Impfstrategie des Freistaats:"Es ist sehr mühsam"

Coronavirus - Impfung in einer Hausarztpraxis

Bei einem Pilotprojekt des Landkreises Hof impfen Hausärzte, wie hier in Naila, bereits in ihren Praxen.

(Foto: Nicolas Armer/dpa)

Der Gesundheitsminister sieht die Hausärzte als "zweite Säule" der Impfstrategie. Die Mediziner selbst sind froh, dass es losgeht. Doch sie fürchten die Bürokratie - und teils auch die Patienten.

Von Thomas Balbierer, Florian Fuchs und Matthias Köpf

So hatte sich Annette Stoidner-Amann das mit dem Impfen nicht vorgestellt. Die Hausärztin aus Hof darf seit dieser Woche Patientinnen und Patienten in ihrer Praxis gegen das Coronavirus impfen. Die Stadt ist einer der am stärksten betroffenen Corona-Hotspots Deutschlands, am Freitag lag die Sieben-Tage-Inzidenz bei 351. Das Impfen soll hier besonders schnell gehen. Also bekamen am Donnerstag zehn Impfwillige ihre erste Spritze in Stoidner-Amanns Hausarztpraxis. "Die waren natürlich unendlich froh", sagt die Ärztin. Doch von Begeisterung ist bei ihr selbst nichts zu spüren. "Es ist sehr mühsam", sagt sie über den Impfstart - und meint vor allem die damit verbundene Bürokratie.

Rund 200 Hausarztpraxen nehmen momentan an dem Modellversuch in Bayern teil, Patienten in ihren Räumen zu impfen. Von April an, verkündete Gesundheitsminister Klaus Holetschek am Freitag, sollen die Hausärzte flächendeckend "die zweite Säule der bayerischen Impfstrategie" bilden und so ein flexibles System schaffen - dann laut Ärzteverbänden mit weniger Bürokratie und der Möglichkeit, von der bislang geltenden, starren Impfpriorisierung abzuweichen.

So mancher Hausarzt sorgt sich jedoch, dass Frustration und Ärger bei Impfwilligen ausbricht, die er nicht sofort an die Reihe nehmen kann. Gerade Anfang April wird der Impfstoff weiter knapp sein. Denn auch wenn die Ärzte grundsätzlich selbst entscheiden dürfen, wen sie prioritär impfen, werden sie sich wie bei allen anderen Impfungen auch an die Vorgaben der Ständigen Impfkommission und des Robert-Koch-Instituts halten.

Den weiterhin bestehenden Mangel an Impfstoff beklagte am Freitag auch Ministerpräsident Markus Söder. Gesundheitsminister Holetschek erwartet dennoch, dass durch die Einbindung der Hausärzte und auch der Apotheken als Logistikpartner "insbesondere chronisch Kranke, mobilitätseingeschränkte Menschen und immobile Menschen profitieren" werden. Den bayerischen Impfzentren sollen von April an 350 000 Dosen pro Woche zur Verfügung stehen, um die bereits vergebenen Termine weiterhin einhalten zu können. Darüber hinausgehende Lieferungen werden laut Gesundheitsministerium den Arztpraxen im Zuge der Regelversorgung zur Verimpfung zur Verfügung gestellt. In der Woche nach Ostern könnten dies bereits rund 121 000 Impfdosen sein, wobei sich die wöchentlichen Lieferungen im Verlauf des April und Mai stetig erhöhen werden. "Darüber bin ich sehr froh, denn die Ärzte kennen ihre Patienten am besten ", sagt Holetschek.

Genau das ist bereits seit Wochen das Argument der Ärzteverbände, warum sie endlich in den Impfprozess einsteigen wollen. Und laut Forderung der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK) selbst die Priorisierung ihrer Patientinnen vornehmen wollen. "Es ist fraglich, ob die Priorisierung per Computerprogramm medizinisch gesehen in jeder Situation sinnvoll ist", sagt auch Markus Beier, Landesvorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbandes.

Sitzung des bayerischen Kabinetts

Minister Klaus Holetschek.

