Der Buchenwald-Zärtling (Entoloma placidum) ist ein recht unscheinbarer Pilz. "Er wird vielleicht drei bis sechs Zentimeter hoch", sagt Peter Karasch,Vize-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Mykologie. "Sein Hut hat einen Durchmesser von maximal einer Zwei-Euro-Münze." Das Besondere an dem extrem seltenen, bisweilen ein wenig nach Mehl riechendem Pilz ist, dass er nur in Buchenwäldern mit viel totem und vermorschten Buchenholz vorkommt. Manchmal wächst er ganz alleine auf einem Stamm, manchmal auch in Gruppen. "Aber immer nur in alten, besonders naturnahen Buchenwäldern", wie Karasch betont. Der Böhmerwald mit seinen beiden Nationalparks Šumava und Bayerischer Wald ist eine der ganz wenigen Regionen Deutschlands, in denen er nachgewiesen ist.
Der Buchenwald-Zärtling, der in manchen Gegenden auch Buchenrötling heißt, ist eine von 4200 Pilz-Arten, die im Rahmen des EU-Projekts "Funga des Böhmerwalds" in Ostbayern, Oberösterreich und dem westlichen Tschechien dokumentiert worden sind. Seit 2017 war ein internationales Forscherteam um die beiden Pilzexperten Claus Bässler und Karasch in der Region unterwegs, um die Pilzarten dort zu kartieren, zu fotografieren und zu beschreiben. Aber nicht nur das. Das Team hat viel Zeit in Archiven und Sammlungen verbracht und dort wichtige Daten über die Pilze des Böhmerwalds zusammengetragen. Das Ergebnis sind die Internetseite www.pilze-ohne-grenzen.eu und die Broschüre "Pilze im Böhmerwald - Besonderheiten, Klassiker und Naturnähezeiger".

Natürlich trifft man im Böhmerwald - also in der Region von der Oberpfälzer Waldnaab entlang der Donau bis nach Passau und Linz und auf tschechischer Seite bis zum Gratzener Bergland - auf schier unzählige Speisepilz-Arten: Auf den Wiesenchampion genauso wie den Perlpilz, den Fichtensteinpilz, den Pfifferling, den Brätling oder den nussartig schmeckenden Frauentäubling, den sie im Bayerischen Wald wegen seiner bisweilen bläulichen Färbung auch Blauteiberl nennen. Es gibt aber auch jede Menge giftige Schwammerl, vor denen man sich hüten sollte. Und zwar nicht nur den Fliegenpilz und den Grünen Knollenblätterpilz. Sondern auch den Spitzgebuckelten Raukopf, der mit seiner rost- oder zimtorangen Färbung sehr attraktiv aussieht, aber zu den giftigsten Pilzen Mitteleuropas zählt. Oder die Frühjahrs-Giftlorchel, die man gut an ihrem hirnartigen Hut erkennt.
Außerdem sind da die "Naturnähezeiger". Also Pilze, die nur in ökologisch besonders intakten Regionen wachsen. Die Zitronengelbe Tramete, ein 1,5 bis zehn Zentimeter breiter zitronen- oder hellgelber Schichtpilz, der auf stark zersetzten Baumstämmen lebt, ist ein prominentes Beispiel. Als sogenanntes Urwaldrelikt war sie lange Zeit nur in dem Urwaldrest Mittelsteighütte nahe Zwiesler Waldhaus dokumentiert. Inzwischen hat sie sich wieder ausgebreitet in beiden Nationalparks.

Und dann sind da noch die Pilze, von denen man bisher nicht wusste, dass sie überhaupt wachsen im Böhmerwald. Der Nordische Gurken-Helmling, ein wenig auffällige, grau-bräunlich gefärbter Pilz mit dünnfleischigem Hut, kommt nur in Norwegen vor - und auf dem Ruckowitzschachten, einer früheren Hochweide in der Kernzone des Nationalparks Bayerischer Wald. Dort haben ihn zwei Pilzexperten im Oktober 2017 entdeckt. Oder der Erd-Simmerling, der ursprünglich wohl aus Asien stammt. Er wächst als Büschel in den Bergmischwäldern des Nationalparks Bayerischer Wald und wird offenbar schon seit längerem von Einheimischen als Delikatesse geschätzt. Der offizielle Erstnachweis stammt allerdings vom August 2017 nahe Neuschönau.
Überhaupt dürften die 4200 Arten auf "Pilze ohne Grenzen" noch nicht alle gewesen sein. Zwar machen sie etwa ein Drittel der in Deutschland bekannten Pilze aus. "Aber es sind nur die Arten, die wir im Böhmerwald bisher dokumentiert haben", sagt Karasch. "Da kommen sicher noch viele Pilze hinzu, von denen wir bisher nur nichts wissen."