Coronavirus in Bayern:Bei Schülern und Eltern bricht die Wut durch

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Auch nach dem Digitalisierungsgipfel von Minister Michael Piazolo (Freie Wähler, links) und Ministerpräsident Markus Söder (CSU) herrsche "digitales Chaos", sagen Kritiker. (Foto: dpa)

Zu viel Stoff, zu viel Druck, zu wenig Konzept: In Brandbriefen äußern mehrere Verbände massive Kritik am Unterricht in Corona-Zeiten - und auch am Kultusminister.

Von Moritz Baumann und Anna Günther

Zuletzt hatte der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) harsche Kritik geübt. Nun verlieren auch Eltern und Schüler die Geduld mit der Staatsregierung. Kultusminister Michael Piazolo (FW) erreichten am Montagmorgen Brandbriefe mehrerer Verbände, die der SZ vorliegen. "Wir Eltern werden nicht hinnehmen, dass unsere Kinder durch die Pandemie zu Verlierern werden", heißt es im Schreiben der Landeselternvereinigung der Gymnasien (LEV) und des Bayerischen Elternverbands (BEV). Der Landesschülerrat beklagt "Notenjagd", sieht Nachbesserungsbedarf beim Hygieneplan und kritisiert, dass noch keine Lösung für das Datenschutz-Problem bei Microsoft Teams in Sicht ist. Dieses Programm nutzen viele Schulen für digitalen Unterricht. Ende Dezember läuft die Lizenz aus.

Intern diskutierten mehrere Verbände sogar, Piazolos Rücktritt zu fordern. In die Briefe floss diese Forderung nicht ein. Aber nach SZ-Informationen haben Mitglieder in verschiedenen Gremien scharfe Kritik am Krisenmanagement des Kultusministers geübt. LEV-Chefin Susanne Arndt bestätigt, dass es diese Forderungen in einigen Gremien gibt. So weit geht Arndt selbst nicht, aber auch sie sagt, dass das Maß voll sei. Es fehle an konkreter Führung und klaren Anweisungen, auf die man sich verlassen könne. Die Regeln der Corona-Ampel seien nur ein Beispiel. Eigentlich sollten ab der nunmehr überall überschrittenen Sieben-Tage-Inzidenz von 50 die Klassen geteilt werden und in den Wechsel aus digitalem Distanz- und Schulunterricht geschickt werden. Faktisch liegt Bayern als Ganzes sogar bei mehr als 100, nur noch wenige Landkreise und kreisfreie Städte bei deutlich weniger als 100, aber kaum eine Region teilt die Klassen. Dass Distanzunterricht die Schule nicht ersetze, sei ihr klar, sagt Arndt. Aber bei der Digitalisierung gehe viel zu wenig voran, es herrsche "digitales Chaos". Dabei steht Budget für Leihgeräte und Luftreinigungsanlagen bereit, nur scheint es an vielen Schulen nicht anzukommen.

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"So viel Normalität wie möglich, bei so viel Gesundheitsschutz wie nötig", gab Piazolo als Devise fürs laufende Schuljahr aus. Schulen, Unis und Kitas sind auch im Teil-Lockdown geöffnet. Sie seien "die Letzten, die schließen, und die Ersten, die wieder öffnen", betonten Piazolo und Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kürzlich, kündigten Prämien für Lehrer und Schulleiter an - und forderten geringere Erwartungen an Schule und zugleich maximale Flexibilität von den Schulen, zum Wohle der Kinder. Das klingt gut, das wollen viele hören. Anderen jagt es Angst ein. Auch in den Verbänden gibt es jene, denen Masken in Schulen zu streng sind und andere, die maximale Sicherheit wollen. Er wisse, dass er es nicht allen recht machen könne, sagt Piazolo stets. Derweil kippt an den Schulen offenbar die Stimmung.

Seit den Sommerferien werde geprüft, "was die rote Tinte hergibt"

Immer wieder müssen Klassen in Quarantäne, von Chaos ist die Rede. Der Druck sei enorm, beklagen Eltern und Schüler. Die Zahl der Prüfungen habe deutlich zugenommen. Die Lehrer wissen nicht, wann sie wieder auf Distanzunterricht umstellen müssen, also würden Noten im Akkord vergeben. Seit den Sommerferien wird geprüft, "was die rote Tinte hergibt", heißt es in einem der Briefe an Piazolo. Es sei Zeit, Prioritäten zu setzen, fordern die Verbände und schlagen vor, den Lehrplan vorübergehend auszudünnen. Welche Fächer sind essenziell? Auf welche Inhalte kann verzichtet werden? Es fehlten klare Ansagen. "Niemand kann in der halben Zeit alles schaffen", schreiben die Elternverbände.

