Corona-Maßnahmen in Bayern:"Alles steht unter der Überschrift Daheimbleiben"

Die bayerische Corona-Landkarte zeigt ausschließlich die Ampelfarbe Rot - das nimmt Ministerpräsident Markus Söder zum Anlass, die Maßnahmen erneut zu verschärfen. Die stillen Nächte werden noch stiller.

Von Andreas Glas und Matthias Köpf

Es ist Sonntag, 6. Dezember, Nikolaustag. Doch das Büchlein, das Markus Söder mitgebracht hat, ist nicht golden, wie beim Nikolaus, sondern dunkelblau. Der Ministerpräsident tritt ans Rednerpult, klappt das Büchlein auf und sagt: "Die Lage ist leider ernst, es reicht einfach nicht, wir müssen mehr tun, wir müssen handeln." Spätestens jetzt ist klar: Das Manuskript im blauen Büchlein enthält keine guten Nachrichten für die Menschen in Bayern. Die ohnehin schon stillen Pandemietage und -nächte werden bald noch stiller, das ist Söders Botschaft. Konkret heißt das: Von kommendem Mittwoch an gelten überall in Bayern strenge Ausgangsbeschränkungen, in Corona-Hotspots sogar Ausgangssperren.

"Alles steht unter der Überschrift Daheimbleiben", sagt Söder (CSU), "einfach Daheimbleiben, Kontakte reduzieren, Kontakte vermeiden". Für die Menschen in Landkreisen und kreisfreien Städten mit einer Sieben-Tage-Inzidenz unter der 200er-Marke bedeutet dies, dass sie ihre Häuser und Wohnungen "nur noch mit triftigen Gründen" verlassen dürfen, wie es im Beschlusspapier des Kabinetts heißt. Die neuen Kontaktregeln seien "nahezu gleich wie im Frühjahr", sagt Söder, was nicht ganz stimmt. Denn bei genauem Hinsehen gibt es sehr viele triftige Gründe.

Etwa berufliche Tätigkeiten, Arztbesuche, Gottesdienste. Selbst der Besuch eines weiteren Haushalts bleibt erlaubt, wenn sich nicht mehr als fünf Personen treffen, Kinder nicht mitgerechnet. Besuche bei Lebenspartnern, alten und kranken Menschen bleiben ebenfalls möglich, auch die Begleitung Sterbender, die Versorgung von Kindern und Tieren sowie Sport und Weihnachtseinkäufe. Allerdings gilt im Freien ein Alkoholverbot.

Deutlich härter sind die Regeln künftig in Regionen, in denen die Inzidenzzahl 200 Neuinfektionen je Woche und 100000 Einwohner überschreitet. Überall dort tritt eine nächtliche Ausgangssperre in Kraft, von 21 Uhr abends bis fünf Uhr morgens, mit weniger Ausnahmen. Neben dem Weg zur Arbeit dürfen die Menschen nachts nur noch in medizinischen Notfällen raus oder um ihr Sorgerecht wahrzunehmen, unterstützungsbedürftige Personen zu begleiten und Tiere zu versorgen.

Lediglich um Weihnachten von 23. bis 26. Dezember sollen die Kontaktbeschränkungen gelockert werden. Bayern sei "ein christlich geprägtes Familienland", sagt Söder. Es sei "wichtig, dass wir Familien feiern können", auch für Christmessen soll es Ausnahmeregelungen geben. Den ursprünglichen Plan, auch an Silvester mehr Kontakte zu erlauben, hat die Staatsregierung dagegen am Sonntag verworfen.

