Coronakrise:15-Kilometer-Regel: "Ein Beschluss mit gesellschaftlicher Sprengkraft"

Coronavirus - Ausflugverkehr im Bayerischen Wald

Die neue Regelung soll den Tagestourismus bremsen, wie hier am Großen Arber im Bayerischen Wald.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Politiker und Polizeigewerkschaft halten die angekündigte Ausflugs-Beschränkung für problematisch - die Verärgerung ist groß.

Von Julia Bergmann und Anton Kästner

"Die Meldungen zur 15-Kilometer-Regelung haben bei uns fast schon zu einem Volksaufstand geführt", sagt Regens Landrätin Rita Röhrl. Anrufe, wütende Nachfragen, Unverständnis. "Wie soll ich den Menschen erklären, dass jemand ein über 15 Kilometer entferntes Ziel im eigenen Landkreis nicht mehr erreichen kann, jemand aus einem anderen Landkreis darf aber weiter dorthin kommen?", fragt sie. Für normale Bürger sei das doch kaum vermittelbar. Sebastian Gruber, der Landrat von Freyung Grafenau, spricht gar von einem Beschluss mit gesellschaftlicher Sprengkraft.

Genauso wie in Regen, so liegt auch in Grubers Landkreis der Sieben-Tage-Inzidenzwert am Donnerstag weit über 200. Laut der neuen Regelung dürfen sich Menschen aus Landkreisen, die diese Marke überschreiten, von Montag an für Tagesausflüge nicht weiter als 15 Kilometer von ihrem Wohnort entfernen. Das hat die Staatsregierung am Mittwoch beschlossen.

Landrätinnen und Landräte aus betroffenen Kreisen - aktuell vor allem im Osten und Nordosten Bayerns - empfinden das als Benachteiligung. "Es ist doch fraglich, ob der Beschluss so vor Gericht Bestand hat", sagt Röhrl. Bereits am Mittwoch hatten Verfassungsrechtler dahingehend Bedenken angemeldet. Zudem ist am Donnerstag noch völlig unklar, wie der Beschluss von Montag an umgesetzt werden soll. Derzeit liegen laut Robert-Koch-Institut 15 Landkreise und Städte in Bayern über der Marke von 200.

In etlichen dieser Kreise und Städte, etwa in Wunsiedel, ist bisher ausschließlich das bekannt, was Bayerns Ministerpräsident Markus Söder am Mittwoch in der Pressekonferenz erklärt hatte, mehr nicht. Welche Ausnahmeregelungen gelten, an welchem Punkt genau die 15 Kilometer gemessen werden, welche Strafen bei Verstößen gelten - diese und viele andere Fragen sind noch offen.

Flächendeckende Kontrollen? - "Illusorisch"

Antworten darauf wird es frühestens an diesem Freitag geben, nach der Debatte im Landtag, wie ein Sprecher des Gesundheitsministeriums mitteilte: "Die Änderung der 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung befindet sich noch in Abstimmung." Zu Detailfragen könne man sich am Donnerstag deswegen noch nicht äußern.

Trotzdem ist sich Jürgen Köhnlein, Landesverbandsvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) schon jetzt sicher: "Es ist illusorisch, zu glauben, dass die Polizei das flächendeckend und auf Dauer kontrollieren kann." Mit jeder neuen Regelung wachse das Aufgabenfeld der Beamten. Dazu komme, dass etwa 1000 Polizisten für die Kontaktnachverfolgung an Gesundheitsämtern im Einsatz sind. 1000 Kollegen, die an anderer Stelle fehlen. "Für flächendeckende Kontrollen haben wir einfach nicht das Personal", sagt er.

Die Inzidenzzahlen driften teils weit auseinander, aber welche gilt?

Die wohl größte Herausforderung für die Beamten wird es aber sein, im Blick zu behalten, welche Inzidenzen in welchen Landkreisen gelten. Auch weil sich die Werte von Tag zu Tag verändern können. Noch dazu, das merkt Landrat Sebastian Gruber an, ist unklar, auf welche Zahlen man sich bei den Kontrollen beziehen soll. Sowohl das Robert-Koch-Institut als auch das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit veröffentlichen Inzidenzwerte.

"Diese Zahlen driften teilweise stark auseinander", sagt Gruber. Das liegt auch daran, dass die Gesundheitsämter an RKI und LGL zu unterschiedlichen Zeitpunkten melden. Bei all den Unklarheiten und Verschärfungen fürchtet nicht nur Gruber, dass die Akzeptanz zur Einhaltung der Regeln weiter abnehmen wird. Röhrl sagt: "So wie die Maßnahmen jetzt sind, sind sie schlichtweg nicht praktikabel." Und ob sie wirklich zu einer Abnahme des Tagestourismus führen, hält man in vielen Landkreisen mindestens für fraglich.

Immerhin in Tirschenreuth gibt man sich vorerst gelassen. Über die konkrete Umsetzung der 15-Kilometer-Regelung mache man sich noch keine Gedanken, teilt Sprecher Wolfgang Fenzl mit. "Wir fallen nach jetzigem Kenntnisstand morgen unter die 200er-Grenze", sagt er. Dann wäre Tirschenreuth aus dem Schneider.

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