Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:Schniefnasen müssen draußen bleiben

Seit einer Woche dürfen in Bayern wieder alle Kinder in die Kitas gehen. Die Eltern sind erleichtert, das Personal aber klagt über unklare Vorgaben und mehr Belastung.

Von Anna Günther und Katharina Kausche

Laut geht es zu bei Anja Preuster, im Telefongespräch ist ihr Enkel im Hintergrund zu hören. In die Kita darf der Kleine zurzeit nicht - er hat Schnupfen. Preuster musste spontan einspringen, aber sie kennt sich mit Notfallbetreuung aus. Preuster ist Vorsitzende des Traunsteiner Mütterzentrums, das drei Kindertagesstätten betreibt. Seit Mitte März arbeitet sie im Ausnahme-Modus, als die Kitas landesweit schließen mussten und nur noch der Notbetrieb erlaubt war. Am 1. Juli sollte sich das ändern: Aus der Notbetreuung wurde ein eingeschränkter Regelbetrieb, seit einer Woche gilt die neue Normalität in den bayerischen Kitas - und damit auch für Eltern, die lange über die Belastung durch Homeoffice und Dauerbespaßung klagten.

Für viele Erzieherinnen macht das ohnehin keinen Unterschied: Der Großteil der Kleinkinder war seit Mai schon schrittweise wieder zurückgekehrt. Als Folge von Ausnahmeregelungen durften im Juni etwa 80 Prozent aller 590 000 bayerischen Kitakinder in die Tagesstätten. Im Coburger Kinderhaus Leo kehrten zum 1. Juli 30 Kinder zurück, dagegen spricht Anja Preuster in Traunstein nur von einer "Handvoll Kinder". Ähnlich ist es im Kindergarten St. Gisela in Bamberg: "Die Freude war groß", sagt Nadja Heinbuch, Leiterin der Kita in Bamberg. Für die meisten Kinder sei es kein Problem, sich wieder einzuleben und an die neuen Regeln zu gewöhnen. Auch untereinander helfen sich die Kinder.

Auch wenn die letzte Etappe der Öffnung offenbar für viele Kinder reibungslos lief, beklagen die Kita-Leiterinnen das Wirrwarr im Vorfeld: Täglich kamen neue Informationen der Staatsregierung, statt eines Hygienekonzeptes gab es nur eine Handreichung und jetzt ein Konzept, das nur als Orientierung dienen soll. Viele erarbeiteten mit ihren Trägern lieber gleich eigene Konzepte. In der Traunsteiner Kita "Himmelszelt" gehören seit April Fiebermessungen bei Eltern und Kindern zum Alltag, in St. Gisela in Bamberg darf nur ein Elternteil das Kind bringen, im Kinderhaus Leo in Coburg dürfen Eltern nur mit Masken das Gelände betreten. Diese Feinheiten darf und muss jede Kita individuell ausarbeiten. Große Veränderungen kamen am 1. Juli nicht, präzisiert wurden im neuen "Rahmen-Hygieneplan Corona" vor allem Vorgaben zum Lüften und Desinfizieren der Räume.

Auch wenn die Kita-Leiterinnen froh sind, dass mittlerweile ein Konzept existiert, herrscht dennoch große Unzufriedenheit. In einer anonymisierten Umfrage der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft unter ihren Mitgliedern bezweifelten viele in ihren Antworten, dass der Rahmenplan den Praxis-Test übersteht. Er sei nur "bedingt umsetzbar", heißt es - oder: "Zum Teil musste ich nur noch lachen, zum Teil waren wir richtig frustriert." Auch Preuster hält den Plan für unpraktikabel. Besonders die Gruppen-Regelung stößt etlichen auf: Privat dürfen sich alle Kinder untereinander treffen, im Kita-Alltag aber müssen Gruppen streng getrennt werden. Angesichts des Personalmangels bei Erzieherinnen erschwerten starre Gruppen die Arbeit zusätzlich.

Ein Knackpunkt ist der Umgang mit erkälteten Kindern. Die müssen laut Sozialministerium daheim bleiben - so wie Anja Preusters Enkel. Nur: "Wir können nicht monatelang jedes Kind mit laufender Nase nach Hause schicken", sagt sie. "Da müssen wir ein wenig den gesunden Menschenverstand walten lassen." Die Belastung für Eltern sei enorm gewesen, das Arbeiten schwierig, "auch sie müssen wieder zu einer gewissen Normalität zurück".

"Es wurde nur gefragt: Wann machen die Kitas wieder auf?"

Das birgt freilich Risiken: Was eine Allergie ist, was eine Erkältung oder doch ein Symptom von Covid-19, das können Erzieherinnen nicht unterscheiden. "Wir sind ja keine Ärzte", sagt eine Kita-Leiterin aus dem Kreis Eichstätt. Also müssen im Zweifelsfall alle nach Hause - oder fast alle, wie in einer Kita im Unterallgäu: Mehr als die Hälfte einer Gruppe schickte die Leiterin in den vergangenen Tagen nach Hause. Auch wenn bisher alle Eltern Verständnis gezeigt hätten, sei hier Ärger programmiert.

Im Vergleich zu anderen Berufsgruppen fühlte sich das Personal in den Kitas nicht geschätzt. Das gilt vor allem für den Arbeitsschutz. Hier seien die Kitas alleine gelassen worden, lautet die verbreitete Klage. "Es wurde nur gefragt: Wann machen die Kitas wieder auf?", sagt auch Carolin Schmidt vom Coburger Kinderhaus Leo. "Und nicht danach, wie man Erzieherinnen schützen kann."

Mit der neuen Coronastudie an Kitas und Grundschulen sowie mit Reihentests für Lehrer und Erzieher versucht die Staatsregierung nun Sicherheit zu vermitteln. Erzieher werden schon jetzt, Lehrer nach den Ferien getestet. "Das wurde sehr positiv angenommen", sagt Anja Preuster. So bald wie möglich wollen sie und ihre Kollegen den Test machen. Sinnvoller fände sie es aber, zusätzlich einen Antikörper-Test zu machen. "Wir müssen jetzt einfach testen, testen, testen", sagt sie. Einen zweiten Lockdown dürfe es nicht geben.

Eine strategische Ausweitung der Antikörpertests werde aktuell geprüft, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. Aus Sicht der Experten seien diese Tests aber noch sehr unsicher. Gerade weil es um den Schutz der Erzieher, Kinder und Eltern gehe, bittet Sozialministerin Carolina Trautner (CSU) um Verständnis für die strikten Regeln. "Die Sicherheit und Gesundheit aller gehen vor", sagt sie. Zumal die Einschnitte weitreichender wären, wenn die gesamte Kita schließen und Erzieher, Kinder sowie Eltern in Quarantäne müssten. Kinder mit nicht ansteckenden Schniefnasen etwa bei Heuschnupfen bilden die Ausnahme. Im September soll dann auch in den Kitas wieder der ganz normale Regelbetrieb herrschen.

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SZ vom 08.07.2020/wean
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