Panne bei Corona-Tests in Bayern:44 000 Ahnungslose, 900 Infizierte

Coronavirus - Test an Rastanlage

Ein Stopp an der Corona-Teststation gehört zurzeit zum Urlaubsende dazu. Zum Beispiel an der Autobahn 8 an der Rastanlage Hochfelln-Nord

(Foto: Sven Hoppe/dpa)
  • Die Verzögerungen bei der Übermittlung von Corona-Testergebnissen in Bayern haben deutlich dramatischere Ausmaße als bisher bekannt: 44 000 Reiserückkehrer warten nach Tests in Bayern noch auf das Ergebnis, darunter auch 900 nachweislich positiv getestete.
  • Die Infizierten sollten bis Donnerstagmittag ihr Ergebnis bekommen, sagte Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) in München.
  • Ministerpräsident Markus Söder sagte einen für Donnerstag und Freitag geplanten Besuch an der Nordsee nach Bekanntwerden der Panne ab.
  • Alle Entwicklungen zur Corona-Krise in Bayern gibt es im Newsblog.

Von Andreas Glas

Dieser Auftritt dürfte noch lange nachhallen. Es ist Mittwoch, kurz nach halb fünf Uhr abends, als Melanie Huml (CSU) das Foyer ihres Gesundheitsministeriums betritt. Keine zwei Stunden zuvor hat sie eilig zur Pressekonferenz geladen. Warum diese Eile? Das wird schnell klar, als Huml zu sprechen beginnt. Ihre Botschaft: Von insgesamt rund 60 000 Reiserückkehrern, die sich zuletzt vor allem an den drei Teststationen an Autobahnen in Bayern freiwillig auf das Coronavirus testen ließen, haben etwa 44 000 Menschen immer noch kein Testergebnis bekommen. Besonders beunruhigend: Darunter sind etwa 900 Personen, die positiv getestet wurden, aber nichts davon wissen und deshalb andere anstecken könnten - oder bereits angesteckt haben. Das ärgere sie "massiv", sagt Huml, "das bedauere ich sehr. Es gebe "nichts schönzureden."

Zuletzt hatten sich immer wieder Reiserückkehrer beschwert, dass sie nach ihren Tests erst sehr spät ein Ergebnis zugestellt bekamen. Oder überhaupt keines, weil die Tests möglicherweise verloren gegangen sind? Die Zahl der Infizierten könnte dann also noch höher sein als die 900 Personen, von denen Huml spricht. Sie sagt: "Wir haben bisher keine Kenntnis, ob Proben verloren gegangen sind." Es gehe jetzt darum, die Infizierten so schnell wie möglich über ihr positives Testergebnis zu informieren. Dafür, sagt Huml, werde man "eine Nachtschicht" einlegen, um die Daten der Corona-Positiven aus den Ergebnistabellen herauszufiltern. Spätestens an diesem Donnerstag, zur Mittagszeit, wolle man alle Infizierten informiert haben, verspricht sie.

Laut Huml liegt der Hauptgrund für die Testpannen nicht darin, dass die Labore zu langsam waren, um die Proben auszuwerten - sondern darin, dass die Testdaten bis vor Kurzem händisch in Excel-Tabellen eingetragen wurden. Man habe versucht, dieses Problem durch mehr Personal zu lösen, sagt Huml, "aber die Zahl der Tests ist immer größer geworden, mit jedem Tag". Und irgendwann, so klingt es, waren die Datenmengen zu groß, um sie innerhalb kurzer Zeit abarbeiten zu können. Zunächst waren Mitarbeiter von Hilfsorganisationen dafür zuständig, nun übernehmen nach und nach private Laborunternehmen die Tests. Der Übergang habe bisher "sehr gut funktioniert", sagt Huml, die nun davon ausgeht, dass die Tests künftig reibungsloser laufen.

Der Schwerpunkt der Probleme liegt an den Teststationen an den Autobahnraststätten Hochfelln-Nord (A 8), Inntal-Ost (A 93) und Donautal-Ost (A 3), wo sich Urlaubsrückkehrer seit dem 30. Juli testen lassen können. Von dort stammt nach Angaben des Ministeriums die überwiegende Zahl jener 44 000 Getesteten, die immer noch auf ihr Ergebnis warten. Wie lange all diese Menschen schon warten, konnte Ministerin Huml am Mittwoch nicht beantworten.