Schon im September hätte landesweit einheitlich überprüft werden müssen, was die Schüler während der ersten Corona-Welle verpasst haben - ohne zusätzlichen Notendruck. Zwar hatte Piazolo diese "Lernstanderhebungen" angekündigt, aber offenbar geht jede Schule anders damit um. Und dass Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern kein Nachteilsausgleich gewährt wird, verstößt aus Sicht der Elternverbände gegen das in der Verfassung verankerte Recht auf Chancengleichheit. Zu oft passten die Erfahrungen vor Ort nicht zu dem, was Piazolo in seinen Pressekonferenzen verkündet, kritisieren die Verbände. Es fehle ein ernsthafter Dialog. Die Sorgen vieler Familien würden im Ministerium kaum beachtet, sagt die LEV-Vorsitzende Arndt. "Als Eltern sind wir immer nur Bittsteller, nie Partner auf Augenhöhe." Vom Minister habe sie seit dem Schulgipfel Ende August nichts mehr gehört. Das Konzept der Erziehungspartnerschaft verkomme zur politischen Phrase.

"Den großen Ankündigungen sind viel zu wenig Ergebnisse gefolgt", sagt auch Landesschülersprecher Joshua Grasmüller. Luftfilter fürs Klassenzimmer, zusätzliche Schulbusse, Konzepte für den Hybridunterricht, Tablets und Laptops für die Schüler: Der zweite Lockdown beginnt und viele Versprechungen seien nicht eingehalten worden. Er vermisse einen Minister, der auf die schnelllebige Krise mit der gleichen Dynamik antwortet.

Mancher wünscht sich schon Piazolos Vorvorgänger Ludwig Spaenle (CSU) zurück. Aber Piazolo ist kein Polterer wie Spaenle es zuweilen war. Der Hochschulprofessor setzt auf Erfahrung und Expertise der Schulleiter, vertraut auf Dienstpflicht und Schulgesetz. Das war bei den Fridays-for-Future-Protesten so, das zeigte sich auch im ersten Corona-Lockdown: Früh forderten Eltern, Schüler und Lehrer klare Ansagen. Die Unterschiede bei Betreuung und digitalen Angeboten waren groß, zwischen Schulen und Lehrern. Erst kam lange nichts, dann so viele ministerielle Schreiben, dass die Schulleiter ächzten. Die Eltern schrieben im Sommer ihren ersten Brandbrief. Nun fällt der Ton deutlich schärfer aus.

Hauptsache Schule, darin schien sich die Schulfamilie lange einig zu sein. Distanzunterricht kann Schule nicht ersetzen, das schreiben auch die Verbände. Sie sehen das Dilemma, sehen den Arbeitsaufwand im Ministerium, wollen keine Lehrerschelte betreiben. Aber mit den steigenden Infektionszahlen bricht bei Eltern und Schülern Wut durch. Zugleich kritisieren Lehrerverbände, dass die Staatsregierung sich nur nach den Wünschen der Eltern richte, statt als Dienstherr auch das Personal zu schützen. Lehrer fühlen sich verheizt, fordern FFP2-Masken und Luftreinigungsanlagen. Alles für die Eltern? LEV-Chefin Arndt nennt das "lächerlich".

Bei einer neuen "Schulrunde" will Söder sich am Mittwoch ein Bild machen von der Situation in den Schulen. Geladen sind auch die Elternverbände. Also bekommen sie doch ihr Gespräch auf Augenhöhe? Die Verbände winken ab. Auch andere Teilnehmer berichten stets von einem Abfragen der einzelnen Standpunkte - und dann mache Söder, was er für richtig hält.

Piazolo wies die Kritik am Montag weit von sich: "Offene Briefe zu schreiben, obwohl ich immer gesprächsbereit bin, ist befremdlich" - zumal am Mittwoch der nächste Schulgipfel folge. Er würde sich Zusammenhalt in der Krise wünschen. Hätten die Verbände im Ministerium nachgefragt, hätten sie erfahren, dass die Schulaufsicht längst beauftragt ist, "die Situation an den Schulen genau zu beobachten" und bei zu vielen Prüfungen "gegenzusteuern". Er sei gegen die "unverhältnismäßige Ballung von Leistungserhebungen", teilte Piazolo mit, und es bestehe kein Anlass für zusätzlichen Druck und "Notensammeln".

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