(Foto: Matthias Balk/dpa)

Als etwa das Vakzin von Astra Zeneca noch nicht an Menschen über 65 Jahren abgegeben werden sollte, seien vom Algorithmus auch Menschen mit leichten Autoimmunerkrankungen ausgewählt worden. "Da fallen mir allein in meiner Praxis auf Anhieb viele Patienten ein, die dringender geimpft werden müssten", sagt Beier. Die Hausärzte, kündigt er an, würden sich an die bisher geltenden Priorisierungen halten und abweichen, wenn es sinnvoll sei. Als Beispiel nennt der Hausärztechef eine junge Patientin, die gerade eine Chemotherapie durchläuft.

Am Reizthema Priorisierung setzen allerdings Befürchtungen von Hausärzten an, unter anderem aus dem Landkreis Altötting. Dort bekräftigten sie am Freitag noch einmal, grundsätzlich gerne, aber nicht unter den derzeitigen Bedingungen impfen zu wollen. Denn die vorgegebene Priorisierung sei nur sehr schwer durchzusetzen, "ohne permanent mit den Leuten rumzustreiten", sagt Jan Erik Döllein. Er werde schon jetzt jeden Tag viele Male auf eine Impfung angesprochen - und zwar oft von jüngeren Patienten zwischen 20 und 40. Der Neuöttinger Hausarzt ist nicht nur Sprecher seiner Kollegen im Landkreis, sondern koordiniert schon seit dem ersten Ausrufen des Katastrophenfalls im vergangenen Frühjahr unter wechselnden Funktionsbezeichnungen den ärztlichen Kampf gegen die Pandemie.

Ganz zerstreuen können Ärzteverbände solche Befürchtungen nicht. "Wir hoffen, dass die Patienten Verständnis haben, dass trotzdem priorisiert werden muss", heißt es etwa bei der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns. Die Landesärztekammer schreibt auf Anfrage, dass "zwischen Patienten und ihren Hausärzten eine besondere Vertrauensbeziehung" bestehe und dass Patienten es befürworten würden, wenn gefährdetere Personen vorgezogen werden. Allerdings werden sich zwischen den Praxen zwangsläufig unterschiedliche Geschwindigkeiten ergeben: Wenn ein Arzt weniger 70-Jährige im Patientenstamm hat, wird er früher als andere anfangen, jüngere Impfwillige zu versorgen.

Die organisierten Ärzte in Altötting, aber auch Annette Stoidner-Amann aus Hof stören sich aber ebenso an dem immensen Bürokratieaufwand. Die Medizinerin will nicht falsch verstanden werden: Dass Hausärzte ins Impfen einsteigen, hält sie für wichtig. "Wir wollen das." Vor jeder Impfung müsse sie aber umfangreiche Formulare ausfüllen, etwa 20 Minuten dauere der ganze Prozess.

Beier vom Hausärzteverband will deshalb von April an Impfungen gegen Sars-CoV-2 dokumentieren wie jede andere Impfung - indem sie in den Impfpass eingetragen wird. Im Übrigen will er eine digitale Strichliste führen, damit die Statistikämter einen Überblick behalten, wie viele Impfungen durchgeführt wurden. Die Landesärztekammer teilt mit, dass zur Frage der Dokumentation gerade ein Abstimmungsprozess laufe. Die BLÄK sei hoffnungsvoll, "dass in den nächsten Tagen ein gangbarer Weg gefunden wird, im Rahmen dessen sichergestellt wird, dass die impfenden Ärztinnen und Ärzte nicht durch komplizierte Formen der Dokumentation zusätzlich belastet werden."

Grundsätzlich sind sich Hausärzte einig, dass die Impfungen in ihren Praxen nicht nur den Vorteil haben, dass sich die Impffrequenz erhöht - solange Vakzine geliefert werden. Die Hoffnung ist auch, den einen oder anderen Impfskeptiker zu überzeugen: "Wer zu einem Arzt ein langjähriges Vertrauensverhältnis hat, wägt eher ab, ob er im Internet kursierenden Horrormeldungen glaubt oder dem von seinem Arzt vermittelten Fakt, dass man bei einer Infektion mit Corona einen schweren Verlauf haben könnte", sagt ein Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns.

Möglichst viele Menschen zu impfen, ist notwendig, um eine sogenannte Herdenimmunisierung zu erreichen. Gesundheitsminister Holetschek kündigt deshalb an, dass in einem nächsten Schritt auch Betriebsärzte ins Impfsystem eingebunden werden - um zahlreiche Angestellte großer Firmen zu erreichen.

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