Bitte tun Sie nichts! Das ist eine ungewöhnliche Aufforderung eines Vorgesetzten, doch in Regensburg gab es sie im August in einem Rundschreiben an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Universitätsklinikums. Betreffzeile: "COVID-19: Einrichtungsbezogene Impfpflicht". In dem Brief bittet der Ärztliche Direktor des Klinikums alle betroffenen Mitarbeiter, "die weiteren Entwicklungen und Entscheidungen abzuwarten und ihrerseits keine Maßnahmen zur eventuellen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses am UKR zu erwägen". Im Klartext: Bitte nicht kündigen, auch wenn man ungeimpft ist - denn Sanktionen sind gerade keine zu befürchten.
Abwarten, alles halb so wild - das trifft die Stimmung ganz gut, wenn es um die einrichtungsbezogene Impfpflicht in Bayern geht. Bundestag und Bundesrat hatten diese im Dezember 2021 beschlossen, sie greift formal seit März für Beschäftigte etwa in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Die Regel gilt per Gesetz bislang nur bis zum Jahresende 2022, eine mögliche Fortführung seitens des Bundes ist derzeit noch offen. Gesundheitsämter können seitdem in einem mehrstufigen Verfahren Bußgelder verhängen oder Tätigkeits- und Betretungsverbote für Beschäftigte aussprechen, wenn diese keinen Impf- oder Genesenen-Nachweis oder kein Befreiungsattest vorlegen. Könnten. Denn die Teil-Impfpflicht wurde in Bayern nie richtig umgesetzt.
Wie das Gesundheitsministerium kürzlich auf eine Plenaranfrage von Ruth Waldmann (SPD) sowie auf eine Presseanfrage der SZ mitteilte, wurden im Freistaat weder Betretungsverbote noch Bußgelder ausgesprochen. Über die bisherige Zahl der Beratungsgespräche, die Gesundheitsämter eigentlich mit ungeimpften Kräften führen müssten, erhielt Waldmann keine Auskünfte.
Aber der Reihe nach: Wer in den Gesundheitsberufen arbeitet, muss sich gegen Corona impfen lassen; so steht es zumindest im Bundesgesetz. Doch scharf gestellt ist diese Pflicht praktisch nicht. Von einer "pragmatischen Umsetzung mit Augenmaß" spricht Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). "Für uns hat die Versorgungssicherheit stets oberste Priorität." So hatte das Ministerium den Gesundheitsämtern mitgeteilt, dass bei Bestandskräften "regelhaft" von Strafen und Verboten abgesehen werden soll. Nur bei Neukräften lässt das Bundesgesetz keinen Spielraum. In anderen Bundesländern hatte es Betretungsverbote mitunter gegeben. Holetschek appellierte im Oktober mit einigen Ministerkollegen in einem Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), die Impfpflicht nicht zu verlängern. Die Maßnahme bringe "mehr Schaden als Nutzen", hieß es.
"Eine nutzlose Erschwernis für die ohnehin gebeutelte Pflege"
Was bringt eine Teil-Impfpflicht überhaupt, die scheinbar keine Folgen hat? Zeit für eine Zwischenbilanz. Eine Umfrage der SZ unter zahlreichen Akteuren der Gesundheitsversorgung in Bayern zeigt: Holetschek ist nicht mehr allein mit seiner Forderung. Die Bayerische Krankenhausgesellschaft zum Beispiel hatte sich lange für die Regel eingesetzt, als die einrichtungsbezogene noch ein Einstieg in eine allgemeine Impfpflicht sein sollte. Doch mit dem Scheitern der Pflicht für alle - im April 2022 im Bundestag - kippte die Stimmung, wie ein Sprecher erklärt. Es könne nicht sein, dass die Verantwortung auf eine Berufsgruppe geschoben und diese dann gebrandmarkt werde. Ähnlich sieht es der Verband privater Anbieter sozialer Dienste, die Teil-Impfpflicht sei "heute eine nutzlose Erschwernis für die ohnehin gebeutelte Pflege".
Beim AWO Landesverband mit mehr als 1900 sozialen Einrichtungen und Diensten in Bayern ergibt sich indes ein uneinheitliches Meinungsbild unter den einzelnen Trägern: Manche wollen ein sofortiges Ende der Pflicht, andere plädieren für die Geltungsdauer bis Ende des Jahres, wiederum andere fordern noch eine Verlängerung. Klar ist: Alle Einrichtungen wollen schnellstmöglich Klarheit, um zu wissen, wen sie im neuen Jahr einstellen können - und wen nicht.
