Süddeutsche Zeitung

Bildung in Bayern:Schulen beklagen Corona-Durcheinander

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Zwar gilt ein Hygiene-Rahmenplan des Ministeriums, doch über konkrete Maßnahmen entscheiden die Gesundheitsämter. Das irritiert viele.

Von Anna Günther, München

Die Zahlen sind klar definiert, ihre Folgen für den Schulbetrieb ebenfalls: Ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 35 Infizierten pro 100 000 Einwohnern sollen ältere Schüler Masken im Unterricht tragen. Ab 50 gilt das auch für Grundschüler. Zudem müssen Schüler dann Abstand in den Klassen halten, was für viele Unterricht im Wechsel aus Distanz- und Präsenzphase bedeutet. So steht es im Rahmen-Hygieneplan des Kultusministeriums. Dort steht aber auch, dass die Gesundheitsämter die Entscheidung treffen, was wann an einer Schule passiert. Das führt derzeit dazu, dass sogar in bayerischen Hotspots unterschiedliche Regeln gelten - oder gar keine. An den Schulen löst das Irritationen aus.

Kaufbeuren verzeichnete am Dienstag laut dem Landesamt für Gesundheit eine Sieben-Tage-Inzidenz von 75. Weil der Ausbruch einem Altenheim zuzuordnen sei, greifen keine Sonderregeln in Schulen und Kitas. Das Rosenheimer Gesundheitsamt hatte am vergangenen Freitag die Maskenpflicht im Unterricht um zwei Wochen verlängert und auch den Schulen im Landkreis entsprechende Maßnahmen empfohlen. Rosenheim lag tagelang über 50, der Landkreis kam am Dienstag auf eine Inzidenz von 15 pro 100 000 Einwohner. In Würzburg gelten trotz der Inzidenz von 65 keine verschärften Regeln in Kitas und Schulen.

Die Stadt sprach Kontaktbeschränkungen und ein Alkoholverbot aus, ein Gymnasium wurde bis zu diesem Mittwoch geschlossen und alle Schüler dieser Schule sollten sich testen lassen. In allen anderen Würzburger Schulen gilt allein die landesweite Maskenpflicht für ältere Kinder, nicht die entsprechende Verschärfung des Hygieneplans. "Wir versuchen mit der Allgemeinverfügung das Leben zu regeln und nicht gleich durch das Schließen von Schulen und Kitas mit dem großen Hammer zu kommen", sagte ein Rathaussprecher. Warum das so ist, ließ das Würzburger Gesundheitsamt unbeantwortet.

Der Rahmen-Hygieneplan von Kultus- und Gesundheitsministerium sollte Eltern, Schülern und Lehrern Klarheit bringen. "Verlässlichkeit, Sicherheit, Struktur" seien wichtig für die Schule, sagte Schulminister Michael Piazolo (FW) zu Schulbeginn. Zugleich nannte er die Corona-Grenzwerte "Orientierungshilfen". Ein Widerspruch? Wer sich an den Schulen umhört, vernimmt ein klares Ja.

"Wenn ich einen Grenzwert einführe, dann sollte man sich auch daran halten"

Zwar sind die Masken für die Schüler im Unterricht weniger schlimm als erwartet und auch vielen Schulleitern sind die individuellen Corona-Quarantäne-Entscheidungen lieber als pauschale Lösungen für alle. Denn die Zahlen steigen und für die Infektionen im Nachbarlandkreis möchte niemand mithaften: 100 der 6200 bayerischen Schulen sind von Quarantänemaßnahmen betroffen, vier Schulen komplett geschlossen. 191 der 1,65 Millionen Schüler und 37 von 120 000 Lehrern sind nachweislich infiziert, 4146 Schüler sowie 497 Lehrer sind in Quarantäne.

Aber manch Schulleiter stößt auf, dass einige Gesundheitsämter die "Orientierung" am Rahmenplan wörtlich auslegen: "Es ist ein Problem, dass Rosenheim anders entscheidet als Würzburg, das versteht keiner mehr - und es war im Schulgipfel mit Söder anders besprochen", sagt etwa Walter Baier, Schulleiter im Landkreis Rosenheim und Chef der Direktorenvereinigung Gymnasien.

Er fordert - mal wieder - eine klare Ansage aus dem Ministerium und fürchtet, dass durch derlei Widersprüche die Akzeptanz der Corona-Regeln nachlasse. "Was bedeutet die Empfehlung des Gesundheitsamtes? Entscheiden die Schulleiter im Rosenheimer Land über Maskenpflicht?" Das sollte der Hygieneplan eigentlich verhindern. "Wenn ich einen Grenzwert einführe, dann sollte man sich auch daran halten", sagt auch Benedikt Mehl, Chef des Pirckheimer Gymnasiums in Nürnberg. Der Rahmenplan ergebe nur Sinn, wenn er auch durchgesetzt werde. Für die Stimmung scheinen derlei Widersprüche fatal zu sein. "Wir haben uns einen gewissen Fatalismus angeeignet. Selbst bei gutem Willen können wir Infektionen nicht verhindern", sagt Mehl. Die Testergebnisse seiner Lehrer kamen am zweiten Schultag. Negativ. Glück gehabt. "Wir hoffen halt, so lange wie möglich den Betrieb aufrecht zu erhalten."

Deshalb nennt Hans Lohmüller es "richtig", dass seine Schule hinter der Stadtgrenze Landshuts genauso streng behandelt wurde wie Schulen in der Stadt. Aber die Ungewissheit belaste: "Für uns ist es ein permanentes Tasten", sagt der Schulleiter am Sonderpädagogischen Förderzentrum Landshut Land und Chef des Verbands Sonderpädagogik. Er wünscht sich mehr medizinische Beratung, gerade mit Blick auf den Winter müssten Schulleiter schnell entscheiden, wann ein Kind abgeholt werden müsse oder einen Test braucht.

Die Kriterien in Piazolos Rahmenplan seien zu weich, das Gesundheitsamt keine Hilfe, "wenn ich 30-40 Minuten in der Warteschleife hänge". Er fordert Vertragsärzte für jede Schule. Simone Fleischmann, die Präsidentin des Bayerischen Lehrerverbands, fürchtet wie viele Schulleiter ein großes Personalproblem, weil durch das Beschäftigungsverbot für Risikogruppen und Corona-Infektionen noch mehr Lehrer ausfallen als sonst in der Grippesaison. Der Personalpuffer sei schon aufgebraucht, sagt Fleischmann. Piazolo müsse die Erwartungshaltung an Schule senken.

Die Gesundheitsämter setzten die "erforderlichen Maßnahmen" um, sagt dagegen Piazolo. Quarantäne von Klassen oder Lehrern werde "leider ein Stück weit Normalität sein." Zu den großen Unterschieden in den Hotspots äußerte er sich nicht. Das Gesundheitsministerium sei zuständig. Eine entsprechende Anfrage blieb dort unbeantwortet.

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SZ vom 16.09.2020
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