Schule und Corona:Mehr Präzision bei den Maßnahmen, weniger Einschränkungen im Schulbetrieb

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Der Würzburger Virologe Lars Dölken prognostiziert weiter steigende Infektionszahlen bis Weihnachten. Die Frage sei nicht, wie man dies verhindern könne - sondern wie man darauf reagiere.

Von Anna Günther

Die Maskenpflicht im Unterricht fällt in Bayern weg, das ist die gute Nachricht. Von Montag an müssen nicht mehr pauschal alle Schüler und Lehrer an weiterführenden Schulen im Unterricht eine Maske tragen. Das gab Kultusminister Michael Piazolo (FW) am Freitag bekannt. Fortan gelten die Regeln des Rahmen-Hygieneplans. Der "bewusst vorsichtige Start" ins Schuljahr sei richtig gewesen, sagte Piazolo, der Präsenzunterricht mit allen Kindern funktioniere. Die schlechte Nachricht ist: Die Zahl der Corona-Infizierten steigt seit Wochen an, zuletzt lagen mehrere Städte wie Würzburg, Rosenheim oder München deutlich über dem Corona-Warnwert der Sieben-Tage-Inzidenz von 50 Infizierten pro 100 000 Einwohner. Dass jedes Gesundheitsamt dann andere oder gar keine Maßnahmen für die Schulen ausrief, hatte unter Schulleitern Kritik ausgelöst, von Flickenteppich und Unruhe war die Rede. Dabei sollte der Plan Struktur und Ruhe bringen.

Schüler, Eltern und Lehrer werden sich an lokale Unterschiede und Corona-Einschränkungen gewöhnen müssen: Der Minister hält am Ermessensspielraum der Gesundheitsämter fest. Und der Würzburger Virologe Lars Dölken geht davon aus, dass die Infektionen bis Weihnachten weiter steigen. Er hoffe, dass es nicht zehnmal mehr Fälle werden als jetzt, sagt Dölken. Für den Professor der Julius-Maximilians-Universität stellt sich nicht die Frage, "wie wir es verhindern können, sondern wie stark wir eingreifen". Ein neuer Lockdown wäre eine "Katastrophe", aber Masken im Unterricht oder Schulschließungen müsse man akzeptieren. "Wir wissen ja nicht, wann der Impfstoff vorliegt, auf unbegrenzte Zeit die Schulen zuzusperren, ist keine Alternative." Dass die Zahl der Infektionen seit Wochen ansteige, sei "normaler Verlauf bei Coronaviren". Mehr Freiheiten ergeben mehr Infektionen. Ziel müsse sein, bis April mit einer langsamen Steigung hinzukommen, ohne dass Krankenhäuser überlastet sind oder viele Menschen sterben. Milde Temperaturen beenden oft die Schnupfensaison.

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Die Corona-Strategie stellt Dölken nicht infrage, sein Institut analysiert die Tests des Großraums Würzburg. "Ich hätte als Virologe kein Problem damit, dass wir bis Weihnachten viermal mehr Fälle hätten. Das wäre verträglich ohne Lockdown", findet er. Das dürfte aber oft die geltenden Grenzwerte sprengen. Statt mehr Strenge fordert Dölken zusätzliche Konzepte, "wie wir damit umgehen, wenn die Zahlen weit über 50 steigen." Schließlich sage die Inzidenz von 50 aus dem Juni nicht das gleiche aus wie jetzt, da deutlich mehr Leute getestet werden.

Zudem werde nicht das Potenzial der Tests genutzt, die Leute bräuchten mehr Informationen als positiv oder negativ. Informationen, die Labors bereits auswerten, wie etwa die Menge der Viren. Aber auch bei wenig Viren müsse differenziert werden: "Wenn jemand vor zwei Tagen einen Test gemacht hat, der positiv ist und dann bekommt er noch Schnupfen, ist er extrem infektiös und muss extrem aufpassen", sagt Dölken, "wenn aber jemand vor sieben Tagen ein bisschen Halsweh hatte und fünf Tage später ein positives Testergebnis kommt, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass er nicht mehr besonders infektiös ist." Kurz: Mehr Präzision bringt weniger Einschränkung durch kürzere Quarantäne und im Zweifel weniger Risiko, andere anzustecken.

Neue Grenzwerte seien nicht angedacht, hört man aus dem Ministerium. Der Anstoß müsse aus der Arbeitsgruppe am Landesamt für Gesundheit kommen. Diese Mediziner und Wissenschaftler hatten mit Kultus- und Gesundheitsministerium den Hygieneplan entwickelt. Dass dieser nicht in Stein gemeißelt ist, sagt auch Matthias Keller, Chef der Passauer Kinderklinik Dritter Orden. Als Vorsitzender der Süddeutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin ist er Teil der Arbeitsgruppe. Im Ringen um Bildung und Gesundheitsschutz sei ein Kompromiss entstanden, der weiter evaluiert werden müsse. Die Schniefnasen-Regeln für die Schulen werden gerade präzisiert. Schulleiter hatten sich über zu "weiche Faktoren" beklagt. Das "Wording" der Mediziner sei nicht präzise genug im Rahmenplan angekommen, sagt auch Keller. Zum Wohle der Kinder sieht er die Erwachsenen in der Pflicht: Die Fallzahlen hingen stark vom Verhalten der Gesellschaft ab.

Dass weitere Quarantänephasen auf die Schulen zukommen, ist sicher. "Das ist leider ein Teil der neuen Realität", sagt auch Piazolo, von "Normalität" wolle er nicht sprechen. Insgesamt sei der Schulstart aber gelungen. Dabei sind derzeit 283 Schüler und 42 Lehrer nachweislich infiziert. 6992 Schüler sowie 752 Pädagogen befinden sich in Quarantäne. Vier Schulen sind geschlossen. Verglichen mit 1,65 Millionen Schülern und 150 000 Lehrern an 6200 Schulen seien das "Einzelfälle", sagt der Schulminister. 98 Prozent der Kinder seien noch im Präsenzunterricht und die anderen lernten daheim weiter.

Die Lehrer sind froh über den Wegfall der pauschalen Maskenpflicht. Viele hätten über Kopfschmerzen und Schwierigkeiten in Fremdsprachen geklagt, sagte Philologenchef Michael Schwägerl. Er forderte abermals Luftreinigungsgeräte für die Schulen. Rückenwind kommt von der Landtags-FDP: Matthias Fischbach fordert 1000 Geräte, weil Lüften alleine nicht ausreiche. Die SPD wünscht, dass die Wirksamkeit der Corona-Regeln laufend überprüft wird. Über Luftreinigungsgeräte werde gesprochen, sagte Piazolo. Eine schnelle Lösung sei nicht zu erwarten.

© SZ vom 19.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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