All das schöne Bier - Andreas Stempfle muss es demnächst wegschütten. "Naturbelassen, unfiltriert, deswegen mit kurzem Mindesthaltbarkeitsdatum", sagt Stempfle am Telefon, "und nur noch diesen Monat trinkbar." 360 Kisten davon hat der Betreiber der Nürnberger Diskothek "Unrat" im vergangenen Herbst in der eigenen Brauerei produzieren lassen. Er durfte damals ja wieder öffnen, auch Weihnachtsfeiern standen ins Haus, da wird schon einiges getrunken.
Normalerweise. Denn ausgeschenkt wird im "Unrat" schon seit Monaten nichts mehr. Die Öffnung währte nur ein paar Wochen; seitdem hat der Club wieder geschlossen, wie alle anderen Diskotheken auch. "Man klammert sich an die Hoffnung, dass man seinen Job behalten kann", sagt Stempfle.

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Immerhin: Jetzt gibt es doch wieder eine Perspektive für die Branche, die seit bald zwei Jahren wegen Corona fast durchgehend geschlossen ist. Zwar sparten die jüngsten Lockerungen der Staatsregierung die Clubs und Bars wieder einmal aus. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) deutete aber bereits am Dienstag Öffnungen an. Folgt man dem Bund-Länder-Treffen vom Mittwoch, könnte es damit Anfang März endlich so weit sein. Clubs und Diskotheken könnten dann vorerst nach 2-G-Plus-Regel öffnen - sofern noch etwas zum Aufmachen übrig ist nach der Dauerschließung.
Auch Stempfle in Nürnberg hat gelitten. "Ein zähes Durchkommen" sei das alles bisher gewesen, aber wenigstens ein Durchkommen. Dank eines Kredits und der staatlichen Überbrückungshilfen blieb dem "Unrat" die Betriebsaufgabe erspart - und "weil wir die Jahre davor gut gewirtschaftet haben". Deshalb konnte Stempfle auch die Hälfte seines Personals halten. Und damit die Beschäftigten ihre volle Bezahlung erhielten, stockte er das Kurzarbeitergeld selbst auf. "Ich habe dafür zwei Jahre lang von privaten Ersparnissen gelebt und kein Gehalt bezogen", sagt Stempfle.
Milliarden vom Staat
Nicht nur er wünscht sich "verlässliche Perspektiven", wie es weitergehen soll. Auch Bars und Diskos brauchen zumindest ein bisschen Vorlaufzeit, um Getränke einzukaufen, DJs anzuheuern oder Personal einzustellen, das inzwischen häufig in andere Berufe abgewandert ist. Und finanziell hinterlässt Corona ohnehin Löcher in den Büchern. Seit Anfang Februar wird zwar in Bayern die neueste Runde der bundesweiten Hilfsprogramme bearbeitet und ausgezahlt. Vereinfacht erstattet die Überbrückungshilfe IV 90 Prozent der Kosten bei einem Umsatzeinbruch von mehr als 70 Prozent. Zudem können Chefs für ihren Betrieb einen Eigenkapitalzuschuss sowie Kurzarbeitergeld für ihre festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beantragen.
Das alles kann helfen, über die Runden zu kommen - bezahlt aber im Zweifel weder die Rate fürs Eigenheim noch die private Versicherung. Davon abgesehen, dass es bei den vorangegangenen Hilfen manchmal Monate dauerte, bis das Geld auf den Konten der Betroffenen ankam; auch weil die Anträge sich stauten und die vom Bund bereitgestellte Bearbeitungssoftware Probleme machte.
Dem bayerischen Hotel- und Gaststättenverband Dehoga kann es jedenfalls mit Öffnungen nicht schnell genug gehen. Dessen Präsidentin Angela Inselkammer warb vor der am Mittwoch tagenden Bund-Länder-Runde dafür, dass als erstes "alle Bereiche geöffnet werden, die aktuell noch geschlossen sind". Das würde auch die nach Verbandsangaben mehr als 300 Diskotheken und Tanzlokale, 480 Bars und 100 Vergnügungslokale im Freistaat betreffen. Ohnehin verweist der Dehoga seit Monaten darauf, dass das Gastgewerbe verantwortungsvoll mit der Situation umgehe. "Mit strengem Zugang", wird Inselkammer in einer anderen, bereits vergangene Woche verschickten Mitteilung zitiert, "wäre nunmehr auch ein sicherer Clubbetrieb wieder möglich."
Es fehlt das Personal
Auch Philipp Lang würde gerne seine Clubs wieder öffnen. Lang betreibt neben dem "Heart" in Regensburg drei weitere Clubs in der Oberpfalz. Seine Clubs seien auf schnelle Starts vorbereitet. "Bei der letzten Wiedereröffnung im Oktober hatten wir gerade mal 48 Stunden, um die Auflagen umzusetzen." Ein Problem aber auch hier: das Personal. Viele Minijobber hätten sich in zwei Jahren Pandemie umorientiert, berichtet Lang, neue Mitarbeiter habe man nicht anlernen können. Über die staatlichen Zuschüsse sagt er: "Die haben unsere Firma vor der Insolvenz bewahrt."
In pauschalen Zahlen lässt sich die Not der Branche hingegen schwer beziffern. Der Hilfsbedarf im Gastgewerbe ist aber groß. Laut Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern - sie ist in Bayern mit dem Bearbeiten der Hilfsprogramme beauftragt - wurden hierzulande bislang 9,4 Milliarden Euro an Wirtschaftshilfen ausgezahlt. Etwa die Hälfte davon floss in die Hotellerie und Gastronomie. Wie viel genau an Hotels floss, wie viel an Lokale, wie viel an Diskotheken, ist in den Daten nicht aufgeschlüsselt.
Hinzu kommt, dass sich manche Betriebe angesichts der Dauer-Schließung neue Geschäftsmodelle überlegt haben. Bars zum Beispiel, die schon vor Corona eine Speisekonzession besaßen, konnten ein paar Gerichte auf die Karte setzen und sich quasi zum Restaurant umwidmen. Andere haben dagegen aus der Not eine Tugend gemacht. So listet eine Übersichtsseite des Landkreises Augsburg neuerdings den Parkplatz eines Swinger-Clubs in Untermeitingen als Corona-Teststation auf.
Auch der Passauer Live-Club "Zauberberg" hat sich auf die neuen Zeiten eingestellt. "Wir konnten die Schließung mit kleinen Konzerten überbrücken", berichtet Alexandra Ossovsky. Weil solche Kulturveranstaltungen zuletzt unter reduzierter Auslastung wieder stattfinden durften, konnten Ossovsky und ihre Chefin Marlies Resch im Januar und Februar etwa 50 Besucher pro Konzert begrüßen - und sich so trotz Zwangspause finanzieren. Und auch die Mitarbeiter halten sich offenbar einsatzbereit. In den Zeiten vor der Pandemie bestand das Team aus 15 bis 20 Personen, darunter viele Studierende. "Wir haben Glück, dass sie uns wieder unterstützen wollen", sagt Ossovsky. "Wir sind bereit und könnten sofort wieder aufmachen."