Süddeutsche Zeitung

Coronavirus in Bayern:Wie private Feiern die Pandemie antreiben

Legale Privatpartys stehen im Verdacht, einen Großteil des Infektionsgeschehens im Freistaat zu verursachen. Regeln allein reichen offenbar nicht aus.

Von Sara Maria Behbehani

Die Anzahl der Neuinfektionen im Freistaat steigt rasant. Am Freitag kamen 1108 neue Fälle hinzu. Insgesamt 16 Orte in Bayern sind mit mehr als 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner inzwischen ein Corona-Hotspot. Unter anderem gelten private Feiern als Treiber der Pandemie.

Damit sind keineswegs illegale Partys gemeint, wie sie zuletzt in Bodenkirchen stattfanden. Dort nahmen an einem "Oktoberfest" mindestens 120 Gäste teil. Der Veranstalter, der seinen 30. Geburtstag feiern wollte, hat sich inzwischen öffentlich entschuldigt, da aus seiner Feier 20 Infektionen mit dem Coronavirus hervorgingen. Bodenkirchens Erste Bürgermeisterin Monika Maier sprach von verantwortungslosem Verhalten.

Doch solch illegale Partys bleiben eher die Ausnahme und sind zu unterscheiden von erlaubten privaten Feiern. Zuletzt rissen der Landkreis Regen, das Berchtesgadener Land und die Stadt Memmingen die Sieben-Tage-Inzidenz von 50 Neuinfektionen. Das Berchtesgadener Land hat inzwischen gar eine Inzidenz von 134,05 aufzuweisen. Überall dort stehen private Feiern in Verdacht, den Anstieg der Infektionszahlen zu einem nicht unerheblichen Teil verursacht zu haben. Und tatsächlich gelten für private Feiern im Freistaat weniger strenge Beschränkungen als bei sonstigen Zusammenkünften. Ein Umstand, der in der Vergangenheit schon häufig für Verwirrung gesorgt hat.

So ist in Bayern der gemeinsame Aufenthalt im öffentlichen Raum außerhalb des eigenen Hausstands oder direkter Verwandtschaft nur in Gruppen von bis zu zehn Personen gestattet. Bei privaten Treffen zu Hause dagegen gibt es keine Beschränkung auf einen festen Personenkreis oder eine bestimmte Anzahl. Bei privaten Feiern wie etwa Hochzeiten oder Geburtstagen sind bei bestehendem Hygienekonzept bis zu 100 Gäste in geschlossenen Räumen erlaubt.

"Die Regelungen beruhen auf einer Abwägung zwischen den infektionsschutzrechtlichen Risiken einerseits und grundrechtlich geschützten Interessen andererseits", teilt ein Sprecher des bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege auf Nachfrage mit. "Daher werden bestimmte Veranstaltungen, wie beispielsweise Hochzeiten oder Vereinssitzungen, unter bestimmten Voraussetzungen und mit begrenzter Teilnehmerzahl zugelassen." Hierbei handele es sich nicht um Veranstaltungen mit einem beliebigen Publikum, stattdessen sei der Teilnehmerkreis fest eingegrenzt. Es sei davon auszugehen, dass die Teilnehmer "aufgrund einer inneren Verbindung auch unabhängig von der jeweiligen Veranstaltung Kontakt pflegen". Im öffentlichen Raum sei das anders. Die Kontaktbeschränkungen dort beträfen "ganz generell spontane und nicht organisierte gesellige Aktivitäten, für die es keine organisatorischen Vorkehrungen und Planungen und auch keine Schutz- und Hygienekonzepte gibt".

Dennoch zeigt auch eine täglich stattfindende Auswertung von regionalen Lageberichten der Gesundheitsämter, dass die privaten Zusammenkünfte ein Treiber der Pandemie sind. "Leider ist bei diesen Feiern immer wieder festzustellen, dass die üblichen Hygieneregeln ignoriert werden", heißt es im Gesundheitsministerium weiter. "Insbesondere fehlender Abstand bei der gleichzeitigen Nutzung von geschlossenen, nicht ausreichend gelüfteten Räumen zeigen sich hier als infektionstreibend."

