Nürnberg:Das Deutsche Museum der Ungereimtheiten

Das Deutsche Museum in Nürnberg

Im Frühjahr soll hier im Augustinerhof die Zweigstelle des Deutschen Museums eröffnet werden. Den repräsentativen Gebäudekomplex hat der Architekt Volker Staab geplant.

(Foto: Sebastian Beck)

Der Freistaat Bayern lässt sich die Zweigstelle des Deutschen Museums in Nürnberg in den nächsten 25 Jahren mindestens 100 Millionen Euro kosten. Doch das Prestigeobjekt wird wohl noch einen Untersuchungsausschuss beschäftigen.

Von Sebastian Beck und Markus Grill

Es wird ganz gewiss ein historischer Tag für Nürnberg. Jedenfalls aus Sicht von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Wolfgang Heckl, dem Generaldirektor des Deutschen Museums in München. Kein Superlativ erscheint groß genug, wenn es darum geht, das bevorstehende Ereignis zu beschreiben: "Ein Quantensprung", jubelte Markus Söder schon vor dreieinhalb Jahren, als er noch Finanz- und Heimatminister war, "eine große Bereicherung der Kulturstadt Nürnberg". Heckl greift noch heftiger in die Harfe: Das Deutsche Museum, größtes Technikmuseum "dieser Erde" und "nationale Ikone", eröffnet im Frühjahr seine Zweigstelle in Nürnberg. Ein "großartiges Museum in einer tollen Stadt", einzigartig, einmalig, ein Leuchtturm, ein großer Wurf - Heckls Begeisterung kennt keine Grenzen, wenn es um sein Projekt in Nürnberg geht.

Von außen betrachtet wirkt die künftige Zweigstelle direkt an der Pegnitz elegant, aber unscheinbar. Wer vom Hauptmarkt kommt und das Tor zum neuen Augustinerhof durchschreitet, muss schon genau hinschauen, um zu erkennen, dass hier das Deutsche Museum residiert. Ein einsamer Roboterarm hinter dem Fenster ist Mitte Januar zumindest schon mal ein Hinweis darauf: In diesem Museum soll es um die Zukunft und nicht um die Vergangenheit gehen. Das wollten auch Heckl und Söder demonstrieren, als sie sich im Juni 2017 in Raumschiff-Enterprise-Uniformen fotografieren ließen. Rechts von ihnen posierte der Nürnberger Immobilien-Entwickler Gerd Schmelzer im Sakko mit Einstecktuch. Er zählt zu den bekanntesten und einflussreichsten Persönlichkeiten der Stadt und ist mit der CSU-Kulturbürgermeisterin Julia Lehner verheiratet.

Nürnberg: Nach der Vertragsunterzeichnung im Jahr 2017 posierten Museumschef Wolfgang Heckl, der damalige Finanzminister Markus Söder und Immobilienunternehmer Gerd Schmelzer für die Kameras (von links).

Nach der Vertragsunterzeichnung im Jahr 2017 posierten Museumschef Wolfgang Heckl, der damalige Finanzminister Markus Söder und Immobilienunternehmer Gerd Schmelzer für die Kameras (von links).

(Foto: oh)

Schmelzer, Heckl und Söder hatten ihre Unterschriften unter ein umfangreiches Vertragswerk gesetzt: Das Deutsche Museum mietet die Räume für 25 Jahre von Schmelzer und seiner Nürnberger Alpha-Gruppe. Das Geld dafür überweist der Freistaat Bayern: 2,8 Millionen Euro Miete pro Jahr, das macht 70 Millionen bis zum Jahr 2044. Rechnet man die 27,6 Millionen Euro staatliche Anschubfinanzierung hinzu, kostet die Science-Fiction-Dependance etwa 100 Millionen oder sogar mehr, weil Mietsteigerungen und andere Kosten darin noch nicht eingerechnet sind.

Viel Geld für ein Museum, das zum nordbayerischen Schlüsselprojekt stilisiert wird, aber mit gerade einmal 30 000 Besuchern jährlich kalkuliert. Sogar das Nürnberger Stadtmuseum brachte es 2019 auf immerhin 35 123 Besucher.

