Süddeutsche Zeitung

SPD in Bayern:Sowas hat man lange nicht gesehen

Die SPD erreicht in Bayern ein Ergebnis, das sich kaum noch jemand vorstellen konnte. Der Wahltag ist nach Jahren des Siechtums ein Befreiungsschlag.

Von Johann Osel

Natürlich steht dieser rote Balken jetzt im Mittelpunkt, so hoch, wie man ihn schon lange nicht mehr gesehen hat, in Bayern ohnehin nicht. Auf der SPD-Wahlparty am Münchner Nockherberg laufen die ersten Zahlen auf dem Bildschirm: Die SPD im Bund liegt vorne bis gleichauf mit der Union, als Wahlsieg gilt das allemal. Jubel brandet auf - große SPD-Flaggen, die Gäste selbst mitbrachten, und Fähnchen, die vorsorglich an allen Tischen in Krügen platziert wurden, werden geschwenkt.

Es lohnt aber fast noch mehr der Blick auf den kleineren roten Balken - die bayerischen Zahlen, die am Rande ebenfalls angezeigt werden: 16 bis 17 Prozent für die Genossen im Freistaat. Platz zwei vor den Grünen. Vor vier Jahren waren es nur 15,3 Prozent; bei der Landtagswahl 2018 gab es das historische Debakel mit 9,7 Prozent. Manche Umfrage in Bayern zwischenzeitlich sah die SPD nicht weiter weg von der Fünf-Prozent-Hürde als von der Zweistelligkeit, die Grünen waren überall enteilt. Wegen geringerer Zuschüsse mit derlei Ergebnissen begann zuletzt in der SPD ein Rückbau der Strukturen, man konnte sich dieses oder jenes einfach nicht mehr leisten. Der Wahltag jetzt ist nach Jahren des Siechtums ein Befreiungsschlag oder sogar: eine Wiederbelebungsmaßnahme im letzten, kritischen Moment.

Die Stimmung am Nockherberg? Ausgelassen, wie sollte es anders sein. Der Schauplatz tut sein Übriges, draußen der Biergarten ist voll mit "normalen" Feiernden, es ist Spätsommer und Wiesn-Zeit. Drinnen im Saal der SPD - das Ende der Schnuten. Dass bayerische Sozialdemokraten so herzhaft lachen und jubeln können wie hier an jeder Ecke, gehört nicht zu den Bildern, die sich 2021 im politischen Gedächtnis eingeprägt hätten. Das Wahljahr begann mit gewohnt lausigen Umfragen. Und mit einer ernüchtert zurückgetretenen Landeschefin Natascha Kohnen, einem internen Wettkampf um die Führung (der jedoch für notorische SPD-Streithansl-Verhältnisse fair ablief), mit einer Landtagsfraktion, die im Vergleich zu früher halbiert ist und noch irgendwie ihre Rolle suchte. Florian von Brunn hatte sich erst mit Ronja Endres als Duo an der Parteispitze durchgesetzt, gegen den bisherigen Generalsekretär Uli Grötsch, dieser wurde später Spitzenkandidat. Dann sicherte sich Brunn via Kampfabstimmung auch den Fraktionsvorsitz.

Lautes Trommeln für die SPD, mehr Medienpräsenz, Einbindung der Basis - das gab er aus, um die "Trendwende" einzuleiten. Tatsächlich gelangen ihm durch seine zuspitzende Art Schlagzeilen, Endres und er pilgerten zu Ortsvereinen, versprühten "sozialdemokratische Selbstbewusstsein". Doch in den Umfragen tat sich wenig.

