Niederbayern:"Lass die Sau raus - oi, oi, oi!"

Niederbayern: Zehn Jahre lang fungierte Uni-Dozent Hans Göttler als Minister der Innereien des Schlachtschüsselvereins.

Zehn Jahre lang fungierte Uni-Dozent Hans Göttler als Minister der Innereien des Schlachtschüsselvereins.

(Foto: privat)

Der Verein zur Förderung des Ansehens der Blut- und Leberwürste huldigt einem bayerischen Kulturgut, das seit jeher die Geschmäcker polarisiert.

Von Hans Kratzer

Wenn jemand öffentlich zugibt, er esse gerne Blutwurst, läuft er Gefahr, entsetzte Blicke zu ernten. Für sensible Esser klingt eine Eloge auf die Blutwurst fast so schräg, als habe jemand gesagt, er verdrücke zum Frühstück rostige Nägel. Kein Zweifel, im Zeitalter des anschwellenden Veganismus ist das Image der Blutwurst angekratzt. Dabei galt sie schon in der Antike als ein Schmankerl. Der alte Homer erwähnte etwa im 18. Gesang der "Odyssee" mit Blut und Fett gefüllte Ziegenmägen, die zum Nachtmahl gereicht wurden. Ganz zu schweigen vom Tyrannen Lykorgos, der die Krieger von Sparta mit einer schwarzen Suppe aus Blut, Speck und Zwiebeln verpflegt haben soll, um sie unbezwingbar zu machen.

Zweifellos hätten sich die Krieger des Lykorgos auch im Passauer Land wohlgefühlt, speziell in dem stillen Dorf Bad Höhenstadt, das vor gut zehn Jahren in der Bild eine Schlagzeile bekam, weil dort in 18 von 20 Vereinen Frauen den Vorsitz führten. Nur bei jenem Verein, der sich der Rettung der krisenhaft bedrohten Metzgerwurst verschrieben hat, steht traditionell ein Mann an der Spitze, was die Frauen aber geduldig hinzunehmen scheinen. Beim Höhepunkt des Vereinslebens am Faschingsdienstag skandiert das gemischte Publikum im brechend vollen Saal des Gasthauses Stopfinger (Kirchenwirt) jedenfalls unisono den Leitspruch: "Lass die Sau raus - oi, oi, oi!"

In diesem Moment nähert sich die Jahresversammlung des Vereins zur Förderung des Ansehens der Blut- und Leberwürste in der Regel ihrem ersten Höhepunkt. Sofort beginnt die Trennlinie zwischen Faschingsgaudi und realer Rettung der Schlachtschüssel im zunehmend stickiger werdenden Saal zu verschwimmen. Franz Achatz ist jetzt 83 Jahre alt und einer der rührigsten Fürsprecher der kuriosen Versammlung, die eher ein älteres Publikum anspricht. Blut- und Leberwürste sind kein Thema für die Jugend, sagt Achatz. Noch nicht einmal die Rapper und Hip-Hopper haben sich bislang an diesen dampfenden kulinarischen Kosmos herangewagt. Franz Achatz versteht das gut: "Nein",sagt er, "für junge Menschen ist das nichts. Denen dreht sich der Magen um."

Ein Nachwuchsproblem haben die Blutwurstfreunde trotzdem nicht. Der Verein ist ein Spiegel der Gesellschaft, Akademiker, Arbeiter, Rentner und Starköche wie Vinzent Klink gehören dazu, alle Schichten sind vertreten. "Als wir den Verein vor Jahrzehnten gründeten, traten auf einen Schlag 120 Mitglieder bei", erinnert sich Achatz. Bald darauf waren es schon 350. Leider passen in den Saal des Kirchenwirts aber höchstens 250 Wurstbegeisterte hinein. Nicht jedes Mitglied kann deshalb am Faschingsdienstag den Jahresbeitrag in Form einer Schlachtschüssel verzehren. Es ist auch keine Reservierung möglich, wer einen Platz ergattern will, muss Stunden vor dem Auftakt da sein.

"Eine Schlachtschüssel gibt es nur in den Wintermonaten", erklärt Heidi Krompass, die Wirtin. "De Junga mengs glei gar ned", bestätigt sie, "de Oidn scho." Ihre Schlachtschüssel beinhaltet neben einer Blut- und einer Leberwurst ein gekochtes Schweinernes, Salzkartoffeln und ein Sauerkraut. Da hat die Verdauung gut zu tun.

