Süddeutsche Zeitung

Corona in Bayern:Der Lockdown als Dauerzustand

In Bayerns Hotspots kämpfen Behörden und Kliniken mit hohen Fallzahlen. Das Beispiel des Berchtesgadener Lands zeigt, wie schwer sich die Pandemie unter Kontrolle bringen lässt.

Von Julia Bergmann und Matthias Köpf, Regen

"Ich habe mich noch nie so sehr über das Abrücken von einem Spitzenplatz gefreut", sagt Regens Landrätin Rita Röhrl am Mittwoch. Bei 617 liegt da die Inzidenz im Landkreis. Nur mehr zweithöchster Wert bundesweit, Bautzen in Sachsen hat 631 gemeldet, Bayern im Ganzen liegt bei 210. "Aber die Situation ist nach wie vor ernst", betont Röhrl. Natürlich denke man bei so einer Zahl darüber nach, ob die Kontaktbeschränkungen für das Weihnachtsfest in Regen noch weiter verschärft werden müssen. Oder darüber, wie Weihnachten in Heimen gefeiert werden kann. "Mehr als ein Besucher, eine halbe Stunde pro Tag, nach vorheriger Testung und mit FFP2-Maske, halte ich nicht für möglich", sagt sie. Allein mit Blick auf die vollen Krankenhäuser, die genauso wie die Heime im Landkreis mit erheblichen Personalengpässen zu kämpfen haben.

"Die Lage in den Krankenhäusern in Viechtach und Zwiesel ist noch immer ernst zu nehmend", bestätigt Sprecherin Stephanie Blüml. Nach Aufnahmestopps in der vergangenen Woche in Zwiesel hat sich die Situation in dieser Woche minimal verbessert. "Aber heute stehen wir in Viechtach vor der Entscheidung, dass wir uns bei der Notfallversorgung im Hinblick auf die Neuaufnahme von Corona-Patienten vielleicht abmelden müssen."

Im Viechtacher Krankenhaus werden 42 Covid-19-Patienten behandelt, acht davon intensivmedizinisch. Einer mehr, und das Klinikum müsste eine zweite Intensivstation einrichten. Möglich sei das - theoretisch. Nur müsse die Klinik schon jetzt jonglieren, um Dienstpläne zu füllen. 32 Mitarbeiter sind in Viechtach entweder an Corona oder anderweitig erkrankt - oder in Quarantäne. Im Klinikum in Zwiesel sind es 63. Unterstützung komme glücklicherweise auch von Nachbarkliniken und von der Bundeswehr. "Sechs Pflegefachkräfte und 16 Hilfskräfte unterstützen uns", sagt Blüml.

Unterstützung von der Bundeswehr bekommt auch das Gesundheitsamt, bestätig Landrätin Röhrl. Die Kontaktverfolgung gelinge momentan, sagt sie. Und natürlich hoffe sie, dass die härteren Maßnahmen, die in Regen teilweise schon zwei Wochen vor dem bundesweiten Lockdown in Kraft getreten sind, Wirkung zeigen. "Wir haben in den letzten Monaten eine aggressive Teststrategie gefahren", sagt sie. 800 Tests am Tag in Heimen, Kliniken und Behindertenwerkstätten.

Nachdem die steigenden Infektionszahlen den Landkreis ohnehin zuvor schon "walzenartig überrollt" hatten, hat die hohe Zahl an Tests die Inzidenz in Regen zusätzlich in die Höhe getrieben. Einen anderen Grund für die so hohen Zahlen vermutet Röhrl auch im kleinen Grenzverkehr von und nach Tschechien. Mit den vielen Testungen in den vergangenen Wochen sei man in Regen nun zumindest auf der sicheren Seite, dass es keine großen Infektionsherde in Heimen unentdeckt geblieben sind.

Die Stimmung im schwer getroffenen Landkreis beschreibt der Regener Pfarrer Ludwig Limbrunner als teilweise bedrückt, gerade jetzt, so kurz vor Weihnachten. Umso misslicher, dass die Pandemie auch Einfluss auf die Seelsorgearbeit hat. "Die Begegnungen sind schmerzlich eingegrenzt", sagt er. Bei Besuchen in Heimen beschränke man sich derzeit auf seelsorgerische Notfälle und Sterbefälle. Auch um Bewohner und Mitarbeiter zu schützen. Natürlich hoffe er wie Blüml und Röhrl, dass die Pandemie bald überstanden sei. Wobei das dauern könnte, glaubt Röhrl. "Das normale Leben wartet am 11. Januar sicher nicht auf uns."

Auf die Rückkehr zur Normalität wartet das Berchtesgadener Land schon besonders lange. Dort haben die Einwohner die längste Lockdown-Erfahrung in Bayern. Landrat Bernhard Kern (CSU) hatte schon am 20. Oktober eine Ausgangsbeschränkung erlassen. In Kraft trat dieser lokale Lockdown bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 252. Kurzfristig stieg der Wert auf über 300, doch als das Berchtesgadener Land Anfang November zum landesweiten "Lockdown light" überging, war er bereits etwas gefallen. Am niedrigsten war der Wert Mitte November mit 124 - doch seither pendelt er stets um die 150. Die verschärften landesweiten Regelungen, etwa die Ausgangsbeschränkungen seit 9. Dezember, haben in der Inzidenzkurve fürs Berchtesgadener Land bisher keinen nennenswerten Ausschlag hinterlassen. Doch im bayernweiten Vergleich klingt eine Inzidenz von 141 inzwischen ziemlich gut, weshalb sich die Behörden mit ihrem lokalen Lockdown bestätigt sehen. Zugleich lässt sich daran allerdings ablesen, dass die Inzidenz selbst nach vielen Wochen Lockdown nicht automatisch in Bereiche fällt, in denen die Corona-Ampel etwas anderes als tiefes Rot zeigen würde. Er würde es als "super Erfolg" ansehen, wenn das Berchtesgadener Land mit Werten zwischen 150 und 200 durch den Winter käme, hatte Landrat Kern schon im November gesagt.

Der niederbayerische Landkreis Rottal-Inn lag mit einem Wert von 248 am Mittwoch deutlich darüber. Er ist die Region in Bayern, die sich am zweitlängsten im Lockdown befindet. Auch dort galten bereits Ende Oktober lokale Einschränkungen. Dass die Inzidenz von über auf unter 150 gesunken ist, führen die Behörden auch dort auf den lokalen Lockdown zurück. Man habe es sogar in der absoluten Hochphase immer geschafft, die Kontaktpersonen Infizierter noch am gleichen Tag oder spätestens am nächsten Vormittag zu informieren. Das macht aus Sicht von Pressesprecher Mathias Kempf womöglich den Unterschied zu nahen Landkreisen wie Passau, Deggendorf, Freyung-Grafenau oder auch Regen aus, wo Kontaktpersonen teils erst Tage später benachrichtigt und in Quarantäne geschickt wurden und wo die Inzidenzzahlen zuletzt jeweils über 300 lagen.

Allerdings liegt auch Rottal-Inn mittlerweile wieder über 250. Aus dem permanenten Ausnahmezustand ist längst eine Art Routine geworden. Mit einem baldigen Abflauen der Pandemie - womöglich schon in den Weihnachtsferien - rechnet in Pfarrkirchen kaum jemand. Das Landratsamt lässt jedenfalls gerade Container aufstellen. Dort soll das Gesundheitsamt mit den Kontaktverfolgern einziehen. Vermutlich auf Dauer, aber immerhin nicht für immer.

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SZ vom 17.12.2020/van/aner
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