Süddeutsche Zeitung

Hilfsbereitschaft:Zwangspause fürs Ehrenamt

Viele Vereine in Bayern leiden derzeit unter Corona - die Mitglieder bleiben aus. Einige soziale Initiativen bekommen indes unerwarteten Zulauf.

Von Elena Kolb

Für Monika Wetter ist ehrenamtliche Arbeit ein wichtiger Teil ihres Lebens. In den zurückliegenden Monaten ging sie damit ein Risiko ein. Als 78-jährige gehört sie zu jenen, die in Corona-Zeiten als besonders gefährdet gelten. Das hält sie aber nicht davon ab, über die Nachbarschaftshilfe Rosenheim Senioren zu betreuen. "Das Kaffeetrinken mit mir auf der Terrasse oder der Ausflug zum Supermarkt sind für die Senioren in gesellschaftlicher Isolation noch wichtigere Abwechslungen im Alltag geworden", sagt sie. Wetter ist seit zwölf Jahren in der Nachbarschaftshilfe aktiv.

Doch nicht alle Ehrenamtlichen im fortgeschrittenen Alter können oder wollen sich augenblicklich engagieren - und das betrifft längst nicht nur die Nachbarschaftshilfen. Viele Vereine stellt Corona vor eine harte Probe. Welche Dimension dieses Problem landesweit tatsächlich hat, erschließt sich aus der Zahl, die das Innenministerium auf seiner Homepage nennt: Fast 5,2 Millionen Menschen im Freistaat sind ehrenamtlich tätig.

"Viele Rentner pausierten mit dem Beginn der Pandemie erst mal", sagt Hans Schmöller, der Referent der bayerischen Ehrenamtsbeauftragten. Da Senioren einen großen Teil dieser Gruppe ausmachten, die hier ein Ehrenamt ausüben, müssen nun Jüngere einspringen. Nicht immer verlaufe das reibungslos, lautet Schmöllers Bilanz. Zum einen liege das daran, dass das Interesse von jüngeren Menschen eher kurzfristig und aktionsgebunden sei. Zum anderen höre er auch davon, dass sich gehäuft Generationenkonflikte ergäben.

Und: Gerade bei Corona-Nachbarschaftshilfen sei die hohe Motivation vom vergangenen Frühjahr in letzter Zeit wieder abgeflacht, sagt Schmöller. Das habe aber auch daran gelegen, dass nur wenige Rentner die Angebote der Nachbarschaftshilfe wahrnahmen.

Mit diesem Problem hatte die Corona-Nachbarschaftshilfe im oberbayerischen Fürstenfeldbruck nicht zu kämpfen: Nach einem Jahr mit Corona seien bei ihnen im Landkreis immer noch circa 1700 Helfer aktiv, sagt Monika Graf, die Gründerin des Netzwerks. Die Nachfrage für Einkaufshilfen, Kinderbetreuung oder Gassigehen sei mit der dritten Corona-Welle wieder stark gestiegen.

"Wir merken, dass mehr junge Leute betroffen sind und vor allem die Kinderbetreuung gefragt ist", sagt Graf. Sie ist eigentlich Eventmanagerin - hat aber jetzt angesichts der durch Corona abgesagten Veranstaltungen viel Zeit für ehrenamtliches Engagement. Sie glaubt nicht, dass das Netzwerk nach Corona verschwinden wird: "Es haben sich so viele wertvolle Kontakte gebildet", sagt sie. Die Stadt sei "lebens- und liebenswerter" geworden.

"Gerade im sozialen Bereich konnte bürgerschaftliches Engagement am ehesten weiter funktionieren. Aber andere Bereiche wie Sport, Musik oder Kultur liegen weiterhin größtenteils brach", sagt Hans Schmöller. Einige Vereine hätten mit einem starken Mitgliederverlust zu kämpfen. "Man muss befürchten, dass sich viele Menschen vom Ehrenamts-Gedanken entfernen", glaubt Schmöller. Corona zwinge viele, ihre Freizeit anders zu gestalten. "Die Leute merken, dass man auch einfach Wandern gehen kann und nicht zur Mitgliederversammlung muss."

Überdies würden sich in den Vereinen Tendenzen verstärken, die es schon vor Corona gab: fehlender Nachwuchs, zu wenig Frauen in Vorstandspositionen. Andererseits brachte Corona aber auch "erzwungene Chancen" - so etwa die Digitalisierung der Vereinsstrukturen. Auch sonst geht es wieder aufwärts: "Mit Hygienekonzepten, Abstandsregeln und FFP2-Masken fingen wieder Rentner an, bei uns auszuhelfen", bestätigt Ekkehard Messow, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Tafel in Würzburg.

Bei ihnen habe Corona sogar für einen Schub gesorgt. Unter seinen 140 Ehrenamtlichen seien gut 40 Neuzugänge. "Wir müssen uns gerade nicht mehr so stark wir früher um Nachwuchs kümmern", sagt er. Zu den Neuen gehörten auch Kurzarbeiter oder Studenten, die einen Ausgleich zur virtuellen Welt suchten.

Bei der Bahnhofsmission Regensburg indes kann die Arbeit seit einem Jahr nur sehr eingeschränkt stattfinden: Es gibt zwar noch eine Essensausgabe - aber keine Aufenthaltsmöglichkeiten mehr für Besucherinnen und Besucher. "Ohne den direkten Kontakt zu diesen Menschen geht für die Ehrenamtlichen viel verloren", sagt Anton Stadler, der Leiter der Bahnhofsmission. Es fehle zudem der Austausch untereinander: "Weder Sommerfest noch Weihnachtsfeier fanden für das Team statt", sagt Stadler.

Dennoch habe auch die Bahnhofsmission Regensburg angesichts der Pandemie neue Mitglieder bekommen. Er vermutet, dass das Interesse durch mehr Medienberichte über die Probleme von Obdachlosen gewachsen ist.

Nachbarschaftshelferin Monika Wetter unternimmt unterdessen die letzten Vorbereitungen für das Osterfest. Im Moment färbt sie noch einige Ostereier für die Senioren. Sie kenne eine Technik, mit der die Eier besonders schön marmoriert aussähen. "Ich bin immer auf die Sonnenseite des Lebens gefallen, dafür möchte ich etwas zurückgeben", sagt sie. Das Ehrenamt bringe ihr "Freude und Dankbarkeit - auch mit Corona". Und außerdem: Bald werde sie ja geimpft.

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SZ vom 03.04.2021/infu
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