Die ÖDP zählt zu den Kleinparteien, die bei Landtagswahlen froh sein darf, wenn sie gut eineinhalb Prozent erzielt. Gleichwohl sind sie und ihre Vorsitzende Agnes Becker eine gewichtige politische Kraft in Bayern. Der Grund: Die ÖDP ist sehr geschickt und sehr erfolgreich in Sachen Volks- und Bürgerbegehren. Das hat zuletzt das „Volksbegehren Artenvielfalt – Rettet die Bienen“ gezeigt. Mit 1,7 Millionen Unterstützern – satten 18 Prozent der Wahlberechtigten – war es das erfolgreichste Volksbegehren in der Geschichte des modernen Bayerns. Und in den Kommunen macht die Kleinpartei immer wieder mit Bürgerbegehren von sich reden. In München zum Beispiel mit den Initiativen „Grünflächen erhalten“, die der Stadtrat angenommen hat, und „Hochhausstopp“, die noch läuft und die sie massiv unterstützt.
Deshalb war es klar, dass die ÖDP keinen Gefallen an Söders Vorstoß findet, Bürgerbegehren und -entscheide einzuschränken. Schon wenige Stunden nachdem der Ministerpräsident sein Vorhaben per Regierungserklärung angekündigt hatte, kam die geharnischte Reaktion. „Söder wirft wieder eine seiner typischen Nebelkerzen. Er kündigt Entbürokratisierung an, und weil die CSU auf dem Gebiet noch nie etwas gerissen hat, packt er den Abbau der lokalen Bürgerbeteiligung gleich dazu“, teilte ÖDP-Chefin Becker mit. Für den Fall, dass Söder ernst macht, versprach Becker gleich schon mal ein neues Volksbegehren „Mehr Demokratie in Bayern“. Dazu muss man wissen, dass das gleichnamige Volksbegehren von 1995 Ursprung der kommunalen Bürgerbegehren und -entscheide in Bayern ist.
Beim Bund Naturschutz (BN) haben sie ebenfalls viel Erfahrung mit Bürgerbegehren und -entscheiden. „Unsere Orts- und Kreisgruppen haben oft ja gar keine andere Möglichkeit, die Debatte um landschafts- und naturzerstörerische Umgehungsstraßen, Gewerbegebiete und anders mehr zu beeinflussen“, sagt BN-Chef Richard Mergner. „Und zwar sowohl mit eigenen Initiativen als auch, indem sie andere unterstützen.“ Für die Naturschützer ist es oft schon ein Erfolg, wenn so eine Initiative zu einer Umplanung führt und dadurch beispielsweise der Flächenfraß durch ein neues Gewerbegebiet ein wenig eingeschränkt wird.
Inzwischen ist sowohl in der ÖDP als auch im BN die erste Aufregung über Söders Ankündigung ein wenig abgeklungen. Mit dazu beigetragen hat, dass es einen runden Tisch zur Überarbeitung der Bürgerbegehren und -entscheide geben wird, den der frühere Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) moderieren soll. Beckstein, der sich selbst einen Anhänger der direkten Demokratie nennt, genießt hohes Ansehen in der ÖDP und durchaus auch im Bund Naturschutz. Außerdem hat der CSU-Politiker bereits erklärt, dass er zu dem runden Tisch nicht nur die Landtagsopposition und die Verbände der Kommunen einladen will. Sondern auch Parteien und Organisationen, die mit Bürgerbegehren und -entscheiden vertraut sind. Ohne es direkt auszusprechen, lässt zumindest ÖDP-Chefin Becker erkennen, dass sie mit einer Einladung rechnet.

Denn Becker möchte die direkte Demokratie in Bayern gerne ausweiten – „vor allem in drei Punkten“, wie die ÖDP-Chefin offen sagt. Der eine betrifft die Quoren, also die Zahl der Unterstützer, die ein Bürgerbegehren braucht, damit es zur Abstimmung über den jeweiligen Streitpunkt kommen kann. Der andere zielt auf die Bindungskraft eines erfolgreichen Bürgerentscheids und der dritte auf Informationsmöglichkeiten und -pflichten vor den Abstimmungen. Becksteins runder Tisch ist nach Beckers Überzeugung genau der Ort, an dem über diese drei Punkte beraten werden soll.
Drei Punkte sind Becker wichtig
Die Quoren für Bürgerbegehren sind seit jeher gestaffelt. In kleinen Gemeinden sind sie deutlich höher als in großen. Damit soll den Umständen Rechnung getragen werden, dass die Bevölkerung einerseits auf keinen Fall zu jedem x-beliebigen Thema zur Abstimmung aufgerufen werden kann, andererseits es natürlich in großen Kommunen deutlich schwieriger und aufwendiger ist, Menschen zu mobilisieren als in kleinen. Für Kommunen bis 10 000 Einwohner beträgt das Quorum zehn Prozent, in Großstädten ab 500 000 Einwohner drei Prozent. „Nach unserer Erfahrung sind vor allem diese drei Prozent deutlich zu viel“, sagt Becker. „Das gehört unbedingt angepasst.“
Bei der Bindungskraft eines Bürgerentscheids ist es andersherum. Die beträgt generell ein Jahr. Das heißt, dass sich ein Gemeinde- oder Stadtrat ein Jahr an den Ausgang der jeweiligen Abstimmung halten muss. Danach ist er wieder frei in seinen Entscheidungen. „Gerade bei strittigen Umgehungsstraßen erleben wir immer wieder, dass die Kommunen ihr Projekt ein Jahr nach dem Bürgerentscheid, in dem es abgelehnt wurde, in der Schublade liegen lassen und es dann mehr oder weniger unverändert wieder herausholen“, sagt BN-Chef Mergner. „Das konterkariert den Bürgerwillen, die Bindungskraft gehört verlängert.“ ÖDP-Chefin Becker sieht das genau so.
Bei den Informationsrechten und -pflichten wünschen sich ÖDP und BN Waffengleichheit zwischen Bürgerinitiativen auf der einen und Kommunen und Investoren auf der anderen Seite. „Gerade bei Großprojekten wie der umstrittenen Batteriefabrik von BMW im niederbayerischen Straßkirchen sind die Bürgerinitiativen und unsere Ortsgruppen den Investoren finanziell und personell hoffnungslos unterlegen“, sagt BN-Chef Richard Mergner. „Da braucht es unbedingt mehr Informationsrechte für die Bürgerinitiativen, zum Beispiel durch institutionalisierte Bürgerversammlungen wie in der Schweiz.“