Süddeutsche Zeitung

Bildung:Maske auf und Attest vorzeigen

Lesezeit: 3 min

Nach den Herbstferien beginnt die Schule wieder - mit neuen Regeln, um die Ausbreitung der Corona-Pandemie zu stoppen. Kinderärzte fürchten Hochbetrieb, wenn jeder Schnupfen als ungefährlich dokumentiert werden muss.

Von Julia Bergmann, Dietrich Mittler, Johann Osel, Christian Sebald und Kassian Stroh, München

Das Umsetzen der strikten Maskenpflicht für Bayerns Schüler hatten sich die achtjährige Eva Fleißner und ihre Mama ganz anders vorgestellt. Über den ersten Schultag ihrer Tochter nach den Herbstferien berichtete Jasmina Fleißner (alle Namen geändert): "Die Lehrerin wusste gar nichts von der Maskenpflicht." Für Eva ein Glück. Die Achtjährige mag keine Maske tragen. Peter wiederum, der die 5. Klasse an einem oberbayerischen Gymnasium besucht, würde seine transparente Plastikmaske am liebsten in die Ecke schmeißen. Niemand in der Klasse wolle noch neben ihm sitzen. "Er wurde ausgegrenzt, weil Lehrer gesagt haben, er trage keine richtige Maske", sagt Peters Mutter.

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) verteidigt indes die neuen Corona-Regelungen für den Unterricht. "Die Grundidee ist richtig", sagt er - auch wenn ihm klar sei, dass "Schule nie einfach ist und immer zu Widerspruch führt". Die Schüler müssten wissen, "dass es keine normale Schulzeit ist, allein schon wegen der Maske". Am Montag bekräftigte er bei einer CSU-Vorstandssitzung die Devise, die er bereits vergangene Woche bei einem Schulgipfel mit Kultusminister Michael Piazolo (FW), Schülervertretern, Eltern und Lehrern ausgegeben hatte: Schulen und Kitas seien unabhängig von Inzidenzzahlen in Landkreisen und kreisfreien Städten offenzuhalten. Außer das Infektionsgeschehen an einer Schule gebe Anlass zur Schließung.

Das hat seinen Preis. Doch Söder legt auch Wert darauf, dass Lehrer in dieser Zeit "keinen zusätzlichen Leistungsdruck aufbauen" sollten - etwa, indem sie noch rasch "Klausuren durchboxen", falls eine Schulschließung bevorsteht. Es müsse also "eine faire Schulzeit sein", sagte der Regierungschef. Schule brauche "im Moment viel mehr Empathie denn je zuvor".

Weit mehr Ärger als die Maskenpflicht birgt - wie sich bereits abzeichnet - jene neue Corona-Regelung: Kinder und Jugendliche, die krank zu Hause bleiben, müssen künftig immer das Attest eines Arztes vorlegen, damit sie wieder in die Schule gehen dürfen - oder einen negativen Corona-Test. Das gilt auch bei leichten Krankheitssymptomen, etwa bei einem harmlosen Schnupfen. Diese Neuerung ergibt sich aus dem Rahmen-Hygieneplan, der nun für Bayerns Schulen gilt.

Wer Fieber, Husten, Hals- oder Ohrenschmerzen, starke Bauchschmerzen, Erbrechen oder Durchfall hat, muss zu Hause bleiben. Zusätzlich muss stets ein Arzt bestätigen, dass der Schulbesuch unbedenklich ist. Nicht ganz so streng sind die sogenannten Schniefnasen-Regeln für den Fall, dass ein Kind nur leichte Erkältungssymptome hat, wie Schnupfen ohne Fieber oder gelegentlichen Husten. Aber auch in diesem Fall muss ein ärztliches Attest oder ein negativer Covid-19-Test vorliegen. Einzige Ausnahme: Grundschüler dürfen auch mit einer Schniefnase weiter in den Unterricht.

Die Verschärfung der Attestpflicht ruft längst nicht bei allen Eltern in Bayern Verständnis hervor. Ein erboster Vater, der namentlich nicht genannt sein will, sprach am Montag von "einem total absurden System", das womöglich dazu führe, "dass kranke Kinder jetzt eher von ihren Eltern in die Schule geschickt werden".

Auch Johannes Schiller von der Gewerkschaft GEW sieht die neue Attestpflicht kritisch. "Die Ärzte werden am Rad drehen", sagt er. Damit trifft Schiller den Nagel auf den Kopf. "Augenblicklich werden alle Kollegen kirre", sagt der Regensburger Kinderarzt Dominik Ewald. Als bayerischer Landesvorsitzender des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte bekommt Ewald nun von Kollegen viele Klagen zu hören - alle in dem Tenor: "Den ganzen Vormittag bereits war in unserer Praxen Highlife, weil jeder nun für jeden Schnupfen ein Attest braucht."

Martin Lang, Kinderarzt in Augsburg, sieht das genauso: "Wenn jetzt jedes Erkältungskind in die Praxis muss, weil es ein Attest für die Wiederzulassung in der Schule braucht, wird das unser System überfordern." Aus dem Kultus- und dem Gesundheitsministerium heißt es indes, es reiche auch ein Telefonat, um die Lage abzuklären. Wirklich beruhigend wirkt diese Auskunft auf die Kinder- und Jugendärzte allerdings nicht - denn die Leute stehen ja vor der Praxistür.

Bayerns Kommunen begrüßen derweil, dass die Staatsregierung offenkundig gewillt ist, die Maskenpflicht und die anderen Anti-Corona-Maßnahmen an den Grundschulen durchzusetzen. Das Münchner Ansinnen, an den Grundschulen der Landeshauptstadt auf die generelle Maskenpflicht zu verzichten, habe beträchtliche Irritationen bei anderen Kommunen ausgelöst. Deshalb sei es richtig, dass der Freistaat den Antrag aus München abgelehnt habe. Auch Bayerns Amtsärzte unterstützen die strikte Maskenpflicht an den Grundschulen. "Es ist zwar richtig, dass das Infektionsrisiko an Grundschulen eher gering ist, wie Studien bestätigen", sagte Andreas Kaunzner, Vorsitzender des Ärzteverbands öffentlicher Gesundheitsdienst Bayern. Dennoch hätten auch die wenigen Infektionen so gravierende Folgen, dass Grundschülern das Tragen des Mundschutzes zugemutet werden könne.

Kinderarzt Martin Lang kann indes nachempfinden, dass einige Kinder im Grundschulalter mit der Maske ihre Probleme haben: "Na klar", sagt er, "wenn man zu schwitzen anfängt und die Dinger dann jucken, so ist man da natürlich beeinträchtigt." Aber Lang sagt auch: "Dafür, dass man die Schulen am Laufen halten kann, würden wir die strikte Maskenpflicht aus kinderärztlicher Sicht akzeptieren." Sie beeinflusse die Lungenfunktion der Kinder "nur unerheblich". "Natürlich, was die Konzentration betrifft, gibt es Einschränkungen", sagt Lang.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5109234
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.11.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.