Kratzers Wortschatz:"Schleich' dich, du Drack!"

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Kratzers Wortschatz: Szene beim Further Drachenstich im Landkreis Cham.

Szene beim Further Drachenstich im Landkreis Cham.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Einen sturköpfigen Drachen nennen die Einheimischen jenen Vulkan, der drei Monate Feuer gespien und viele Häuser zerstört hat. Im Dialekt scheint der Drache in dem Schimpfwort Drack auf.

Kolumne von Hans Kratzer

Drack

"Der Drache speit nicht mehr", war neulich in der SZ zu lesen. Es ging um jenen Vulkan auf der Insel La Palma, der die Menschen dort drei Monate lang drangsaliert hat. Mehr als 1600 Gebäude wurden durch die Lava zerstört. Einen "sturköpfigen Drachen" nennen die Einheimischen den Vulkan. Das deckt sich mit der Mythologie, die den Drachen als finsteren Gesellen beschreibt, von dem eine große Gefahr ausgehe, zudem besitze er übernatürliche Kräfte. Die Mutter aller Drachenmythen sei die Siegfried-Sage im Nibelungenlied aus dem frühen 13. Jahrhundert, war vor wenigen Tagen der SZ zu entnehmen. Auch im bayerischen Schimpfwörterkanon hat der Drache seinen festen Platz. Allerdings heißt er dort Drack, ein Wort, das wohl vom lateinischen draco abgeleitet ist. Ein Drack ist ein Mensch, der andere Menschen gerne ärgert: "Schleich' dich, du Drack!", heißt es dann. Auch Buben, die etwas ausgefressen haben, wurden früher gerne als Drackn tituliert und bisweilen mit einer Watschn belobigt.

Stoderer

Das Verhältnis von Landmensch und Stadtmensch ist wegen der ausufernden Mobilität komplizierter denn je. Es erinnert an die Koexistenz von Hund und Katz. Beim Stoderer, der zum Schimpfwort mutiert ist, handelt es sich um die mundartliche Form des Städters. Das weibliche Pendant lautet Stoderin, seit jeher schwingt bei diesen Begriffen etwas leicht Abfälliges mit. Beide Bevölkerungsgruppen sind voneinander abhängig, mag man auch gegeneinander sticheln. Schnell hat das Alpenvolk im 19. Jahrhundert gemerkt, dass es mit den Stoderern gutes Geld verdienen kann, wenn es ihnen eine mit reichlich Seppltum garnierte Landidylle vorgaukelt. Die Stoderer genossen dieses Schauspiel sehr, ihre Gastgeber hielten sie trotzdem gerne für einfältig.

Und doch fand man meistens zueinander. Die Sängerin Tanja Raith von den Raith-Schwestern ist liiert mit dem Musiker Andi Blaimer. Als sie sich in ihrer ersten Band kennenlernten, waren sie sich noch nicht sympathisch. Tanja sagt, sie habe rotgesehen, wenn sich Blaimer dem Proberaum näherte. Tanja, das brave Deandl vom Land, und Blaimer, der eingebildete Stoderer. Doch letztlich wendete sich die Beziehung zwischen Landpomeranze und Stadtfrack, wie der Stoderer auch genannt wird, zum Positiven.

Giasinger Heiwog

Neulich ist das Auto nicht angesprungen, es wurde in die Werkstatt geschleppt. Kfz-Meister Rainer B. stellte eine rasche Diagnose: Der Tank war leer. Die Anzeige hatte fälschlicherweise angegeben, er sei noch halb voll. Es sei eigentlich ein gutes Auto, sagte der Meister, es habe nur eine Schwäche: "Die Benzinanzeige geht nach der Giasinger Heiwog!" Bei allem Ärger war es erfrischend, diese alte Redewendung wieder einmal live zu hören. Dahinter steckt ja ein Stück Wirtschaftsgeschichte, denn es geht es dabei um die legendäre Heuwaage, die einst in München-Giesing stand. Mit ihrer Hilfe wurden in Zeiten ohne Digitalanzeige Pferdefuhrwerke und ihre Ladung gewogen. Die Giasinger Heiwog hatte riesige Ausmaße, trotzdem konnte man damit das wahre Gewicht einer Ladung nur grob und ungenau wiedergeben. Wegen dieser Eigenschaft fand die Giesinger Heuwaage Eingang in den Sprachschatz. Nicht nur Rainer B. pflegt alles Ungenaue, das ihm im Alltag begegnet, immer noch mit dieser Wendung zu beschreiben. Auch eine ungenaue Uhr geht nach der Giasinger Heiwog.