Auch der Forchheimer FDP-Landtagsabgeordnete Sebastian Körber hält das Deutsche Museum in Nürnberg für einzigartig - allerdings aus einem ganz anderen Grund. Der 40-jährige Architekt kennt die Immobilienbranche bestens, auch die in Nürnberg. Er beschäftigt sich schon seit Monaten mit der Entstehungsgeschichte des Projekts am Augustinerhof. Körber hat alle ihm zugänglichen Akten studiert und im Landtag dazu Anfragen gestellt. Er kommt zu einer völlig anderen Einschätzung als Heckl und Söder: "Die Konstellation aus erklärungsbedürftig hoher Miete, außerordentlich langfristigem Mietvertrag und zusätzlicher Finanzspritze in Millionenhöhe ist bayernweit beispiellos."

Und dann ist da noch diese Bundestagsdrucksache 19/17350. Darin ist für das Jahr 2018 eine Parteispende der Nürnberger Grundig Immobilienpark GmbH in Höhe von 45 500 Euro ausgewiesen. Empfänger ist die CSU. Die Firma gehört nach Recherchen von NDR, WDR und SZ Gerd Schmelzer und seinen Kindern. Entrichteten sie womöglich ein Dankeschön an die CSU und damit indirekt an Markus Söder für einen Deal, den ein Insider als "Lotto-Achter" für Schmelzer beschreibt?

Schmelzer selbst weist jeden Zusammenhang zwischen der Parteispende und dem Geschäft zurück: Die Spende stehe "in keinerlei Beziehung zum Abschluss der Mietvertrages", teilt er mit. Er unterstütze die Arbeit der CSU auch durch Spenden seit Jahrzehnten regelmäßig. "Dies erfolgt vollkommen transparent in Übereinstimmung mit dem Parteiengesetz und selbstverständlich unabhängig von wirtschaftlichen Erwägungen." Wann er davor oder danach an die CSU gespendet hat, will er auf Anfrage nicht verraten. Nachdem sich die Recherchen von NDR, WDR und SZ in der CSU herumgesprochen haben, meldet sich der Nürnberger Bundestagsabgeordnete Michael Frieser: Schmelzer sei als langjähriger Spender seiner Bitte gefolgt, die CSU gerade in einer Zeit vieler Wahlkämpfe "besonders zu unterstützen und sein bisheriges Engagement deutlich auszuweiten".

Unbestritten ist, dass die Zweigstelle des Deutschen Museums auf eine Idee Söders zurückgeht und von Anfang an als Prestigeobjekt angelegt war. Im August 2014 beschloss das Kabinett das "Leuchtturmprojekt" im Rahmen der Nordbayerninitiative der Staatsregierung. Zunächst war noch von einer Anschubfinanzierung von acht Millionen Euro die Rede - ein Betrag, der später mehrmals nach oben korrigiert werden musste.

Sowohl die Suche nach einem geeigneten Standort als auch die Ausarbeitung des Mietvertrags trieb das Deutsche Museum als Körperschaft des Öffentlichen Rechts weitgehend in Eigenregie voran - für ein Projekt dieser Größenordnung ein ungewöhnliches Verfahren, auch weil es letztlich um Steuergeld geht. Zwar wurde die Immobiliengesellschaft des Freistaats Bayern (IMBY) mit einbezogen. Auf eine gängige Markt- und Standortanalyse durch einen externen Gutachter, bei der auch die Wirtschaftlichkeit überprüft wird, verzichtete das Deutsche Museum indes. Heckl verweist stattdessen auf die "herausragende Expertise" seiner 600 Beschäftigten: Das Deutsche Museum müsse selbst in der Lage sein, Markt, Einzugsgebiet, Zielgruppe, Wettbewerbssituation und Standortfaktoren zu bewerten, "gegebenenfalls unter Hinzuziehung weiterer staatlicher Stellen und externer Dritter".

Die Standortwahl fiel schließlich auf Schmelzers Augustinerhof im Stadtzentrum. Dabei wurde in einem internen Papier des Deutschen Museums vom 29. April 2016 die Miete auf 25 Euro pro Quadratmeter geschätzt und als vergleichsweise hoch bewertet. Es sollte freilich noch wesentlich teurer kommen: Im Mietvertrag vom 2. Juni 2017, der die Unterschriften von Schmelzer und Heckl trägt, wird eine Miete von 38,12 Euro pro Quadratmeter vereinbart, zusätzlich eine Betriebskostenvorauszahlung von vier Euro pro Quadratmeter, insgesamt 232 036 Euro pro Monat.

