Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Warum die Regierung Schulen noch nicht generell schließen will

Lesezeit: 3 min

Von Anna Günther und Lisa Schnell, München

Das Coronavirus beeinträchtigt inzwischen deutlich den Alltag an bayerischen Schulen und Hochschulen. 80 der 6000 Schulen waren am Mittwoch geschlossen, die meisten davon in Oberbayern. Allerdings sollen 24 Schulen an diesem Donnerstag wieder öffnen. Die Zahl der gemeldeten Infektionen stieg am Mittwoch bis zwölf Uhr auf 366. Die Staatsregierung lehnt die Schließung aller Schulen weiterhin ab, schließt aber Maßnahmen wie vorzeitige Osterferien nicht aus.

Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) mahnte zur Ruhe und hielt daran fest, Schulen in Absprache mit den Gesundheitsämtern individuell zu schließen. Dagegen fordert Jürgen Böhm, der Chef des bayerischen und deutschen Realschullehrerverbands, sofort flächendeckende Schließungen in ganz Deutschland. Dass es bundesweit keine einheitliche Linie gebe, nennt Böhm "unverantwortlich" und "Salamitaktik". Er fordert eine einheitliche Regelung für alle 16 Bundesländer, um dem Gesundheitssystem Luft zu verschaffen. Dass Sportveranstaltungen vor leeren Rängen stattfinden und Kulturveranstaltungen abgesagt werden, ergebe nur Sinn, wenn auch die Schulen geschlossen würden, sagte Böhm.

In der Staatsregierung wird derzeit darüber diskutiert, die Osterferien vorzuziehen, die am 6. April beginnen. Alles sei möglich, hatte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nach der Kabinettssitzung am Dienstag gesagt. Derzeit sehe man von einer solchen Maßnahme aber noch ab. Eine generelle Schließung von Schulen bezeichnete Söder am Dienstag als "nicht angezeigt".

Die Regierung befürchtet offenbar deutliche Auswirkungen auf Feuerwehren, Krankenhäuser und Polizei, wenn Eltern ihre Kinder plötzlich daheim betreuen müssen. Geben diese die Kinder zu den Großeltern, könnten sie als Risikogruppe sogar zusätzlich gefährdet werden. "Man muss immer überlegen, wie es theoretisch weitergehen könnte. Der Krisenstab trifft sich jeden Tag, aber momentan halten wir daran fest, nur einzelne Schulen zu schließen oder Klassen heimzuschicken", sagte Piazolo. Es gebe derzeit Regionen in Bayern ohne Coronavirus-Fälle, sagte auch Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU). Aber es sei nicht ausgeschlossen, dass es zumindest in Teilen Bayerns noch mehr Schulschließungen geben werde.

Die Kritik von Realschulverbandschef Böhm, wonach eine klare Linie fehle, wies Piazolo zurück. "Wir haben doch eine klare Linie - die Situation verändert sich jeden Tag, also bewerten wir die Situation im Krisenstab jeden Tag neu, und bis zu den Osterferien sind noch drei Wochen Zeit", sagte Piazolo. An diesem Donnerstag und Freitag treffen sich die Kultusminister aller Länder in Berlin, dort will er den Umgang mit dem Coronavirus besprechen.

Diskutiert werde auch eine gemeinsame Linie beim Abitur. Die Prüfungen beginnen nach den Osterferien und schon jetzt machen sich Lehrer und Schüler Gedanken darüber, ob sie durch die Schulausfälle zu viel Stoff oder Zeit verlieren. SPD und FDP forderten von Piazolo, einen Notfallplan für die Abschlussprüfungen zu entwickeln. Es müsse geprüft werden, wie so viel Unterricht wie möglich ins Netz verlegt werden könne, sagte Matthias Fischbach von der FDP. Zudem müsse geklärt werden, ob es bei einem zentralen Abitur bleiben könne, sagte die Abgeordnete Margit Wild von der SPD.

Anders als der Realschulverband, bleiben die Vertreter von Gymnasiallehrern und Grund- sowie Mittelschullehrern auf Linie der Staatsregierung. Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, will sich auf das Urteil der Experten im Krisenstab verlassen: "Wenn das lautet, wir lavieren noch eine Woche weiter, dann ist das so. Wenn wir für vier Wochen schließen, dann können wir auch damit umgehen." Sie forderte eine klare Ansage und faire Verhältnisse für alle Prüflinge, nicht nur für die Abiturienten. Auch Philologenchef Michael Schwägerl mahnt zur Gelassenheit, Panik helfe niemandem. Eine klare Lösung für die Abschlussprüfungen fordert auch Schwägerl - vom bayerischen Kultusminister und von der Kultusministerkonferenz in Berlin. Denn durch den gemeinsamen Aufgabenpool einiger Bundesländer müssen die Abiturprüfungen zentral abgesprochen werden.

Die Sorgen einiger Schüler, sie könnten wegen der Schulschließungen Nachteile bei den Prüfungen haben, kann Schwägerl verstehen, rät aber zum Vertrauen in die Lehrer. Diese wüssten, wie sie kranken Kindern Stoff übermitteln. Und für kranke Schüler gebe es traditionell Nachholtermine. Diese Mechanismen könnten auch bei Corona greifen. Die Digitalisierung könnte sogar segensreich sein: "Wir können Stoff übers Schulnetzwerk Mebis übermitteln, per Skype unterrichten, Lehrer in Quarantäne könnten beratende Tätigkeiten übernehmen", sagte Schwägerl. Sollte Corona weiter grassieren, könnten Abiturienten in der Prüfung mit größerem Abstand zum Nachbarn platziert und auf mehrere Turnhallen verteilt werden. Ideen, die gleichermaßen auf Prüflinge an Fachoberschulen, Mittel- und Realschulen anzuwenden sind. Piazolo gab sich demonstrativ entspannt und will abwarten: "Es ist nicht so, dass wir heute oder morgen eine Entscheidung übers Abitur treffen müssen."

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SZ vom 12.03.2020
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