Dann kam dieser Wahlkampf. Wer sich noch vor einigen Monaten unter Genossen umhörte, der registrierte vielfach gedimmte Lust auf den Wählerfang. Scheinbar hoffnungslos abgeschlagen lag Kanzlerkandidat Olaf Scholz, standen die Sozialdemokraten in Umfragen. Das Pflichtbewusstsein gegenüber der Partei war im Frühsommer noch Hauptgrund vieler Mitglieder, sich im Wahlkampf zu engagieren, geht ja nicht anders - auf die gerade in Bayern erwartbaren Sprüche an Ständen und Haustüren ("Haha, SPD, gibt's euch eigentlich noch?) war keiner scharf. Das hat sich abrupt geändert, mit dem Scholz-Aufwind. Plötzlich war da eine neue Lust zu spüren, Mitglieder fragten in Ortsvereinen, was sie tun könnten. Sogar solche Mitglieder, hört man, die davor als "Karteileichen" galten.

Langgediente SPD-Politiker sahen sich an Glücksgefühle der Wahlkämpfe der Jahre 1998 und 2002 erinnert, an den ersten Sieg von Gerhard Schröder gegen die Kohl-CDU und die knapp gewonnene Schlacht gegen Edmund Stoiber. Spitzenkandidat Uli Grötsch sagte bei einer Kundgebung kürzlich, es sei ein "besonderer Sommer, in dem es uns besonders leicht fällt, unsere frohe Botschaft zu verkünden".

Die Botschaft, mit der die SPD warb, war das klassische Programm, Beispiel Mindestlohn. Und in Abgrenzung zu den Grünen ein Klimaschutz, der für Bürger bezahlbar sein soll. Grötsch definierte es so: Der grüne Klimaschutz sei einer über "Verbote, die sich normale Menschen überhaupt nicht mehr leisten können". Der rote hingegen einer, "der alles tut, dass die Klimapolitik nicht zum Job-Killer wird, sondern zum Job-Motor". Dass abseits davon der Kanzlerkandidat zum Programm gemacht wurde, war logisch. Scholz, Scholz, Scholz war überall plakatiert, "Wer Scholz will, muss SPD wählen". Dass die Landes-SPD traditionell links verortet ist und Scholz als einstiger Agenda-Architekt früher eher aus Zorn denn aus Freude rote Bäckchen bei Genossen verursachte, war vergessen, galt auf Nachfrage als "Schnee von gestern". Man lag richtig damit, auch in Bayern voll auf den Kandidaten zu setzen. Laut BR-"Bayerntrend" Anfang September hätten bei einer Direktwahl vier von zehn Bürgern im Freistaat für einen Kanzler Scholz votiert.

Scholz, den Namen sagt auch Parteichef Brunn kurz nach 18 Uhr in die Mikrofone, für die "gigantische Aufholjagd" gerade auch in Bayern sei zudem maßgeblich gewesen, dass sich die SPD "sehr geschlossen" zeigte. Das Publikum am Nockherberg übrigens: so jung, dass man die offiziellen Altersstatistiken der Partei, Überalterungsstatistiken sind es ja, kaum für glaubhaft halten mag. Es sind, ergibt ein Herumhorchen, viele Wahlkämpfer von den Jusos und aus München, die sich mit Bier und Begeisterungstaumel belohnen wollen.

Nicht wenige hatten seit Parteieintritt noch nie etwas zum Jubeln an Wahlabenden. Das Ziel für die Landtagswahl - Brunn bestätigt es am Abend im Gespräch mit der SZ - ist jetzt klar: 2023 zweitstärkste Kraft zu werden und die Grünen wieder zu überholen. Als Brunn und Endres angetreten waren, versprachen sie als Ziel im Land mindestens 15 Prozent. Da fragten freilich manche Genossen: Wie soll das nur geschehen? Wie soll sich bitte die bayerische SPD vom Bundestrend abkoppeln? Das gelinge vielleicht einer Malu Dreyer, aber eine solche Sympathie-Granate wie die rheinland-pfälzische Regierungschefin sei Brunn nun auch nicht. Dass das Abkoppeln vom Bundestrend gar nicht nötig ist, wenn dieser steil nach oben geht - das war damals unter grübelnden Genossen anscheinend außerhalb jeder Vorstellungskraft.

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Quelle:
SZ vom 27.09.2021
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