Hat Schmelzer das Deutsche Museum über den Tisch gezogen? Nach der Standortanalyse verließ sich Heckl auch bei der Ausarbeitung des Mietvertrags in erster Linie auf internen Sachverstand. Knapp drei Monate vor der Unterzeichnung hatte die IMBY im März 2017 eine neunseitige Stellungnahme im Rahmen einer Amtshilfe abgegeben. Kurt Scherer, der Leiter der Nürnberger Regionalvertretung, wies eingangs darauf hin, dass es sich dabei nicht um das Gutachten eines öffentlich bestellten oder zertifizierten Sachverständigen handele, das in einem mehrmonatigen Verfahren erstellt werde. Gleichwohl bescheinigt Scherer dem Entwurf des Vertrags eine "Tendenz der vertraglichen Regelungen zugunsten des Vermieters". Wegen des Fehlens adäquater "Vergleichsmieträume" könne das Mietpreisangebot aber dennoch als "schlüssig" angesehen werden. Bei den Verhandlungen solle man versuchen, "die rechnerische Quadratmetermiete zumindest unter die 40,00 EUR-Marke zu senken". Ein von NDR, WDR und SZ befragter Immobilienexperte bezeichnet die IMBY-Stellungnahme als "substanzlos": "Ein Mietwertgutachter hätte das nach Strich und Faden auseinander genommen."

Heckl dagegen beruft sich auf das allgemein gehaltene Papier Scherers, wenn er die Höhe der Miete rechtfertigt. Zudem weist er darauf hin, dass es gelungen sei, den Quadratmeterpreis auf weniger als 40 Euro zu drücken. Was er nicht sagt: Das Deutsche Museum verpflichtet sich auf Seite elf des Vertrags zur "Wartung, Instandhaltung und Instandsetzung/Reparaturen (einschließlich der Ersatzbeschaffung von Anlagenkomponenten)". Der tatsächliche Mietpreis liegt damit über den 38,12 Euro pro Quadratmeter.

Welche Miete gerechtfertigt ist, darüber gehen die Meinungen stark auseinander

Darüber, welche Miete für die Immobilie am Augustinerhof gerechtfertigt ist, gehen die Meinungen stark auseinander: Heckl bezieht sich auch dabei auf das Papier der IMBY, in der von 80 Euro pro Quadratmeter Netto-Kaltmiete in Nürnberger 1A-Lagen die Rede ist. Doch sogar Schmelzer selbst setzt die Vergleichsmieten niedriger an: Die Mieten für Gewerbeflächen in der Nürnberger Altstadt lägen im Bereich des Augustinerhofs bei 40 bis 50 Euro pro Quadratmeter. Im Übrigen handele es sich beim Deutschen Museum um einen kompletten Sonderbau mit kostenintensiven Anforderungen an Technik und Brandschutz. Genauere Angaben zum Mietzins und den Verhandlungen darüber möchte Schmelzer nicht machen - aus Rücksicht auf die "geschäftsübliche Diskretion".

Wer sich in Nürnberg umhört, der bekommt weit niedrigere Quadratmeterpreise für Büro- und Einzelhandelsflächen in der Altstadt genannt: Sie liegen zwischen zehn und 20 Euro pro Quadratmeter. 80 Euro sind die absolute Ausnahme.

Doch fürs Nachverhandeln ist es ohnehin zu spät. Der Aufbau des Museums ist so gut wie abgeschlossen. Die politische Aufarbeitung beginnt aber erst. Der FDP-Abgeordnete Körber will die vielen Ungereimtheiten bei der Planung der Zweigstelle im Landtag aufarbeiten: "Hier müssen volle Transparenz hergestellt und die offenen Fragen ausgeräumt werden." Schließlich gehe es auch um eine Parteispende an die CSU und um die Unterschrift des damaligen Finanzministers und heutigen Ministerpräsidenten Markus Söder unter die Finanzierungsvereinbarung. Es könnte am Ende auf einen Untersuchungsausschuss des Landtags hinauslaufen, denn auch SPD und Grüne hatten in der Vergangenheit wiederholt heftige Kritik an den hohen Kosten für das Museum geübt.

Und wie bewertet der geistige Urheber des Projekts die Ungereimtheiten? Die CSU-Landesleitung teilt mit: "Herr Dr. Söder hatte keinerlei Kenntnis von dieser Spende; er hat erstmals durch Ihre Anfrage davon erfahren." Aus der Staatskanzlei heißt es: "Die Zweigstelle des Deutschen Museums Nürnberg ist ausschließlich ein Projekt des Deutschen Museums. Es handelt sich um kein staatliches Projekt. Daher war der Freistaat Bayern auch nicht in operative Abläufe eingebunden. Er ist selbst weder Projektführer noch Bauherr noch Mieter."

Man könnte vielleicht noch hinzufügen: Der Freistaat ist bloß Zahler.

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