Pandemie:Impfzentren werden wieder Schwimmbäder
Wer sich in Bayern gegen das Coronavirus immunisieren lassen will, geht künftig zu den niedergelassenen Ärzten. Die Impfzentren werden bayernweit aufgegeben. Die Zahlen zeigen: Der Ansturm auf die Wirkstoffe war schon deutlich größer.
Träger und Verbände verweisen unisono auf eine hohe Impfquote im Gesundheitswesen. Rund 85 bis 90 Prozent der Mitarbeitenden hätten sich immunisieren lassen, gibt etwa die Caritas an - "und damit liegt die Impfquote deutlich über dem, was in der Gesamtbevölkerung zu beobachten ist". Die Bayerische Krankenhausgesellschaft nennt eine Impfquote von 95 Prozent. Allerdings: Vom Robert-Koch-Institut (RKI) statistisch erfasst sind die Impfquoten für Mitarbeiter in Pflegeeinrichtungen. Und da zeigt sich, im Länderbericht Bayern vom Oktober: Zwar sind demnach 91 Prozent des Personals doppelt geimpft, nur 67 Prozent aber auch mindestens ein Mal geboostert - dabei gilt die dritte Impfung inzwischen offiziell als der vollständige Schutz.
Verlässliche Zahlen darüber, wie viele Ärztinnen, Pfleger oder Praxisangestellte ihren Beruf aufgegeben haben, weil sie sich nicht impfen lassen wollten, gibt es nicht. Die anfangs befürchtete Kündigungswelle scheint aber ausgeblieben zu sein. Wolfgang Ritter, Vorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbandes, spricht von vereinzelten Kündigungen, welche die ohnehin schon sehr angespannte Personalsituation in den Praxen verschärft habe; gebracht habe die Impfpflicht dafür noch bürokratischen Aufwand.
Eine andere Frage ist, wie viele Neueinstellungen unterblieben sind. Tatsächlich sei es derzeit nicht möglich, ungeimpfte Bewerber einzustellen, erklärt ein Sprecher der Caritas Bayern. Die Auswirkungen hielten sich aber unterhalb der Messbarkeitsgrenze. "Die Probleme für den Fachkräftemangel liegen an anderen Stellen." Viele Verbände und Träger haben indes beobachtet, dass es in letzter Zeit weniger Auszubildende in den Beruf zieht, wenn selbst für ein Schülerpraktikum derzeit ein Impfnachweis gebraucht werde. Auch das Gesundheitsministerium kann weder Zahlen angeben noch valide schätzen, wie viele Neueinstellungen im Gesundheits- und Pflegesektor wegen der Impfpflicht scheiterten.
SPD-Politikerin Waldmann, stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Landtag, sagt: "Wir wissen, dass die Impfpflicht unbeliebt ist in den Einrichtungen, die Staatsregierung hat hier aber einer Stimmung nachgegeben, anstatt mal einen Standpunkt zu halten." Mit Blick auf die spärlichen Auffrischungsimpfungen in dem Bereich, auf vulnerable Gruppen in Einrichtungen oder die Belastung von Personal, wenn viele Kollegen erkranken, sei das alles "eben nicht vollkommen wurscht, wie es der Gesundheitsminister nahelegt". Dass der Bund die Regeln verlängert, damit rechnet Waldmann gleichwohl nicht; vor allem wegen der politischen Mehrheiten in Berlin.
Holetschek sagt, am Auslaufen der "mittlerweile völlig überholten Maßnahme" zum Termin 31. Dezember 2022 dürfe "nicht mehr gerüttelt" werden. Sollte der Bund die Pflicht dennoch verlängern, wäre ein Ausscheren Bayerns, wie zuletzt bei der Isolationspflicht für Infizierte, rechtlich unmöglich. Ein Sprecher des Ministeriums bestätigt: Bayern habe den milden Vollzug bei Bestandskräften "bereits soweit wie möglich ausgeschöpft" und dürfte zum Beispiel den Nachweis bei Neueinstellungen gar nicht alleine regeln.