Süddeutsche Zeitung

Gastronomie in der Corona-Pandemie:Kneipen dürfen innen wieder öffnen

Der Verwaltungsgerichtshof kippt die Schließung, doch Ministerpräsident Söder ist skeptisch: Er bringt Sperrzeiten und ein Alkoholverbot ins Spiel. Das neue Konzept müsse "eine hohe Firewall für Corona-Sicherheit" versprechen.

Von Maximilian Gerl, Andreas Glas, München/Miltenberg

Wie sie sich fühle nach diesem Sieg gegen die Staatsregierung? Gut, sagt Ina Poghosyan am Telefon: Die Wirtin des "Malibu" im unterfränkischen Miltenberg hat gegen die Corona-bedingte Schließung von Kneipen und Bars geklagt - und recht bekommen. Am Freitagmittag kippte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) die Regelung. Schankwirtschaften ohne Essensangebot dürfen ab sofort unter Hygieneauflagen wieder öffnen, so wie Restaurants auch. Die Schließung der Kneipen sei ungerecht gewesen, sagt Poghosyan. Sie selbst sei zwar nicht betroffen gewesen, da sie auch Essen ausgebe, aber ihr gehe es ums Prinzip. Und um "die 8000 Schankwirtschaften, die jetzt aufmachen dürfen".

Für viele Wirte erfüllt sich mit dem Gerichtsurteil eine lange und stetig wiederholte Forderung. Reine Bars und Kneipen hatten nach der in Bayern geltenden Infektionsschutzmaßnahmenverordnung bislang nur unter freiem Himmel öffnen dürfen, im Gegensatz zu Speisewirtschaften. Zwar habe es zu Beginn der Pandemie erhebliche Unterschiede zwischen der Innengastronomie von Speise- und Schankwirtschaften gegeben, begründet am Freitag der Verwaltungsgerichtshof sein Urteil.

Inzwischen habe sich aber das Geschehen - vor allem "der gesteigerte Alkoholkonsum beim geselligen Zusammensein" - so sehr angenähert, dass eine unterschiedliche Behandlung nicht mehr gerechtfertigt werden könne. Um die Infektionsgefahr zu bekämpfen, gebe es mildere Mittel: zum Beispiel Hygienekonzepte oder ein Alkoholverbot von einer bestimmten Uhrzeit an. Außerdem dauere die Schließung von Bars und Kneipen schon lange an, entsprechend schwer wiege der Eingriff in die Berufsfreiheit. Das Urteil ist rechtskräftig. Discos und Clubs sind von der Entscheidung nicht betroffen.

Kneipenbesitzer sind nun an die gleichen Regeln wie Restaurants gebunden: Sie müssen um ein Uhr schließen, einen Mindestabstand von anderthalb Metern gewährleisten und die Kontaktdaten ihrer Gäste erheben. Für Personal mit Gastkontakt gilt eine Maskenpflicht. Ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 50 brauchen Gäste aus mehreren Haushalten am Tisch einen Test. Viele Kneipiers haben in den vergangenen Monaten ihre Karten um ein paar Speisen erweitert, um den Schließungsmaßnahmen zu entgehen.

Wie lange die neuen alten Regeln gelten, ist wiederum eine andere Frage. "Wir werden uns das noch mal genau anschauen", sagt Ministerpräsident Markus Söder am Freitag am Tegernsee, wo seine CSU ihr Bundestagswahlprogramm beschlossen hat. Darin ist von langfristig niedrigeren Steuern für die Gastronomie die Rede, mit denen die Partei auch Sympathien in der Branche zurückgewinnen will. Doch nach dem VGH-Urteil drückt Söder auf die Bremse. Laut Urteil, sagt er, sei nur die komplette Schließung von Kneipen unverhältnismäßig. Dagegen seien "Einschränkungen zulässig".

Eine frühere Sperrstunde, Sitzplatzpflicht, Testpflicht, Musik nur im Hintergrund, all das kann sich Söder vorstellen, alles womöglich gekoppelt an Inzidenzschwellen. Auch ein Alkoholverbot bringt er ins Spiel. Bis Dienstag will die Staatsregierung ein Konzept vorlegen, "mit einer hohen Firewall für Corona-Sicherheit. Söder nennt als Negativbeispiel die Niederlande, wo die Öffnung der Kneipen jüngst ein "Beschleuniger" gewesen sei für die Pandemie.

Der Landesgeschäftsführer des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga, Thomas Geppert, begrüßt die Entscheidung als "längst überfällig" - warnte aber vor neuen Auflagen. Die Schutz- und Hygienekonzepte funktionierten auch in Schankwirtschaften, da "braucht es keine zusätzlichen Auflagen". Dem Virus sei es egal, ob nur getrunken oder auch gegessen werde. Zudem gebe es eine Aufsichtspflicht des Wirtes. Er trage "große Verantwortung", sagt Geppert. Und: "Umsicht und Vorsicht" - eine Anspielung auf Söders lange vorgetragenes Mantra gegen vorschnelle Lockerungen.

Poghosyan hatte bereits im September gegen die Corona-Maßnahmen geklagt. Sie selbst habe in ihrem Lokal alle Hygienemaßnahmen umgesetzt, erzählt sie: zum Beispiel die Theke mit Plexiglas versehen und einen Sicherheitsdienst engagiert, der die Einhaltung von Abständen kontrolliere. Die letzten Monate seien eine schwere Zeit für viele Kollegen gewesen. "Ich wünsche ihnen viel Erfolg und Kraft."

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SZ vom 24.07.2021/kafe, van
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