Bio-Bauern:Warum selbst Öko-Pioniere mit der Weidepflicht hadern

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Der fränkische Bio-Bauer Pankraz Eck in dem Auslauf für seine Kühe. Er kann die Weidepflicht nicht umsetzen. Deshalb wird er seine Bio-Zulassung voraussichtlich zurückgeben und die Mitgliedschaft bei Bioland kündigen. (Foto: Pankraz Eck)

Vor gut einem Vierteljahrhundert hat die EU festgelegt, dass Bio-Kühe auf die Weide müssen. Die Vorgabe wurde bisher großzügig ausgelegt. Jetzt hat die EU-Kommission die Weidepflicht scharf gestellt. Das bringt etliche Bio-Bauern in Bedrängnis.

Von Christian Sebald

Pankraz Eck aus Ampferbach im fränkischen Steigerwald ist Öko-Pionier. 1988, da war er Mitte 20 und hatte gerade den Hof von den Eltern übernommen, stellte er auf Bio um – „als einer der ersten Bauern hier in der Region Bamberg“, wie er sagt. „Die Kollegen um mich herum haben kopfschüttelnd gemeint, was willst denn damit?“ Doch Eck ließ sich nicht beirren. „Ich war Idealist“, sagt er am Telefon, er ist seither Mitglied bei Bioland. Auf seinen Feldern wächst viel Bio-Getreide, Dinkel und Gerste etwa, Hafer, Weizen und Leinsamen. Und in seinem Stall stehen 17 Milchkühe.  Aus deren Bio-Milch stellt er feinen Bio-Käse her. Kaufen kann man den Bio-Brie, den Bio-Mozzarella und die anderen Bio-Käsesorten samstags auf dem Bamberger Bauernmarkt, wo Eck einen Stand hat. Eck kann sehr zufrieden sein, möchte man meinen.

Doch jetzt, 37 Jahre und ein halbes Leben nach seiner Entscheidung für Bio, sieht es ganz danach aus, als stünde Eck, 63, vor einem krassen Einschnitt. „Ich werde meine Bio-Zulassung wohl nicht behalten können“, sagt er, „ich werde sie aller Voraussicht nach zurückgeben.“ Auch seine Mitgliedschaft bei Bioland wird er wohl kündigen.  Der Grund dafür ist die Weidepflicht für Rinder in Bio-Haltung, die in der Öko-Verordnung der EU verankert ist. Eck kann sie nicht erfüllen, die Kühe des Bio-Bauern kommen nicht auf die Weide. Sie können nur auf einen großzügigen Auslauf an ihrem Stall mitten in Ampferbach. Das akzeptiert die EU nicht länger.

Schließlich hat sie nach Angaben der Landesanstalt für Landwirtschaft schon in ihrer Öko-Verordnung von 1999 festgelegt, dass Rinder auf Bio-Höfen Zugang zu Weiden haben müssen. 2007 und 2018 hat sie das bekräftigt und präzisiert. Doch in Bayern und anderswo haben etliche Bio-Bauern die Weidepflicht all die Zeit recht großzügig ausgelegt. Und Behörden und Bio-Verbände haben allerlei Ausnahmen zugelassen.

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Eine Ausnahme von der Weidepflicht war bisher beispielsweise möglich, wenn Bio-Hof und -Stall mitten im Ort lagen und eine entsprechende Weide nicht zur Verfügung stand oder – aus Sicht des Bio-Bauern – nur mit nicht zumutbarem Aufwand erreichbar war. Dann genügte statt einer Weide ein Auslauf am Stall, auf den die Kühe konnten. So wie bei Bio-Bauer Eck. „Unser Hof liegt mitten in Ampferbach zwischen Kirche und Friedhof“, sagt er. „Die einzig mögliche Weide ist hinter einem Neubaugebiet.“ Aber durch das hindurch könne er die Kühe nicht zweimal am Tag hin und her treiben. „Das machen die Leute in dem Neubaugebiet nicht mit“, sagt Eck, „abgesehen von der zusätzlichen Arbeit für das Treiben, bei dem wir zu zweit sein müssten, einer vorne, einer hinten.“ Deshalb der Auslauf am Stall. „Da geht’s meinen Kühen sehr gut, sie haben viel Heu als Einstreu und reichlich frische Luft, sie vermissen nichts.“

Bio-Bauer Eck sieht keine Möglichkeit, die Weidepflicht umzusetzen. Schon gar nicht so schnell, wie das jetzt nötig wäre. Denn die Weidepflicht gilt von diesem Jahr an, allerspätestens im nächsten Jahr. So hat es die EU-Kommission nach längerem Hin und Her 2024 Deutschland und damit Bayern gegenüber durchgesetzt. Eck ist frustriert und verärgert. Auch wenn er seine Gefühle nicht nach außen trägt und sich erst in einem längeren Gespräch öffnet. „Ich bin mit Leib und Seele Bio-Bauer und Mitglied bei Bioland“, sagt er.  „Aber ich bin nicht mit der Bio-Zertifizierung oder dem Verband verheiratet.“ Wenn sich in den nächsten Wochen keine Möglichkeit für ihn und seinen Betrieb auftut, dann wird er bald offiziell kein Bio-Bauer mehr sein. Dann ist Eck nach 37 Jahren wieder konventioneller Bauer.

