Süddeutsche Zeitung

Pandemiebekämpfung:Koalition streitet über Bundeslockdown

Während Ministerpräsident Markus Söder bereits seine Zustimmung signalisiert hat, lehnen die Freien Wähler mehr Kompetenzen für den Bund ab. Die Auslastung der Intensivstationen nähert sich wieder dem Limit.

Von Dietrich Mittler und Christian Sebald

In der bayerischen Regierungskoalition ist ein Streit um die Neufassung des Bundesinfektionsschutzgesetzes ausgebrochen, mit der Berlin einen verschärften Lockdown durchsetzen will. Ministerpräsident Markus Söder hat bereits die volle Unterstützung Bayerns für eine eventuelle Abstimmung im Bundesrat signalisiert - ohne zuvor mit den Koalitionspartnern von den Freien Wählern darüber zu beraten. Hubert Aiwanger als Vize-Regierungschef und der FW-Fraktionschef Florian Streibl lehnen erweiterte Kompetenzen für den Bund strikt ab. Er habe "keine Lust, dieser Machtverlagerung von Bayern nach Berlin zuzustimmen", sagte Aiwanger der Passauer Neuen Presse.

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) unterstützt dagegen den sogenannten Bundeslockdown: "Ich halte es für unabdingbar, dass man jetzt unabhängig von jeder Parteipolitik tätig wird", sagte Holetschek am Montag. Jetzt sei nicht die Zeit, über Grundsatzfragen des Föderalismus zu debattieren. Die Fallzahlen seien besorgniserregend und die Pflegekräfte in den Krankenhäusern "wieder am Limit". Die Politik müsse jetzt beweisen, dass sie handlungsfähig ist und dass nun alle Kräfte an einem Strang ziehen. "Wer davor die Augen verschließt, der muss sich jetzt fragen lassen, wo sein Weg hinführt", sagte Holetschek. "Wir brauchen jetzt eine Zäsur, um mit den Corona-Fallzahlen wieder runterzukommen." Durch Impfungen allein, so beachtlich die Fortschritte auch seien, lasse sich die dritte Welle aber nicht aufhalten.

Ähnlich äußerte sich Bernhard Seidenath (CSU), der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bayerischen Landtag: Er betonte, auch als überzeugter Föderalist führe für ihn im Kampf gegen Corona kein Weg daran vorbei, Kompetenzen nach Berlin abzugeben. Falls der bundesweite Lockdown tatsächlich ein Fall für den Bundesrat werde, "dann wird sich der Freistaat Bayern eben enthalten müssen", so Seidenath nüchtern. Das würde an den Mehrheitsverhältnissen in diesem Fall nichts ändern, sagt Seidenath.

Dagegen bezeichnete FW-Fraktionschef Florian Streibl die Berliner Pläne als schweren Fehler, weil mit ihnen der Konsens obsolet werde. Die Pandemiebekämpfung habe ein Jahr lang gut im föderalen System funktioniert. Die bisherige Einbindung der Ministerpräsidenten sei ein gigantischer demokratischer Konsens gewesen, den es zuvor so noch nicht in der Bundesrepublik gegeben habe, sagte Streibl. Dieser Konsens ist aus seiner Sicht "essenziell für die Akzeptanz" der Anti-Corona-Politik in der Bevölkerung.

Besonders verärgert sind die Freien Wähler darüber, dass der aktuelle Gesetzesentwurf neuerliche Verschärfungen für den Einzelhandel vorsieht. Danach sollen die Geschäfte wieder schließen, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz in einer Region drei Werktage lang den Wert 100 übersteigt. Damit würde die Entscheidung der Staatsregierung sofort wieder hinfällig, den Einzelhandel bei einer Inzidenz zwischen 100 und 200 geöffnet zu lassen, wenn die Kunden in Geschäften einen Termin buchen und einen negativen Corona-Test vorlegen. Die Staatsregierung hatte diese Erleichterung, die der Einzelhandel sehr begrüßt, erst vergangene Woche beschlossen. FW-Chef Hubert Aiwanger gab sich Montag zurückhaltend. "Bisher haben wir die Dinge nur aus der Zeitung gelesen", teilte er mit. "Wir müssen jetzt erst einmal abwarten, was überhaupt Sache ist und am Dienstag mit der CSU sprechen."

Am Wochenende hatte sich Aiwanger im Zeitungsinterview noch mit harschen Worten geäußert: "Der Bund soll sich bei der Corona-Politik um die Dinge kümmern, für die er zuständig ist und wo er bisher versagt hat", sagte er. Als Beispiele nannte er Beschaffung von Impfstoff, genügend gute Masken, bessere Bezahlung von Pflegekräften. Auch das jüngste "Chaos" um die mehrtägige Osterruhe hat aus Aiwangers Sicht gezeigt, "dass es kein Vorteil ist, wenn bundesweit alle einheitlich denselben Fehler machen sollen, weil es die Zentrale beschlossen hat".

In Bayern spitzt sich die Pandemie derweil zu. Am Montag meldete das RKI ein Plus von 3296 Infektionen und 23 Corona-Toten für den Freistaat, die Sieben-Tage-Inzidenz in Bayern stieg auf 153. Nur noch elf der 96 kreisfreien Städte und Landkreise unterschritten die Inzidenzzahl 100, oberhalb der sie die Notbremse ziehen müssen. Nach dem Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) wurden am Montag 767 Corona-Patienten in bayerischen Kliniken behandelt, 446 oder 58,2 Prozent von ihnen mussten beatmet werden. Laut Divi waren nur noch 199 Intensivbetten für Corona-Patienten frei. Eine gute Nachricht gibt es dagegen von den Corona-Impfungen. Laut RKI sind bis einschließlich Sonntag in Bayern 2 949 966 Impfdosen verabreicht worden. Davon waren 2 095 834 Erstimpfungen und 854 132 Zweitimpfungen. Damit haben bis Sonntag 16 Prozent der Bevölkerung in Bayern mindestens eine Impfung gegen Covid-19 bekommen.

Bayerns Krankenhäuser sind mit die ersten, die es zu spüren bekommen, wenn die Fallzahlen wieder hochschnellen. Hier wächst die Sorge vor einer Überlastung. "Wenn die Politik jetzt nicht gegensteuert, dann sind wir in 14 Tagen bei der Bettenbelegung mit Corona-Patienten sogar über den Höchstwerten, die wir zur Jahreswende hatten", warnt Roland Engehausen, der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG). Begriffe wie "dritter Lockdown", "harter Lockdown" oder "Wellenbrecher-Lockdown" - das alles seien "doch nur Wortspielereien", so Engehausen. "Unser eigentliches Problem ist, dass wir zwar einen Lockdown haben, aber die Straßen und Plätze voll sind", sagt er. Sprich: Es gelte endlich umzusetzen, dass sich jeder auch tatsächlich an die Vorgaben halte. "Das ist die wirkliche Herausforderung, vor der die Politik augenblicklich steht", betont Engehausen.

Es gelte, die Abstandsregeln umzusetzen - und dazu gehörten eben auch Kontrolle. "Vor einem Jahr sind Polizeiautos durch die Parks gefahren, ich sehe keine mehr", führt der BKG-Geschäftsführer schließlich als Beispiel auf. Das sei nun kein Plädoyer dafür, dass wieder mehr Streifen durch Parks fahren müssen, sondern vielmehr ein Appell, dass der Staat entschlossener im Alltag auf die Einhaltung der Abstandsregelungen achte. "Die sind das A und O", sagt Engehausen.

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SZ vom 13.04.2021/syn
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