Debatte um korrigierte Abiturnoten:Gericht: Direktor hat Prüfungsrecht eklatant verletzt

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Einmal im Jahr wird die Statue von Herzog Casimir am Coburger Casimirianum mit Eichenlaub geschmückt, so will es die Tradition. Wie wichtig diese für alle "Casi“-Fans ist, betonen der Direktor, dessen Frau und Anwälte sogar schwärmend im Gerichtssaal. Sein Verhalten sollte sich dagegen nicht wiederholen. (Foto: imago)
  • Der Schulleiter des Coburger Casimirianums darf im Amt bleiben - obwohl er 2013 alle Klausuren des Deutsch-Abiturs um einen Punkt nach oben korrigiert hatte.
  • Was ihn dazu brachte: 23 Schüler hatten nur drei oder weniger Punkte geschrieben.
  • In den Debatten damals ging es nicht nur ums Abitur, sondern auch um den Ruf der Schule. Um den machte sich mancher in Coburg Sorgen.

Von Anna Günther, München

Wie emotional diskutiert wird, wenn es um das Abitur geht, ist zuletzt im vergangenen Frühjahr deutlich geworden: Tausende Schüler hatten gegen das vermeintlich zu schwere Matheabitur protestiert und gefordert, dass die Noten nachträglich angepasst werden. Bloß nicht, mahnten Lehrer, die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen ins Abitur dürften nicht beschädigt werden. Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) griff nicht ein.

Genau dieses Vertrauen ins Abitur spielte nun eine entscheidende Rolle am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Als letzte Instanz sollte an diesem Mittwoch der Vorsitzende Richter Ludwig Wagner mit seinen vier Kollegen klären, ob der Direktor des Coburger Casimirianums dieses Vertrauen so sehr erschüttert hat, dass der Freistaat Bayern ihn vom Schulleiter zum normalen Lehrer zurückstufen kann. Das Urteil ist eindeutig: Der Direktor darf weitermachen, trotzdem geht Wagner hart mit ihm ins Gericht.

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Der Fall löste 2013 Irritationen an vielen Gymnasien aus. So etwas habe es noch nie gegeben, hieß es damals. In der Nacht vor der Verkündung der Abiturnoten hatte der Schulleiter alle 93 Klausuren des Deutsch-Abiturs um einen Punkt nach oben korrigiert. Weil 23 Schüler nur drei oder weniger Punkte geschrieben hatten. Gegen den Willen der Erst- und Zweitkorrektoren, gegen den Willen des eigens einberufenen Fachausschusses.

Der Coburger Direktor, selbst Deutschlehrer, sagt noch heute, die Schüler seien "sehr penibel und zu rigide" benotet worden, ihre Leistungen seien nicht gewürdigt worden. Er hob das Notenraster an, alle 93 Klausuren verbesserten sich. "Und was hätten sie gemacht, wenn ein Schüler schon 15 Punkte gehabt hätte?", fragt der VGH-Richter Wagner. "Ich hätte ein Problem bekommen, ein mathematisches", antwortet der Schulleiter, lacht kurz und schiebt nach, dass sogar die Experten des Ministeriums die Korrektur als streng eingeschätzt hätten. Und er habe ja nur an die Kinder gedacht. Längst sei die Situation an der Schule aufgearbeitet, das Klima und Vertrauen wieder hergestellt.

Er wurde 2013 anonym angezeigt. Das Oberlandesgericht Bamberg sprach ihn 2015 vom Vorwurf der "Falschbeurkundung im Amt" frei. Die verbesserten Abiturnoten aber blieben bestehen. Dabei ließ es das Kultusministerium nicht bewenden. Es ging um das Vertrauen von Eltern und Schülern ins System. Und um das Vertrauen des Ministeriums zum Schulleiter. Das Disziplinarverfahren läuft seit 2014 und wurde nach dem OLG-Urteil fortgesetzt.

In den Debatten damals ging es nicht nur ums Abitur, sondern auch um den Ruf der Schule. Um den machte sich mancher in Coburg Sorgen, das Casimirianum gilt als Eliteschule. Wie toll die Schule sei, betonen der Schulleiter und seine Anwälte - Thomas Bittorf war selbst dort - immer wieder. Das sei auch das Verdienst des Direktors, sagen sie. Das Verwaltungsgericht Ansbach wertete dies sogar als mildernden Umstand.

Oberlandesanwalt Robert Kirchmaier setzt genau da an: Es sei dem Schulleiter eben nicht nur um die Kinder gegangen, sondern auch darum, nicht schlechter abzuschneiden als die anderen Schulen in Coburg. Zumal er nicht zum ersten Mal in die Abiturnote eingegriffen habe. 2012 hätten die Lehrer nachgegeben, 2013 weigerten sie sich - und der Schulleiter griff durch. Damit habe er das Vertrauen des Dienstherren, der Kollegen, Eltern und Schüler verspielt, findet Kirchmaier. "Es gibt einen Entscheidungsrahmen für die Prüfer, und das ist hinzunehmen, auch vom Schulleiter und Vorsitzenden des Prüfungsausschusses", sagt er. Dass der Direktor das nicht darf, stehe aber nicht in der Schulordnung, argumentiert Anwalt Eckart Staritz. "Nur weil da nicht steht, dass er das nicht darf, heißt das nicht, dass er das darf", hält Kirchmaier dagegen.

Fast eine Stunde lang ziehen sich die fünf Richter zurück, die Urteilsverkündung dauert Minuten. Der Senat lehnt die Berufung beider Seiten ab und bestätigt, was schon das Verwaltungsgericht Ansbach Anfang 2018 entschieden hatte: VGH-Richter Wagner sieht die Korrektur der Klausuren als "eklatante Verletzung des Prüfungsrechts", ein Grund für eine Disziplinarmaßnahme. Der Forderung der Landesanwaltschaft folgt der Senat nicht, der Schulleiter darf seinen Job bis zur Pension 2022 behalten. Das Gehalt wird für drei Jahre um ein Zehntel gekürzt. Dass das Vertrauen des Freistaats wieder hergestellt ist, glauben die Richter nicht, gingen aber auch nicht vom völligen Vertrauensverlust aus. Sonst wäre der Schulleiter nicht seit 2016 wieder mit dem Abitur betraut. Trotzdem: "Wie es gelaufen ist, ist es so eklatant falsch und grenzverletzend, dass es disziplinarwürdig ist. Man kann gar nicht anders entscheiden", sagt Wagner.

© SZ vom 16.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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