Nach massiven Protesten:Der neue Einschulungskorridor - ist es jetzt wirklich so schlimm?

Schulbeginn in MV

Der erste Schultag ist für alle Kinder aufregend - ob sie sechs Jahre alt sind oder schon sieben.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)
  • Zum neuen Schuljahr hat Kultusminister Michael Piazolo (FW) neue Regelungen zum Einschulungskorridor eingeführt.
  • Eltern, deren Kinder zwischen Anfang Juli und Ende September sechs Jahre alt wurden, konnten selbst entscheiden, ob ihr Kind bereits reif für die Schule ist.
  • Die neue Regelung bereitet vor allem Kitas Probleme.

Von Anna Günther

Die Mädchen und Buben der Grundschule Chieming lernen lesen und schreiben, wo Tausende Touristen Ferien machen. Im Kultusministerium aber dürfte Chieming aus anderen Gründen bekannt sein: Mit einer Landtagspetition hatten Eltern versucht, gegen die Folgen des neuen Einschulungskorridors vorzugehen und die Umsetzung aufzuschieben. Dabei will Schulminister Michael Piazolo (FW) mit dem Korridor den Eltern mehr Mitsprache zugestehen. Eltern haben nun das letzte Wort bei der Frage, ob Kinder, die zwischen Anfang Juli und Ende September sechs Jahre alt werden, reif sind für die Schule. Bisher entschieden die Schulleiter.

Der Minister setzte damit im Februar ein Projekt um, das er schon als Oppositionspolitiker unterstützt hatte. Euphorisch äußerten sich auch die Initiatorinnen der passenden Online-Petition "Stoppt die Früheinschulung" als "unendlich glücklich". Sofort sollte die Neuregelung gelten, nicht erst 2020. Bis Mai hatten Eltern Zeit, sich zu entscheiden. Das brachte Piazolo massiven Widerspruch von Opposition, Kommunen und Verbänden ein, die Eile und Mehraufwand für Schulen kritisierten. Grundschulen und Kitas fürchteten zu große Abweichungen in den Kalkulationen, denn von der Kinderzahl hängen Budget, Lehrerstunden und Gruppengrößen ab. Kommunen fürchteten, nicht genügend Plätze in Kitas zu haben, denn Eltern haben einen Rechtsanspruch auf einen Platz.

Der Stichtag im Mai bestätigte schließlich die Sorgen: Fast die Hälfte der 32 200 Korridorkinder bleibt ein Jahr länger im Kindergarten, 2800 mehr als im Jahr zuvor. Die Aufregung war groß und auch Sozialministerin Kerstin Schreyer (CSU) stellte sich auf die Seite der Kitas und gab zu Protokoll, dass die Umsetzung "alles andere als glücklich" verlaufen sei.

Nach den Sommerferien scheint sich die Aufregung gelegt zu haben. Zum Ende der ersten Schulwoche zeichnet sich in Landkreisen und Kommunen, die mit Höchstwerten in der amtlichen Korridorliste stehen, ein differenziertes Bild ab. An der Grundschule in Chieming etwa lösten sechs Kinder das Problem aus, wogegen Eltern und der Bürgermeister im Landtag protestierten: Weil sechs von acht Korridorkindern zurückgestellt wurden, muss eine Kombiklasse aus zwei Jahrgängen gebildet werden. 72 Erst- und Zweitklässler lernen seit Dienstag in Chieming, 80 ist die Maßgabe des Traunsteiner Schulamts für vier Klassen. Mehr gebe das Budget nicht her, heißt es.

Statt zwei Klassen pro Jahrgang gibt es nun je eine Klasse und dazu eine Kombiklasse, in der neun Erst- und 14 Zweitklässler gemeinsam lernen. "Die Eltern haben sich sehr schwer getan, sich mit der Situation anzufreunden und hatten Sorge, dass die Kleinen in der Kombiklasse untergehen", sagt Schulleiter Alexander Fietz. Unbegründet, findet er und betont positive Aspekte, etwa dass die Jüngsten von den Zweitklässlern lernen. Zudem werde Mathe und Deutsch getrennt unterrichtet. Sein Fazit nach den ersten Schulstunden ist positiv. Er sieht die Wurzel des Elternprotests ohnehin eher in der Gesamtsituation: Die Schule muss saniert werden, manche Klassen kommen provisorisch in Containern unter. Und dann auch noch die Kombiklasse. In anderen Schulen im Kreis Traunstein sei das Kombikonzept längst akzeptiert, heißt es im Schulamt.

In einigen Kommunen nahm die Zahl der zurückgestellten Kinder um 30 Prozent zu

Traunstein ist der zweitgrößte Landkreis Bayerns und auch in der Korridorliste vorn: 217 Buben und Mädchen wurden zurückgestellt, 58 Prozent aller Korridorkinder. Schulamtsdirektor Otto Mayer sieht die Quote gelassen, die Verteilung auf die Kindertagesstätten habe gut funktioniert, sagt er. Proteste wie in Chieming seien die Ausnahme. Ähnlich hoch ist der Anteil der zurückgestellten Kinder nur in vier anderen Kommunen und Landkreisen Bayerns: Bayreuth und Schwabach sind mit je 61 Prozent Spitze, gefolgt von Kulmbach und dem Kreis Erding mit 59 Prozent.

Während die Erdinger Quote kaum abweicht, nahm die Zahl der zurückgestellten Kinder in Bayreuth und Schwabach um 30 Prozent zu. Wie es zu den Rekorden kommt, kann man sich in den Rathäusern nicht erklären. Ursachenforschung habe man gar nicht betrieben, heißt es aus Bayreuth. Priorität hatte der Engpass in den Kitas: Um 100 Kinder zu verteilen, mussten Container aufgestellt werden. Schwabachs Pressesprecher hofft auf Analysen, um künftig Überraschungen zu vermeiden. Die Klassenbildung in den Grundschulen lief reibungslos.

Anders sah es in den 21 Kitas aus. 67 Kinder mussten verteilt werden, noch immer warten etwa 50 Eltern auf einen Platz. "Wir haben alles ausgereizt, was nach Betreuungsschlüssel möglich war und einen Neubau vorgezogen", sagt ein Sprecher. Zum Jahresbeginn sollen neue Gruppen eröffnen. Piazolo betont, dass "alle Grundschulen und das Sozialministerium rechtzeitig informiert wurden, sodass sie sich vorbereiten und planen konnten". Künftig müssen Eltern von Korridorkindern im März entscheiden.

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