Überhaupt werden gewisse Münchner Orte gerne für solche Vergleiche herangezogen. Schreiner und Zimmerer sagen, wenn der Abstand in einer Holzkonstruktion nicht stimmt: "Da fehlt's ja um d'Neihauser Strass!" Der Abstand ist also, leicht übertrieben, so groß wie die Neuhauser Straße, die heute Teil der Fußgängerzone im Zentrum von München ist.

Gschaftlhuber

Beim Sonntags-Stammtisch des Bayerischen Fernsehens hat Moderator Hans Werner Kilz einmal mit der Politik der Europäischen Kommission gehadert. "Man hört nix von ihr", sagte er und schob nach, wir lebten in einem Zeitalter, "wo große Europäer fehlen, es ist alles so gschaftlhuberisch von Land zu Land". Das Adjektiv gschaftlhuberisch passt wunderbar an einen Stammtisch, es hat Kraft und Würze und es sagt kurz und bündig mehr aus als manch gestelztes Grundsatzreferat. Dem Wort liegt das Hauptwort Gschaftlhuber zugrunde, in dem der Familienname Huber verallgemeinernd mit dem Verbum gschafteln verknüpft ist. Ein Gschaftlhuber ist ein Besserwisser, ein Wichtigtuer, der sich überall einmischt. Den Dichter Harald Grill haben solche Typen schon in der Schule genervt, was er in seinem Roman "gehen lernen" so beschreibt: "Zusammen mit den Gscheiterln und Gschaftlhubern sitzen sie alle ganz vorne beim Fräulein." Dort können sie halt prima gschafteln. Auch die hohe Politik ist gegen das Gschaftlhuber-Virus wenig gefeit.

Tröpferlbad

Kratzers Wortschatz: Heute fließt das Wasser in jedem Haushalt in Strömen, früher musste man zum Baden in eine öffentliche Einrichtung, die auch als Tröpferlbad bekannt war.

Heute fließt das Wasser in jedem Haushalt in Strömen, früher musste man zum Baden in eine öffentliche Einrichtung, die auch als Tröpferlbad bekannt war.

(Foto: Johannes Simon)

Früher hat sich die Alltagssprache im täglichen Miteinander noch frei von jeglichen medialen Einflüssen bildhaft ausgeformt. Dabei sind liebreizende Wörter entstanden, zum Beispiel das Tröpferlbad, das vor allem in Wien zur Blüte kam, aber auch in München bekannt war. Auf der Schwanthalerhöhe gab es ein solches öffentliches Bad, in dem man für ein paar Zehnerl brausen konnte oder für ein Aufgeld eine Badewanne benutzen durfte. Das Wort Tröpferlbad hatte hier einen eher spöttischen Beiklang, weil das Wasser, wenn viele Besucher baden wollten, oft nur aus der Leitung tröpfelte. Die Wohnungen in den damaligen Arbeitervorstädten hatten in der Regel kein Badezimmer, die Menschen waren auf öffentliche Badeanstalten angewiesen.

In ihrem aktuellen Roman "Die Inkommensurablen" beschreibt die Autorin Raphaela Edelbauer ein Wiener Tröpferlbad im Jahre 1914 sehr anschaulich. Drei junge Menschen suchen nach einer durchfeierten Nacht eine solche Anstalt auf, "ein gräuliches Häuschen, das in roten Lettern die Aufschrift Brausekabinen trug."

Auch in der Thalkirchener Straße in München gab es ein Städtisches Brausen- und Wannenbad, das als Tröpferlbad bekannt war. Der Bau dient heute als Jugendtreff, und auch die alte Bezeichnung überlebte in dem Namen "Jugendtreff Tröpferlbad".

Im ländlichen Dialekt spricht man nicht - wie in der vornehmeren städtischen Mundart - vom Tröpferl, sondern vom Drepfe: a Drepfe Bluat. Wenn es regnet, dann fängt es zum Drepfen an.

