Naturschutz:Naturschützer kämpfen um ihren Einfluss

Naturschutz: Können Umweltverbände gegen Projekte wie die Therme Lindau nicht bloß klagen, sondern diese im Notfall auch stoppen? Diese Frage will der Bund Naturschutz höchstrichterlich klären lassen.

Können Umweltverbände gegen Projekte wie die Therme Lindau nicht bloß klagen, sondern diese im Notfall auch stoppen? Diese Frage will der Bund Naturschutz höchstrichterlich klären lassen.

(Foto: David Matthiessen/Therme Lindau GmbH)

Der Bund Naturschutz will am Beispiel der Therme Lindau am Bundesgerichtshof klären lassen, wann er ein Klagerecht hat - und so im Notfall Bauprojekte stoppen kann.

Von Florian Fuchs und Christian Sebald, Lindau

Im künstlichen Wildbach rauschen stündlich 2,5 Millionen Liter Wasser bergab, die Gäste der Therme Lindau können mit hinunter rutschen - allerdings nur geübte Schwimmer von acht Jahren an. Die größte Therme am Bodensee verfügt über einige Attraktionen, über Außenbecken und Innenbecken, einen Kinderbereich, eine Kerzensauna und eine Feuersauna, über Rutschen und Soleschwebebecken und ein Beach-Bar-Becken natürlich auch. An einem der schönsten Plätze am Bodensee liegt die Therme, das würden wahrscheinlich sogar Naturschützer unterschreiben. Unter anderem gerade deshalb haben sie so vehement gekämpft gegen das 45 Millionen Euro teure Projekt.

Ein Bürgerbegehren gab es, Klagen von Anwohnern und alleine zwei Gerichtsverfahren, die der Bund Naturschutz (BN) angestrengt hatte. Die Therme ist nun fertig, sie hat seit Sommer 2021 geöffnet, und trotzdem entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig nun noch einmal über den Streit über die Therme: Der BN will seine Klagebefugnis höchstrichterlich klären lassen, im Kern geht es um die grundsätzliche Frage, ob Umweltverbände ein Klagerecht gegen Baugenehmigungen und Bebauungspläne haben und sie damit stoppen können, bevor die Bagger anrollen und es zu Umweltzerstörungen kommt.

Die Therme liegt im Landschaftsschutzgebiet "Bayerisches Bodenseeufer" und grenzt an ein europäisches Vogelschutzgebiet, ein Naturschutzgebiet und ein europäisches Fauna-Flora-Habitat-Gebiet an. Die Lindauer hatten 2017 in einem Bürgerentscheid dennoch klar für das Projekt votiert, nachdem der Stadtrat zuvor bereits jahrelang darüber diskutiert hatte. Noch heute kritisiert der BN etwa die Beleuchtung der Therme, die weit in den See hinein ragt. Sie stelle ein Problem für zahlreiche Zugvögel dar, "schließlich ist der Bodensee eines der wichtigsten mitteleuropäischen Rast- und Überwinterungsplätze", sagt Maximilian Schuff, Vorsitzender der örtlichen BN-Kreisgruppe.

In gerichtlichen Kampf gegen die Lindauer Therme scheiterte der BN beide Male: Erst lehnten das Verwaltungsgericht (VG) Augsburg und der Verwaltungsgerichtshof (VGH) in München einen Baustopp ab, den der BN im Eilverfahren erzwingen wollte. Die Begründung: Der BN habe nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz keine Klagebefugnis gegen Baugenehmigungen. "Das hat uns sehr überrascht, die anderen Verwaltungsgerichte in Bayern sehen das in ähnlichen Fällen anders", sagt Rottner. Wie auch immer: Die Bauarbeiten an der Lindauer Therme konnten ungehindert weiterlaufen. Gleichwohl setzte der BN die gerichtliche Auseinandersetzung fort. Doch er scheiterte abermals. Das VG Augsburg und der VGH wiesen seine Klage gegen den Bebauungsplan für die Therme zurück. Ihr Argument: Die Bauarbeiten daran seien so weit fortgeschritten, dass sich die Klage erübrigt habe.

20 Minuten später fielen die ersten Bäume

Eine wichtige Bedeutung in der Auseinandersetzung hatte aus Sicht des BN die extrem kurze Spanne zwischen Veröffentlichung des Bebauungsplans, der Aushändigung der Baugenehmigung an den Bauherren und dem Beginn der Bauarbeiten. "Sie hat uns praktisch die Zeit genommen, das Projekt vor Gericht zu verhindern", sagt der BN-Jurist Peter Rottner. Laut BN wurde der Bebauungsplan samt Satzungsbeschluss am 24. Februar 2018 im Amtsblatt der Stadt Lindau veröffentlicht, einem Samstag, an dem für gewöhnlich die Arbeit in Behörden, an Gerichten und auch bei Umweltverbänden ruht. Die Baugenehmigung wurde dem Bauherren am selben Tag um 6.45 Uhr ausgehändigt. Bereits 20 Minuten später seien unter Polizeischutz die ersten Bäume gefällt worden, teils mehr als 100 Jahre alte Eichen. "Allein diese Eile ist verdächtig", sagt Rottner. "Das sieht danach aus, als wollte man den BN gezielt raushalten."

Auch die richterlichen Entscheidungen haben es aus Rottners Sicht in sich. "Erst wird uns die Möglichkeit genommen, einen Baustopp bis zu einem endgültigen Urteil zu erreichen", sagt er. "Und später haben sich unsere Klagen erledigt, weil das Projekt zu weit vorangekommen ist." Wenn dieses Beispiel Schule macht, sieht der BN eine große Gefahr für seine Arbeit. "Viel zu oft werden mit Sägen und Baggern Fakten geschaffen, ohne dass wir die Chance haben, die Bauvorhaben aus der Perspektive des Natur- und Umweltschutzes zu bewerten und eventuell zu klagen", sagt Rottner. "Das können und wollen wir nicht hinnehmen." Deshalb die Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Der BN und andere Umweltorganisationen begreifen ihr Klagerecht als zentrales Instrument im Kampf für eine möglichst intakte Natur und Umwelt. Sie berufen sich dabei auf die Konvention von Aarhus aus dem Jahr 1998. Der völkerrechtliche Vertrag, der von 47 Staaten, unter ihnen alle EU-Mitglieder und damit auch Deutschland, und der EU unterzeichnet worden ist, sichert Einzelpersonen und Umweltverbänden den Zugang zu weitreichenden Umweltinformationen und ein Klagerecht in Umweltsachen zu. Damit soll der Schutz von Natur und Umwelt verbessert werden. Aus Sicht vieler Politiker, Investoren und Wirtschaftsleute geht das Klagerecht der Umweltverbände zu weit und behindert wichtige Projekte.

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