Richtung. Das Ministerium sei ja in den Möglichkeiten beschränkt, die Digitalpolitik anderer Ressorts mitzugestalten. Da sei es zielführend, an ein paar "institutionellen Schrauben" zu drehen.

In der Opposition ist man skeptischer - und fragt sich, wie viel Substanz am Ende in den Plänen stecken wird. Für Helmut Kaltenhauser (FDP) sind die Maßnahmen "extrem schwach auf der Brust", es würden "nur neue Strukturen für Aufgaben geschaffen, die das Digitalministerium schon längst erledigt haben sollte". Konkrete Anwendungsfälle für das Beschleunigungsbudget sind Kaltenhauser "schleierhaft". Benjamin Adjei (Grüne) verweist darauf, dass das Ministerium für manche Ankündigung weiterhin nicht zuständig sei; der Breitbandausbau etwa liege beim Finanzministerium. 2018 habe Söder das Digitalministerium eingeführt, ohne sich zu überlegen, wie es am besten funktioniere. Ohnehin habe die CSU die Digitalisierung in der Vergangenheit "komplett links liegen gelassen".

Die öffentliche Verwaltung gilt trotz aller Fortschritte weiter als analog und umständlich. Die Wirtschaft ist in Sachen Digitalisierung längst weiter. Das klebt auch an der CSU. Sie kann nicht einmal einen Schuldigen bei dem Thema benennen, regiert sie doch im Land und hat 16 Jahre lang im Bund entscheidende Posten besetzt. Mit dem eigenen Digitalministerium, das hoffen viele in der CSU, könne man künftig noch Aufmerksamkeit erregen - zumal es im Bund wohl vorerst keines geben wird. Generell macht man sich in der Partei gerade Gedanken, wie der alte Spruch von "Laptop und Lederhose" womöglich neu aufgelegt werden könnte. Was da auch kommen mag, eine offene Flanke beim Megathema Digitalisierung wäre fatal.

Darf sich demnach das Digitalministerium durch das Paket aufgewertet fühlen? Die Hoffnungsträgerin beantwortet solche Fragen stets diplomatisch. "Ich sehe das Ganze vor allem als Rückenwind für das Thema", sagt Gerlach. Ein Digitalministerium auf Bundesebene würde sie sich trotzdem von der neuen Regierung wünschen. Es müsse gar nicht groß sein, "aber supermächtig"; zum Beispiel mit einem Initiativrecht, um notfalls andere Ministerien zu Digitalisierungsprojekten zwingen zu können. Eine Supermacht also, wie sie Gerlach bislang fehlt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5470106
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/kaa/vewo
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.