Es war eine kurze Nacht für Markus Söder. Oder eine lange, mit wenig Schlaf, je nach Perspektive. Als der Ministerpräsident am Donnerstag das Münchner Prinz-Carl-Palais betritt, ist es keine 15 Stunden her, da saß er noch in Berlin, neben der Kanzlerin, mit schiefer Krawatte. Man sei "einen deutlichen Schritt vorangekommen", sagte Söder (CSU) nach der Konferenz im Kanzleramt, in der Bund und Länder acht Stunden lang um einen gemeinsamen Kurs in der Corona-Politik gerungen hatten. Er sagte aber auch: "Ob das reicht, ist meiner Meinung nach offen." Er sah unzufrieden aus. Und jetzt, 15 Stunden später? Sitzt Söders Krawatte wieder tadellos. Aber seine Laune hat sich über Nacht nicht gebessert.
"Es war noch nicht der große Ruck", sagt Söder, der zwei Tage zuvor am selben Rednerpult genau das gefordert hatte: einen Ruck, einen "großen Wurf" bei bundeseinheitlichen Corona-Regeln. Nun sagt er, dass die "Geschwindigkeit der Beratungen noch nicht ganz synchron ist zur Geschwindigkeit der Pandemieentwicklung". Söder steht neben einem Bildschirm, darauf zu sehen: eine Landkarte von Europa. Fast alles dunkelrot, nur in der Mitte ein großer, gelber Fleck: Deutschland. "Die Zahlen explodieren", die Infektionen seien "immer dramatischer, immer deutlicher, wuchtiger". Der Beschluss der Bund-Länder-Konferenz könne nur "ein Mindestbeschluss" sein, sagt Söder. Und: "Ein Mehr ist natürlich im Interesse der Bekämpfung." Das ist es dann auch, was der Ministerpräsident am Donnerstag nach einer Sondersitzung seines Kabinetts verkündet: mehr Beschränkungen für Bayern.
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Die schärferen Corona-Regeln präsentiert Söder ebenfalls auf dem Bildschirm neben ihm. Darauf ist jetzt zu sehen: eine Ampel und drei farbige Balken. Liegt die Sieben-Tage-Inzidenz in einer Stadt oder einem Landkreis unter 35 Neuinfektionen pro 100000 Einwohner (grün), ändert sich nichts an den Regeln, die derzeit in Bayern gelten. Wo der Wert über 35 steigt (gelb), soll es von diesem Samstag an aber strengere Regeln geben: Kontakte und private Feiern werden auf zehn Personen oder zwei Haushalte begrenzt, ab 23 Uhr gilt eine Sperrstunde in der Gastronomie und Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen.
Auf diese Regeln hatten sich die Ministerpräsidenten in Berlin verständigt - allerdings erst ab einem 50er-Inzidenzwert (rot). Der Freistaat greift bei Feiern, Sperrstunde und Alkoholverbot also strenger durch. Bei der Maskenpflicht, die künftig ab einem 35er-Wert überall gelten soll, wo Menschen länger dicht zusammenkommen, orientiert sich Bayern dagegen am Berliner Beschluss. Was damit zu tun haben dürfte, dass diese Regel zu Söders Kernforderungen gehörte, mit denen er ins Kanzleramt gefahren war. Überhaupt betont er, dass die in Berlin vereinbarten Regeln "die unsrigen" gewesen seien. Dass also in Bayern schon länger "der Instrumentenkasten" gelte, den Söder seit Wochen mantrahaft vor sich herträgt: mehr Maske, weniger Alkohol, weniger Feiern.
Strenger als im Berliner Beschluss lesen sich auch die Maßnahmen, die in Bayern künftig greifen sollen, wenn der Inzidenzwert über die kritische Marke von 50 Neuinfektionen steigt: Sperrstunde und Alkoholverbot bereits ab 22 Uhr, Kontakt und private Feiern nur noch mit maximal fünf Personen oder zwei Hausständen. Über die verschärften Regeln sagt Söder: "Dies gilt nicht für ewig, sondern wir machen das jetzt mal für die nächsten vier Wochen, und dann überprüfen wir." Man sei "einem Lockdown näher als wir das wahrhaben wollen". Ob es gelinge, noch strengere Maßnahmen zu vermeiden, "steht und fällt damit, wie wir uns alle verhalten". Söder spricht von einer "Bewährungsprobe" und fordert Solidarität: "Alles funktioniert nur miteinander."
Am umstrittenen Beherbergungsverbot, das auch in Bayern gilt, will Söder festhalten, zumindest bis zum 8. November, dem Ende der Herbstferien. Man werde sich aber das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs in Baden-Württemberg "sehr genau" anschauen, wo das Beherbergungsverbot am Donnerstag gekippt wurde. "Träfe das auch auf Bayern zu", sagt Söder, "dann müssen wir auch reagieren." Er verweist zudem darauf, dass die Ministerpräsidenten und der Bund im November erneut beraten wollen, mit dem Ziel, eine einheitliche Regelung zu finden. Derzeit sei es jedenfalls "keine gute Idee, kreuz und quer durchs Land zu reisen".
Wegen der hohen Infektionszahlen in den Nachbarstaaten werde man sich auch "noch mal mit der Grenzsituation beschäftigen müssen", kündigt der Ministerpräsident an. Denkbar sei ein Modell wie im Landkreis Cham, mit verpflichtenden Corona-Tests für Berufspendler. "Wir wollen die Grenzen offen halten", sagt Söder, aber noch seien offene Fragen zu klären. Was er am Donnerstag noch sagt: dass die tschechische Regierung den Freistaat gebeten habe, Intensivbetten für Corona-Patienten zur Verfügung stellen. "Was wir natürlich tun werden", sagt Söder, der außerdem betont, dass Weihnachtsmärkte in Bayern wohl eher nicht stattfinden könnten, sollte die 50er-Inzidenz am jeweiligen Ort überschritten sein.
Dass sich am kommenden Samstag bis zu 400 Mitglieder des Jagdverbandes zu ihrer Landesversammlung in Nürnberg treffen, darunter CSU-Landtagsabgeordnete und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler), das liege ihm "schwer im Magen", sagt Söder dann noch. Es müsse wirklich sehr genau auf die Hygieneregeln geachtet werden. Aiwanger, der bei der Pressekonferenz neben Söder steht, verspricht, "ein Auge drauf" zu haben, dass "alles richtig gemacht wird". Auch Weihnachtsmärkte hält Aiwanger mit entsprechenden Hygienekonzepten für "durchaus möglich und durchführbar".