Voller Freude: Kühe beim ersten Weidegang im Frühjahr. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

So wie Eck geht es derzeit einer ganzen Reihe Bio-Bauern in Bayern. Glaubt man dem Bayerischen Bauernverband (BBV) mit seinem Präsidenten Günther Felßner an der Spitze, „findet im Moment eine dramatische Rückwärtsentwicklung statt“. Zahlreiche Bio-Bauern, die Rinder halten, bereiten demnach eben wegen der Weidepflicht den Ausstieg aus der Öko-Landwirtschaft vor. „Es ist toll, dass viele Bio-Betriebe ihre Tiere auf der Weide halten, das ist eine wunderbar tiergerechte Haltungsform“, sagt Bauernpräsident Felßner. „Aber leider ist sie nicht überall realisierbar.“ Mit der jetzigen Weidepflicht rücke das bayerische Bio-Ausbauziel, nach dem bis 2030 im Freistaat 30 Prozent der Agrarfläche ökologisch bewirtschaftet werden soll, „in unerreichbare Ferne“. Die EU-Kommission dürfe nicht zulassen, „dass der bayerische Öko-Landbau erodiert“, sie müsse „schnellstmöglich Lösungen eröffnen“.

Zahlen über Bio-Bauern, die wohl oder übel aus Bio aussteigen werden, liegen nicht vor, keiner will sich festlegen. In Agrar-Kreisen kursieren aber Quoten von bis zu 20 Prozent. Aus Sicht der Bio-Verbände sind solche Szenarien jedoch  „unrealistisch“.  Das sagt der Vorsitzende der Landesvereinigung Ökologischer Landbau (LVÖ), Thomas Lang. Die Organisation vertritt die vier großen Öko-Verbände Bioland, Naturland, Biokreis und Demeter. Lang verweist auf das Beispiel Österreich, wo die EU-Kommission bereits vor einigen Jahren die Weidepflicht für Rinder in Bio-Haltung durchgesetzt hat. Dort habe die Rückumsteller-Quote infolge der Weidepflicht vier bis sieben Prozent betragen.

Allein bezogen auf die gut 5600 Bioland-Bauern in Bayern, die Bio-Rinder halten, würde das bedeuten, dass zwischen 280 und 400 Bioland-Bauern die Weidepflicht nicht schaffen werden. Bio-Bauern anderer Verbände oder verbandslose Bio-Bauern sind da nicht dabei. „Natürlich schmerzt uns jeder Bio-Betrieb, den wir verlieren“, sagt Lang. „Aber wir müssen und werden damit umgehen.“

Zumal eigentlich kein Bio-Bauer sagen kann, die Weidepflicht träfe ihn völlig unerwartet, gleichsam aus heiterem Himmel. Und zwar nicht nur, weil sie schon sehr viele Jahre lang in den einschlägigen Verordnungen der EU vorgegeben ist. Sondern, weil auch die aktuelle Durchsetzung einen langen Vorlauf hatte. Die deutschen Bio-Verbände nehmen schon seit etlichen Jahren keine Betriebe mehr auf, die einen Weideauslauf nicht garantieren können.

Österreich gegenüber machte die EU-Kommission seit 2017 klar, dass sie es ernst mit der Weidepflicht meint. Zum Jahresanfang 2022 fügte sich das Nachbarland. Das Verfahren der EU-Kommission gegen Deutschland begann 2021. Spätestens da sollte jedem Bio-Bauern klar gewesen sein, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt, sagen Experten. Im Herbst 2024 kam es, wie erwartet: Deutschland und damit Bayern lenkten ein, die Bio-Bauern hier müssen die Weidepflicht ab diesem Jahr umsetzen.

Wer in Verzug ist, muss es jetzt schnell schaffen

Wer jetzt in Verzug ist und dennoch Bio-Bauer bleiben will, muss es gleichsam auf den letzten Metern schaffen. So wie Johannes Wirsching aus Ohrenbach bei Rothenburg ob der Tauber. Der 28 Jahre alte Landwirt führt einen großen Hof mit 130 Milchkühen und 120 Kälbern und Jungvieh. Er ist 2016 in den elterlichen Betrieb eingestiegen, hat diesen auf Bio umgestellt und seither modernisiert und ausgebaut. Der Hof selbst ist ein Aussiedlerhof, um ihn herum liegen eine Reihe Flächen, die als Weiden infrage kamen.

Allerdings waren sie nicht zur Gänze in Wirschings Besitz, der Bio-Bauer musste sie erst eintauschen. „Das war nicht ganz einfach, ich hatte mit acht Grundbesitzern zu tun, das brauchte seine Zeit“, berichtet er. „Außerdem mussten wir einen freien Zugang zwischen Stall und Weiden schaffen.“ Letztes Jahr hatte er endlich einen wichtigen Zwischenschritt geschafft. „Ich hatte so viele Flächen beisammen, dass es für die Hauptherde reichte“, sagt Wirsching. Von da an konnte er die 120 Milchkühe auf die Weide lassen.

Anders war das mit den Kälbern und dem Jungvieh. Für sie hatte Wirsching noch keine Lösung. „Ende des Jahres wurde es plötzlich richtig eng“, sagt Wirsching. „Denn ich habe erst kurz vor Weihnachten erfahren, dass die Weidepflicht 2025 endgültig scharf gestellt wird, am 7. Januar kam das offizielle Schreiben, dass sie von nun an gilt.“ Ab da war Wirsching richtig im Stress. Er brauchte eine Lösung, und zwar sehr schnell. Gott sei Dank fand sich ein Nachbar, der Wirsching abermals Weideland nahe dessen Stall abtrat, sodass er nun auch die Kälber und das Jungvieh rauslassen kann. Im Gegenzug übermachte der Bio-Bauer dem Mann eine gleich große Ackerfläche. Sie liegt ungefähr drei Kilometer von seinem Hof entfernt und kam deshalb nie als Weideland infrage.  Der Tausch ist erst seit Kurzem in trockenen Tüchern. „Bis dahin wusste ich nicht, ob ich weitermachen kann als Bio-Bauer“, sagt Wirsching. „Jetzt weiß ich es.“ Auch am Telefon merkt man dem Bio-Bauern an, wie erleichtert er ist.

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