Süddeutsche Zeitung

Regionalwerk Chiemgau-Rupertiwinkel:Energie aus den Tiefen Bayerns

Im äußersten Südosten haben sich 31 Kommunen zusammengeschlossen, um die ländliche Region mit grünem Strom und Fernwärme zu versorgen. Und vielleicht sogar eine benachbarte Großstadt.

Von Matthias Köpf, Kirchanschöring

Die Frage, die sich Hans-Jörg Birner ganz am Anfang gestellt hat, klingt nach einem echten Luxusproblem: Wohin bloß mit der ganzen erneuerbaren Energie? Denn in den Dörfern rundherum gab es ja all diese Photovoltaikpaneele auf den Hausdächern und die Biogas-Anlagen auf den Bauernhöfen. Viele gab es sogar schon ziemlich lang - so lang, dass nach 20 Jahren eine Anlage nach der anderen aus der Förderung rutschen würde. Und ohne garantierte Einspeisevergütung schien sich das alles kaum mehr zu rechnen.

Und dann noch die Geothermie: Tief unter Bayerns äußerstem Südosten gibt es mehr als 100 Grad heißes Wasser. Den daraus produzierten Strom können die Unternehmen teuer verkaufen, aber für all die übrige Erdwärme gibt es kaum Abnehmer, wenn die Dörfer oft nur ein paar Hundert Einwohner haben. Inzwischen suchen 31 kleinere Städte und Gemeinden gemeinsam nach Antworten auf diese Fragen - und ihr gemeinsames Regionalwerk Chiemgau-Rupertiwinkel plant schon Fernwärme-Autobahnen bis ins benachbarte Salzburg hinein.

Sitz des Regionalwerks ist das kleine Kirchanschöring, jene Gemeinde im Landkreis Traunstein, in der Hans-Jörg Birner (CSU) seit fast 15 Jahren Bürgermeister ist. Dreieinhalbtausend Einwohner hat die Gemeinde, von Bannmühle über Hipflham bis Voglaich verteilen sich fast 50 Ortsteile auf immerhin 2500 Hektar Fläche, von denen wiederum zwei Drittel Wiesen und Felder und ein Viertel Wald sind. Da jetzt jede Einöde mit Fernwärme versorgen zu wollen, das gehe natürlich nicht, sagt Birner. Und direkt im Dorf gibt es ja auch schon ein privates Nahwärmenetz, an dem auch etliche öffentliche Gebäude hängen. Aber die Regionalwerker in Kirchanschöring denken ja längst größer.

16 Kommunen aus vier Landkreisen haben sich von Birner und seinen Mitstreitern bis zum Start im Januar 2021 für die Idee begeistern lassen, all die alten Photovoltaik- und Biogasanlagen zu einem zentral gesteuerten "virtuellen Kraftwerk" zusammenzuspannen, den Besitzen einen guten Einspeisepreis zu zahlen und den grünen Strom in der Region zu verkaufen.

Anfang dieses Jahres sind weitere 15 Gemeinden dazugekommen, das Gebiet reicht jetzt von Marktl am Inn im Landkreis Altötting bis Piding im Berchtesgadener Land und Prutting vor den Toren Rosenheims. Jetzt ist erst einmal Aufnahmestopp, sagt Birner, der im Regionalwerk Vorsitzender des Verwaltungsrats ist. Denn für jeden Neueintritt müssen die vorhandenen Mitglieder die Satzung ändern.

Die Kommunen versprechen sich viel von ihrem Unternehmen, in dem sie alle gleichberechtigt sind: regenerative Energie sowieso, aber auch Versorgungssicherheit und größere Unabhängigkeit von den Energiekonzernen. "Das dürfen wir uns als Kommunen nicht aus der Hand nehmen lassen", sagt Birner, und er könnte auch sagen: nicht wieder. Denn die weitgehende Privatisierung des Stromsektors in Bayern in den Neunzigerjahren war auch in den Augen des CSU-Mitglieds Birner aus heutiger Sicht ein Fehler.

Die Gewinne aus dem ganzen Geschäft hätten die Gemeinden natürlich auch gern in der eigenen Kasse und bestenfalls noch in den Geldbeuteln ihrer Bürger. Bisher hat das Regionalwerk Chiemgau-Rupertiwinkel aber vor allem staatliche Fördergelder eingenommen, gerade wieder 200 000 Euro von der EU und je 100 000 aus Bayern und aus Österreich. Mit dem Geld sollen mögliche große Wärmequellen in der Region aufgespürt werden, von einigen laufenden Erdwärme-Projekten etwa in Tengling und Palling über Biogas-Bauern bis zu größeren Betrieben, die nicht wissen, wohin mit der Abwärme aus ihren Produktionshallen.

Bis Leitungen liegen, wird viel Zeit vergehen

Bis all diese möglichen Lieferanten wirklich über ein Netz von Fernwärmeleitungen miteinander verbunden sind, wird allerdings noch viel Zeit vergehen. Denn diese Leitungen müssten lang werden, von der 13 000-Einwohner-Stadt Altötting im Norden bis Piding im Süden sind es fast 55 Kilometer Luftlinie. Vom Geothermie-Standort Tengling bis in die Kleinstadt Laufen wären es 15. Auf lange Sicht könnte dieses Leitungsnetz auch ins benachbarte Oberösterreich führen und irgendwann in der Stadt Salzburg enden, dem mit Abstand größten potenziellen Abnehmer weit und breit. Allerdings kalkuliert man im Regionalwerk grob mit Kosten von einigen Tausend Euro für jeden einzelnen Meter Leitung.

Aus einem Geothermieprojekt direkt in Kirchanschöring sind die Salzburger Stadtwerke vor einiger Zeit ausgestiegen und haben ihre Anteile an ein japanisches Unternehmen verkauft. Die Bohrung ist inzwischen zwar auf hohe Temperaturen gestoßen, aber auf viel zu wenig Wasser, als dass sich die Förderung mit der bisher erprobten Technologie lohnen würde.

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