Süddeutsche Zeitung

Bildung in Bayern:Piazolo präzisiert Schulaufgaben-Stopp

Wann gilt die Streichung - sofort oder nach Pfingsten? Ist der Schulaufgaben-Stopp in Stein gemeißelt oder können die Klassen das individuell regeln? Welche Auswirkungen die Entscheidung des Kultusministers nun hat.

Von Andreas Glas und Johann Osel

Der angekündigte Wegfall von Schulaufgaben hat sicherlich bei vielen Jugendlichen erst mal spontanen Jubel ausgelöst - dann aber hat die Mitteilung des Kultusministeriums vom Montag auch einige Verwirrung hervorgerufen: Wann gilt die Streichung, sofort oder nach Pfingsten? Ist der Schulaufgaben-Stopp in Stein gemeißelt oder können die Klassen das individuell regeln? Was für Schülerinnen und Schüler relevant sein dürfte, die in einem Fach schlecht stehen. Oder: Werden Lehrer jetzt ihre Klassen mit Stegreifaufgaben auf Trab halten? Im Kern aber zeichnet sich in der Schulfamilie Zustimmung für die Entscheidung von Kultusminister Michael Piazolo (FW) ab.

Anlass der Änderung ist auch, dass der Trend zu Präsenz- oder zumindest Wechselunterricht geht. Einerseits fallen Regionen unter die Inzidenzschwelle von 100; andererseits soll nach den Ferien auch für weiterführende Schulen der neue Corona-Grenzwert 165 gelten, wie ihn die Bundesnotbremse vorsieht und wie er in Bayern bereits an Grundschulen gilt. Am Montag hatte alles recht simpel geklungen. "Unsere Schülerinnen und Schüler müssen sich erst wieder einfinden. Zeitdruck und übermäßigen Leistungsdruck wollen wir dabei vermeiden", sagte Piazolo in einer Mitteilung. Daher kündigte er an, dass an Realschulen, Gymnasien und Wirtschaftsschulen, wo die Zahl der "großen Leistungsnachweise" vorgegeben ist, in dem Schuljahr keine Schulaufgaben mehr geschrieben werden: "Wir wollen auch heuer am Schuljahresende ein aussagekräftiges Feedback zum Leistungsstand" - selbst bei nur einer Arbeit pro Fach käme es aber vielfach zur Ballung, diese wolle man verhindern. Kleinere Prüfungen schriftlich wie mündlich: bitte "mit Augenmaß".

Tatsächlich präzisierte der Minister am Dienstag auf Nachfrage der SZ die Regeln. So pauschal wie das in zunächst klang, ist die Streichung doch nicht gedacht. In Klassen, in denen eine Schulaufgabe vor den Ferien bereits terminiert sei, könne diese auch geschrieben werden, sagte er - allerdings "nur noch zur Notenverbesserung". Sprich: Die Note zählt nur, wenn ein Schüler damit seinen Schuljahresschnitt nicht verschlechtert. Weil es derzeit in den meisten Regionen keinen Präsenzunterricht gebe, betreffe das aber ohnehin relativ wenige Klassen. Nach den Ferien, wenn es voraussichtlich wieder mehr Präsenzunterricht gibt, solle grundsätzlich keine Schulaufgabe mehr geschrieben werden, sagt Piazolo.

Auf Antrag haben Schüler aber die Möglichkeit, "einen ergänzenden Leistungsnachweis" zu bekommen, heißt es etwas vage in den Vorgaben des Kultusministeriums. Dann allerdings besteht auch wieder die Gefahr, sich in der Gesamtnote zu verschlechtern. "Schülerinnen und Schüler sollen sich durch Anträge auf weitere Leistungsnachweise daher nicht selbst überfordern", heißt es zudem. Kleinere Proben und Ausfragen gebe es "bedarfsorientiert", gemäß der Verantwortung der jeweiligen Lehrkräfte.

Stichwort Jubel bei Schülern - "Ja, zunächst ist es gut, dass so der Druck rausgenommen wird", sagt Moritz Meusel, Landesschülersprecher und Gymnasiast aus Bamberg. Die Kehrseite aber sei, dass es keine Rückmeldung über den Leistungsstand gebe, was sich im nächsten Jahr "rächen" könne: "Viele wissen nicht, wie sie stehen." Die Option, auf eigenen Wunsch einen Leistungsnachweis schreiben zu dürfen, lobt er: "ein Muss, aus Fairnessgründen". Manche hätten vielleicht nur eine Schulaufgabe im ersten Halbjahr gehabt und die ging daneben, "sie brauchen dann die Möglichkeit, sich zu verbessern". Zu bedenken sei da auch, dass etwa Zeugnis der zehnten Klasse als Abschluss zählt.

Was Meusel wichtig ist: Lehrer und Schüler müssten miteinander reden, "Dialog ist das A und O." Auch über das "pädagogische Ermessen" bei Exen sei zu reden - es gebe schließlich Lehrer, die unter fünf mündlichen Noten nichts akzeptierten. Und Meusel fehlen bislang Konzepte zum Umgang mit Lernrückständen. "Es ist eine Utopie, dass man alles nachholen kann." Außerdem sollten Kompetenzen, die Schüler in der Pandemie unter Beweis gestellt hätten - "nicht das klassische Bulimie-Lernen", sondern zum Beispiel digitale Fähigkeiten - Anerkennung finden.

Von einer "grundsätzlich guten Nachricht" spricht Henrike Paede, stellvertretende Vorsitzende im Bayerischen Elternverband. Der Wegfall der Schulaufgaben sei "ein Baustein" für weniger Stress, eine "Verwaltungsmaßnahme, um das Chaos zu lindern". Auf einem anderen Blatt stünden dagegen die "Wiedereingliederung" und das Anknüpfen an die Lehrpläne des kommenden Schuljahres. Da bleibe vieles "noch im Vagen", meint Paede. Der Lehrerverband BLLV begrüßt die Entscheidung: "Endlich stehen die Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt und nicht die Noten und die Leistungsnachweise", sagt Vorsitzende Simone Fleischmann. Mehr denn je müsse man über einen "neuen Lern- und Leistungsbegriff nachdenken und diesen auch umsetzen. Wenn nicht jetzt, wann dann?" Dass Schüler auf eigenen Wunsch Schulaufgaben schreiben können, hält sie für sinnvoll. "Schule darf jetzt auch mal für Schüler passend sein, und nicht umgekehrt." Das sei eine "Flexibilisierung, wie wir sie uns generell wünschen". Schade sei, dass die Änderung nicht alle betreffe, etwa an Mittelschulen herrsche "ebenso immenser Druck".

Typisch Piazolo, so oder so ähnlich kommentierte die Opposition die Verwirrung um den Schulaufgaben-Stopp. "Kommunikationsdesaster", twittert Max Deisenhofer (Grüne). Matthias Fischbach (FDP) spricht von einer "Hauruck-Aktion, die alle total unvorbereitet getroffen hat" und beklagt ein "maximales Kommunikationschaos", das in der Krise bereits seit Monaten beim Minister zu beobachten sei. Der sieht das natürlich anders. Dass es Rückfragen gebe, wenn sich die Regeln ändern, meint Piazolo, sei doch "ganz normal".

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SZ vom 12.05.2021/mmo, van
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