Manche Corona-Infizierte dürften tagelang herumgelaufen sein

Das bedeutet wohl, dass manche der Infizierten seit wenigen Tagen warten, andere aber womöglich noch keine Gewissheit haben, obwohl sie den Test bereits vor fast zwei Wochen gemacht haben - und in dieser Zeit für ihr Umfeld ansteckend waren oder immer noch sind. Immerhin an den Flughäfen laufen die Tests offenbar besser. Dort sei die Zahl derjenigen, die ihr Ergebnis immer noch nicht bekommen haben, deutlich geringer als bei den Tests an den drei Autobahnen. Was die Bilanz an den Bahnhöfen betrifft, an denen ebenfalls getestet wird, dazu konnte Huml am Mittwoch ebenfalls nichts Konkretes sagen.

Nun stellt sich natürlich die Frage: Warum berichtet Huml erst jetzt von den Versäumnissen? Hätte sie nicht früher mit dieser Information an die Öffentlichkeit gehen müssen, um die Getesteten stärker dafür zu sensibilisieren, dass sie womöglich infiziert sind, aber nichts davon wissen. Natürlich kommt diese Frage bei der Pressekonferenz im Foyer des Gesundheitsministeriums. Humls Antwort: Erst jetzt, da man von der händischen Erfassung auf ein elektronisches Verfahren umgestellt habe, sei das Ausmaß der Probleme deutlich geworden. Erst Mittwochfrüh habe sich "die Gesamtsituation der Problematik gezeigt", sagt Huml, die mehrfach betont, wie sehr sie das alles bedauere.

Söder hatte rasche Testergebnisse versprochen

Auch Andreas Zapf, Leiter des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), ist zur Pressekonferenz gekommen. Er sitzt neben der zerknirschten Huml, auch Zapf sieht unzufrieden aus, auch er sagt: "Das bedauern wir sehr", er spricht von einer "Panne". Dann lässt er einen bemerkenswert ehrlichen Satz zu den Autobahn-Tests fallen: "Wir haben alle zusammen sicherlich den Fehler gemacht, dass die Zahl der Tests, die dort gemacht wurden, unterschätzt worden ist." Man habe "wesentlich mehr Tests abgenommen, wie wir gedacht haben", sagt Zapf.

Mit "wir" dürfte sich womöglich auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) angesprochen fühlen, der die unangenehme Aufgabe dieser Pressekonferenz seiner Ministerin überlässt. Noch am Montag hatte Ministerpräsident Söder seine Staatsregierung dafür gerühmt, dass Bayern als einziges Bundesland freiwillige Tests an den Grenzen anbiete. Er sprach von einem "Service für ganz Deutschland", hatte rasche Testergebnisse versprochen.

Künftig sollen die Corona-Testergebnisse binnen 48 Stunden vorliegen - digital

Innerhalb von einem bis drei Tagen sollte das Ergebnis da sein, heißt es aus Kreisen des Bayerischen Roten Kreuzes, deren Mitarbeiter den Abstrich machten. Das seien die Vorgaben des LGL gewesen. Dieses Ziel, das steht nun fest, wurde wohl überwiegend verfehlt - und dies könnte unangenehme Konsequenzen für das Infektionsgeschehen in der ganzen Republik haben.

Von nun an, verspricht Huml, würden die Getesteten dank der digitalen Erfassungsmethode ihre Ergebnisse binnen 48 Stunden erfahren. Sie werde "mit Nachdruck dafür sorgen, dass hier die Dinge an die Menschen herankommen". Und wer trägt nun die Verantwortung für diese Panne, deren Folgen noch nicht abschätzbar sind? Huml selbst? Oder Söder, weil er die Ziele zu hoch gesetzt hat? "Selbstverständlich ist es so, dass wir uns, seit uns die Ergebnisse bekannt sind, in der Verantwortung sehen", sagt Huml. Wen sie mit "wir" meint, sagt sie nicht.

Zwei Stunden später twittert dann Söder: "sehr, sehr ärgerlich", auch er schreibt von einem "Fehler", der "nicht mehr passieren" dürfe. Er wolle nun "alle Strukturen" prüfen. Seinen für Donnerstag geplanten Besuch an der Nordsee sagt Söder ab. Und schreibt: "Bayern geht vor."

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