Niederbayern: Der Orden "Wider die beleidigte Leberwurst" soll helfen, die Seelen von beleidigten Leberwürsten zu heilen. Er ist die höchste Auszeichnung, die der Schlachtschüsselverein vergibt.

Der Orden "Wider die beleidigte Leberwurst" soll helfen, die Seelen von beleidigten Leberwürsten zu heilen. Er ist die höchste Auszeichnung, die der Schlachtschüsselverein vergibt.

(Foto: Heimatverein Bad Höhenstadt)

Franz Voggenreiter, der Vorsitzende des Vereins, hält Blut- und Leberwürste aber ernährungstechnisch für essenziell. "Da kann a Weißwurst überhaupt net hinschmecken!" Vor allem dann nicht, wenn das Fett in der Wurst fein austariert ist. Die Wirtin verrät: Das Fett sei gut für den Geschmack, "die Wurst derf aber aa ned allzu fett sein, nur so wird sie mitm Fleisch und mit de Kartoffeln richtig gschmackig".

Dem Verein liegt aber nicht nur die Atzung am Herzen, sondern auch die Kultur, die eine bisweilen ins Kabarettistische lappende Umrahmung der Blut- und Leberwurst-Gaudi vorsieht. Erst nach diversen Vortrags- und Gesangsbeiträgen, die sich über Stunden hinziehen, wird die Schlachtschüssel serviert. Nach bewährter Tradition werden am Dienstag etwa die Saurüsselweiber auftreten, vier Damen deren gesangliche Neigung natürlich das Thema Sau nicht ausschließt. Diesmal wird sogar ein Abschied gefeiert, denn der Passauer Universitätsdozent Hans Göttler, der zehn Jahre lang im Verein das Amt des Ministers der Innereien bekleidet hatte und stets eine Festrede vortrug, zieht sich aus dieser Verantwortung zurück, "auch wenn es in Bad Höhenstadt immer sauschön war", wie er einräumt. Er wolle den am Amt klebenden Ministern in Bund und Land als leuchtendes Beispiel vorangehen, sagt er. Göttler hatte viele revolutionäre Vorschläge gemacht, für Bad Höhenstadt als Hauptstadt der Wurstnation Bayern geworben und sogar eine Höhenstädter Verfassung ausgerufen, die sehr wurstlastig formuliert war.

Heidi Krompass, Wirtin

"Fett ist gut für den Geschmack, Blut- und Leberwürste dürfen aber aa ned allzu fett sein, nur so werden sie mitm Fleisch und mit de Kartoffeln richtig gschmackig."

Überdies wird wieder der Orden "Wider die beleidigte Leberwurst" verliehen. Schon deshalb, weil es in einer Schlachtschüsselrepublik wie Bayern notgedrungen viele beleidigte Leberwürste gebe. "Beleidigte Leberwurst, das ist ein seelischer Zustand, den wir mit dem Orden heilen wollen", sagt Göttler. Es ist die höchste Auszeichnung, die der Schlachtschüsselverein zu vergeben hat und nach Ansicht der Mitglieder mindestens so wertvoll ist wie das Bundesverdienstkreuz.

Erst wenn alle Regularien endlich beendet sind und die Bayernhymne verklungen ist, werden im Takt der knurrenden Mägen die Schlachtschüsseln mit den Würsten, dem Wammerl und dem Kraut aufgetischt. Die Servierzeit wird oft mit angeregten Überlegungen zum tieferen Wesen dieser Speisen überbrückt, wie etwa mit dem linguistischen Hinweis, die Blutwurst habe auch unter den Namen Blunzn und Röselwurst Berühmtheit erlangt. Nach Stunden lebhaftesten Austausches und, krautbedingt, dem Ausstoßen vieler Bäuerchen steht zum glorreichen Finale nur noch das Absingen der Blut- und Leberwursthymne an, die wie folgt beginnt: "Gott mit dir, du Land der Würste. Voller Leber, voller Blut! Ach wie schmeckt ihr doch so köstlich! Gschmackig, würzig, einfach gut!"

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