Warum die Eile? Man müsse jetzt einfach handeln, sagt Söder

Söder hat alle überrascht, als er sein Kabinett kurzfristig zur Videoschalte lud, am Freitag war das. Nur einen Tag zuvor hatte er gesagt, er wolle die Wirkung des Teil-Lockdowns noch zehn Tage beobachten und erst danach über weitere Maßnahmen beraten. Aber dann ging plötzlich alles ganz schnell. Kaum war die Einladung draußen, war jedem klar, dass es nicht um Details gehen würde, wie zuletzt um die Frage, ob Langlaufloipen nun gesperrt bleiben oder nicht. Wenn ein Ministerpräsident sein Kabinett an einem Sonntag einbestellt, dann ist das ein Statement: Es ist Eile geboten, ein Notfall, die Regierung muss sofort handeln. Und so kommt es nun ja auch. Wie bereits im Frühjahr ruft Söder den landesweiten Katastrophenfall aus. Das ermögliche dem Freistaat, die "gesamte Krankenhaussituation bayernweit besser steuern zu können", sagt Söder.

Die Lage in den Kliniken sei auch der Hauptgrund, der die Staatsregierung zu den neuen, noch strengeren Maßnahmen bewogen habe, sagt Söder. Vor ein paar Tagen habe er noch "gehofft, dass wir länger Zeit haben". Doch die Zahl der Toten steige, die Infektionszahlen "gehen einfach nicht runter", die Kliniken seien zunehmend überlastet. "Wir haben einen Schutzauftrag", sagt Söder, jeder Tote tue ihm "in der Seele weh". Man müsse jetzt einfach handeln, "die Zeit der Schlupflochsuche ist vorbei". Der Ministerpräsident rief alle Arbeitgeber dazu auf, ihre Mitarbeiter wenn möglich ins Home-Office zu schicken.

Auch die Schülerinnen und Schüler in Bayern müssen sich nun wieder umstellen. An allen Schulen gilt ab der achten Klasse ein Wechsel aus Präsenzunterricht und digitalem Distanzunterricht - für Abschlussklassen gilt das nicht. In Hotspots mit einer Sieben-Tage-Inzidenz über der 200er-Marke sollen die Schüler ab der achten Klasse komplett in den Distanzunterricht wechseln. Berufsschüler müssen überall in Bayern in den Distanzunterricht.

Am Dienstag soll der Landtag über die Regeln abstimmen

Für Alten- und Pflegeheime hat das Kabinett ebenfalls schärfere Auflagen beschlossen. Die Bewohner dürfen dort künftig nur noch einen Besucher pro Tag empfangen. Jeder Besucher muss einen negativen Corona-Test vorweisen und eine FFP2-Maske tragen. Dazu soll das Pflegepersonal zweimal pro Woche getestet werden. Einen negativen Corona-Test braucht künftig auch jeder, der aus den Nachbarländern in den Freistaat einreist. Nur für Berufspendler gilt keine Testpflicht, ebenso wenig für diejenigen, die über die Grenze fahren, um enge Familienmitglieder besuchen. Insbesondere in der Nähe zu Österreich und Tschechien sieht Söder einen der Hauptgründe für die hohen Infektionszahlen in Bayern.

Alle Maßnahmen, auf die sich das Kabinett verständigt hat, sollen am kommenden Mittwoch in Kraft treten. Am Dienstag soll noch der Landtag zustimmen. "Würde der Landtag nicht zustimmen, tritt es nicht in Kraft", sagt Söder über das neue Maßnahmenpaket, das zunächst bis zum 5. Januar gelten soll. Schließungen im Handel sieht dieses Paket nicht vor - auch das war im Frühjahr anders. Die Behörden sollen in Geschäften aber stärker kontrollieren, ob die Abstandsbeschränkungen eingehalten werden.

Die Corona-Landkarte des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) zeigte am Sonntag ausschließlich die Ampelfarbe Rot - mit den dunkelsten Tönen in Nürnberg mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 351 sowie im östlichen Niederbayern, wo das LGL im Kreis Regen (593) und in Passau (439) die höchsten Werte verzeichnete. Über dem Hotspot-Wert lagen mehrere Städte und Landkreise, in denen zusammen mehr als drei Millionen Menschen leben. Nach diesem Stand vom Sonntag dürfte damit von Mittwoch an fast jeder vierte Bewohner des Freistaats nachts nicht mehr auf die Straße gehen.

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