"Bei jemandem, den man gut kennt, hat man automatisch weniger Angst"

Eine Tatsache, die aus psychologischer Sicht allerdings auch verständlich ist, schließlich finden solch private Treffen im Freundeskreis statt. "Bei jemandem, den man gut kennt, hat man automatisch weniger Angst", sagt Arzt und Psychotherapeut Stefan Woinoff. Möglicherweise greifen die neuen Beschlüsse der Bundesregierung auch deshalb nun direkt bei solchen privaten Zusammenkünften an: Ab einem Inzidenzwert von 35 werden private Feiern und Kontakte auf zwei Hausstände oder maximal zehn Personen begrenzt. Ab einem Wert von 50 auf zwei Hausstände oder maximal fünf Personen.

Und doch zeigt sich an den privaten Feiern auch die Problematik, vor der der Rechtsstaat steht: Egal, wie streng die Regeln werden, sind sie nur schwer zu kontrollieren. Es gibt keine Strukturen, die eine engmaschige Kontrolle ermöglichen würden. Schließlich geht es hierbei um den intimsten, privatesten Bereich eines Menschen. Nur ist das kein Fehler im System, sondern der freiheitlich-demokratische Ansatz auf dem die Bundesrepublik aufgebaut ist. Vielmehr ist es der Punkt, an dem jeder Bürger selbst Verantwortung übernehmen muss und an dem die Staatsregierung immer wieder nur für Verständnis und Vernunft werben kann.

"Corona setzt die Grundrechte nicht außer Kraft, wie die Unverletzlichkeit der Wohnung", sagt auch Michael Siefener, ein Sprecher des bayerischen Innenministeriums. "Ein gewisses Maß an Eigenverantwortung muss jeder für sich wahrnehmen." Die Polizei könne bei Privatfeiern nur einschreiten, wenn es den Verdacht gebe, dass Corona-Regeln nicht eingehalten würden. "Einen solchen Verdacht kann es beispielsweise durch Hinweise von Nachbarn geben oder aufgrund eigener Wahrnehmungen der Polizisten auf Streife", sagt er.

Dennoch sei es der Polizei mehrfach gelungen, nachzuweisen, dass eine private Geburtstagsfeier eigentlich eine öffentliche Party gewesen sei. Die Strategie der Regierung sei es aber allgemein, bei allen Gelegenheiten darauf hinzuweisen, wie wichtig es ist, sich an die Regeln zu halten. Bei der bayerischen Polizei verfolge man den Ansatz konsequenter Kontrollen und Ahndungen.

Dabei, so sagt Woinoff, sei es die Angst, die einen Menschen derzeit motiviere. Auf der einen Seite sei da die Angst vor dem Virus, auf der anderen Seite die Angst, Regeln zu übertreten. Letztere Angst sei in Deutschland vermutlich ausgeprägter als in Nachbarländern und so würden sich auch im privaten Bereich die meisten Menschen überwiegend an die Regeln halten. Dennoch stellt Woinoff klar: "Die Menschen haben ein starkes Bedürfnis nach Nähe. Jemand, der am Verdursten ist, schaut nicht auf die Qualität des Wassers. Es gibt genug Menschen, die sagen, dass sie es so nicht mehr aushalten. Das ist eine Risikoabwägung.

Auch dafür sollte man Verständnis haben." Jetzt ginge es darum, einander gemeinsam zu helfen und Dinge so zu tun, dass sie niemandem schaden. "Je mehr wir uns an Vorschriften halten, desto schneller kommen wir aus dieser Situation heraus. Alle. Nicht nur die Risikogruppen, die wir schützen wollen, sondern auch alle, die jetzt unter den Maßnahmen leiden", sagt Woinoff.

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Quelle:
SZ vom 17.10.2020/lfr
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