Arbeiterpratzen

Kratzers Wortschatz: "Du hast doch Arbeiterpratzen": Auch beim Gärtnern können zupackende Hände nicht schaden.

"Du hast doch Arbeiterpratzen": Auch beim Gärtnern können zupackende Hände nicht schaden.

(Foto: David Munoz via www.imago-images.de/imago images/Addictive Stock)

Überall fehlen Arbeitskräfte, vor allem dort, wo noch körperliche Arbeit verrichtet werden muss. Einen angehenden Ruheständler, der sein Arbeitsleben überwiegend im Büro verbrachte, aber dennoch keine zarten Hände hat, wollte der Chef eines logistischen Betriebs neulich sehr direkt anwerben: "Du hast doch Arbeiterpratzen, du kannst doch leicht noch mithelfen."

Arbeiter- und Bauernpratzen, das ist das Gegenteil der filigranen Hände eines Schreiberlings, es sind quasi große, rissige Schaufeln, mit denen man zupacken, heben und stemmen kann. Daraus speist sich auch das gängige Drohwort: "Dua deine Pratzen weg!" Wenn einer große Hände hat, sagt man: "Der hat Pratzen wie Abortdeckel!" Das Wort Pratzen kommt wohl vom lateinischen brachium (italienisch: braccio), das aber den ganzen Arm beschreibt.

Graffl

Kratzers Wortschatz: Eine Menge Graffl findet sich auf jedem Flohmarkt in Bayern. Wer schlägt zu?

Eine Menge Graffl findet sich auf jedem Flohmarkt in Bayern. Wer schlägt zu?

(Foto: imago stock&people/imago/Revierfoto)

Die aktuelle Ausstellung im Freilichtmuseum Massing (Landkreis Rottal-Inn) trägt den Titel "Mission Graffl". Der Künstler Matthias Weigold hat dafür viele Fundstücke gesammelt und diese zu markanten Ensembles zusammengefügt. Bei den Fundstücken handelt es sich um weitgehend wertlose Gegenstände, wie sie sich halt im Laufe der Zeit in Häusern und Gehöften anhäufen. "Da liegt ja an hauffa Graffl umanand", lästern dann kritische Beobachter. "Was wollts denn mit dem alten Graffl, reißts es doch endlich weg!", lautete lange Zeit eine Standardaussage der Landshuter angesichts des maroden Moserbräu-Gebäudes. In der BR-Serie "Dahoam is Dahoam" sagte der Automechaniker Mike Preißinger einmal über die Altkleider seiner Frau: "Guat, dass die Trixi endlich moi ihren Kleiderschrank ausraamt. Wos da für ein Graffe dabei is."

Die Österreicher sagen zum Graffl (Graffe) Kramuri, auf Hochdeutsch heißt es Krempel, Trödel und Tand. Die BR-Sendung "Kunst und Krempel" könnte also auch "Kunst und Graffl" heißen. Der Ursprung des Wortes liegt im Italienischen. Mit den ersten Händlern aus dem Süden, die einst mit ihren Waren nach Bayern kamen, fanden auch deren Begriffe Eingang: Stranitzl (Tüte) und Spogat (spago, dünne Schnur) ebenso wie das Graffl (comprare, kaufen, besorgen).

krein

Kratzers Wortschatz: Auch der Staatsadler krallt sich im Bundestag fest.

Auch der Staatsadler krallt sich im Bundestag fest.

(Foto: Stefan Boness/Ipon/imago/IPON)

Der Frühling ist da, es ist höchste Zeit, sich im Garten umzuschauen und Vorbereitungen für die neue Saison zu treffen. Am Sonntag schrie die Nachbarin sogleich herüber: "Kreist du vielleicht schon im Garten umandander?" Das Bairische ist eine bildhafte Sprache, man muss ihre Gesetzmäßigkeiten kennen, um eine Frage wie diese zu enträtseln. Krein entspricht im Standarddeutschen dem Verb krallen, wer kreit, der krallt also seine Finger in die Erde. In der Form dakrein (derkrallen) wird das Wort auch im übertragenen Sinne verwendet. "Der dakreits nimmer lang", das bedeutet: Der wird bald sterben. Auf die Frage, wie es ihm gehe, antwortet Gerhard Lohmeier, der Wirt z'Loh bei Dorfen, stets weise: "Ja, mir kreit a so dahi ..."

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