Schule in Bayern:Wenn ich morgen Kultusminister wäre …

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Welchen Kurs soll die bayerische Bildungspolitik künftig einschlagen? Diese Frage diskutieren Schülervertreter im Heck-Salon der "Alten Utting", eines ehemaligen Passagierschiffs, das ansonsten als Restaurant und Eventlocation dient. (Foto: Jan Roeder)

Was wünscht sich Bayerns Nachwuchs von der Schule? Bei einer Diskussionsveranstaltung des Lehrerverbandes geht es um Bildungsgerechtigkeit, Wertschätzung und ausgefallene Schulstunden.

Von Sara Rahnenführer

„Weniger Notendruck“, „Barrieren abbauen“, „den Lehrplan reformieren“, „mehr Schulpsychologen“ und „längeres gemeinsames Lernen“: Das alles und noch mehr würden Schülerinnen und Schüler in Bayern angehen, wenn sie Kultusminister wären. So lauteten am Donnerstag die Antworten auf die Eingangsfrage in der einstündigen Diskussionsrunde, zu welcher der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) eingeladen hatte.

Im Stuhlkreis gingen die Schüler die harten Themen direkt an. „Es ist für mich ganz klar, dass das dreigliedrige Schulsystem zu Bildungsungerechtigkeit beiträgt“, sagte Dalton Sly Del Salto Blanco, Schüler der Münchner Mittelschule an der Eduard-Spranger-Straße. Del Salto Blanco, der als Sprecher des Landesschülerrats teilnahm, plädierte daher für einen Übergang in die weiterführenden Schulen erst ab der sechsten Klasse. Als Mittelschüler kenne er die Vorurteile aus eigener Erfahrung. „Wenn ich sage, dass ich auf eine Mittelschule gehe, dann wird mir das häufiger nicht geglaubt, weil ich ja so gut spreche“, sagte er und schüttelte den Kopf. Mittelschüler seien häufig stigmatisiert und hätten daher weniger Chancen.

Für das längere gemeinsame Lernen sprach sich die Mehrheit in der Runde aus. Denn: Das dreigliedrige Schulsystem sei nicht in beide Richtungen durchlässig. Es sei einfacher „abzusteigen“, als sich in die andere Richtung zu entwickeln. Benachteiligt würden zudem auch Schüler mit Beeinträchtigung. „Ich bin an einer Förderschule gewesen und trotzdem wurde mit mir nicht in Gebärdensprache kommuniziert, obwohl es die Lehrkräfte dort können“, sagte die Landesschülersprecherin Alanay Gel. Den Schülern sei es wichtig, mit ihren Stärken wahrgenommen zu werden und eben nicht mit ihren vermeintlichen Defiziten. „Ich bin zwar taub, aber ich kann Gebärdensprache und bin gut in Mathematik“, sagte Gel.

In der Landespolitik steht eine Aufhebung des gegliederten Schulsystems in Bayern aber nicht an. Im aktuellen Grundsatzprogramm der CSU heißt es: „Das begabungsgerechte, differenzierte, gegliederte und durchlässige bayerische Schulsystem erzielt in den einschlägigen Bildungsrankings regelmäßig Spitzenergebnisse.“ Solange die CSU in Bayern regiert, ist die Einführung der Gemeinschaftsschule oder ein späterer Übergang in die weiterführenden Schulen eher unwahrscheinlich.

Georg von Kotzebue fordert mehr Wertschätzung für alle Schülerinnen und Schüler - unabhängig von der jeweiligen Schulart. (Foto: Jan Roeder)

Gemäß dieser Linie plädierte der 18-jährige Georg von Kotzebue auch dafür, dass die Schulformen nicht unbedingt aufgelöst werden müssten, damit es mehr Bildungsgerechtigkeit und weniger Vorurteile gibt. „Ich denke, es würde auch helfen, wenn die unterschiedlichen Schulformen umbenannt würden und die Mittelschule beispielsweise angewandte Schule genannt würde“, sagte der Münchner Kreisvorsitzende der „Auszubildenden und Schüler Union in Bayern“. Es solle ganz klar sein: Alle sind gleichwertig und wichtig und jeder müsse sich wertgeschätzt fühlen.

Ein Ansatz, der alle Schüler in der Runde überzeugte, sind schulübergreifende Projekte. Durch solche kämen Schüler der unterschiedlichen Schulformen in Kontakt, es würden Vorurteile abgebaut und eine Wertschätzung verschiedener Kompetenzen gefördert.

Der Politikunterricht beginne zu spät, finden die Schüler

Zu kurz kommt den Schülern bislang auch die politische Bildung. Es könne einfach nicht sein, dass es erst ab der achten Klasse ein Schulfach gebe, in dem sich die Schüler mit Politik auseinandersetzen. Die Mehrheit der zehn Schülerinnen und Schüler sprach sich für ein eigenes Schulfach bereits in der Grundschule aus. Von Kotzebue hingegen hielt einen ganzheitlichen Ansatz für sinnvoller, etwa in Verbindung mit anderen Schulfächern. „Ich denke, über die Auseinandersetzung mit ethischen Werten kann man auch ein Verständnis für Demokratie entwickeln“, sagte von Kotzebue.

Leonie Kastner kritisierte den häufig ersatzlosen Ausfall von Schulstunden. (Foto: Jan Roeder)
Hannah Mader würde sich mehr praxisnahen Unterricht wünschen. (Foto: Jan Roeder)

Der allgegenwärtige Lehrkräftemangel kam bei den Schülern auch zur Sprache. „Unser Französischunterricht ist lange Zeit ersatzlos ausgefallen. Ich musste dann alles zu Hause selbst erarbeiten“, sagte Leonie Kastner. Die 16-jährige Bezirksschülersprecherin aus Nürnberg hat gerade erst ihren Realschulabschluss geschafft und Französisch knapp bestanden. Noch schwerer falle der ersatzlose Ausfall von Unterricht jedoch bei den Jüngeren ins Gewicht. „Von meinen kleinen Schwestern weiß ich, wie sehr sie und ihre Mitschüler hinterher sind, wenn Stunden ausfallen“, sagt Julius Lindemann, der sich bei „Fridays for Future“ engagiert. Aus der Sicht der Schüler sei es eher vertretbar, Stunden in den weiterführenden Schulen ersatzlos ausfallen zu lassen als in den Grundschulen.

Grundlegend sei es sowieso dringend notwendig, den Lehrplan zu entzerren. „Ab der achten Klasse haben wir immer wieder Texte erörtern müssen oder auch bei Religion häufig dieselben Geschichten durchgenommen“, sagte Kastner. Solche repetitiven Inhalte könnten gut und gerne gestrichen werden. „Ich fände es viel besser, wenn wir mehr praxisnahen Unterricht hätten“, sagte Hannah Mader. Die Stadtschülerinnenvertreterin hat bereits ein sogenanntes „P-Seminar“ an ihrer Schule besucht. Auf Exkursionen in den Wald lernte sie viel schneller und nachhaltiger die Inhalte des Geografie- oder Biologieunterrichts. Für solche Aktionen bräuchte es mehr Raum und Zeit.

Peter Pavlov sieht für den gängigen Frontalunterricht dringenden Reformbedarf. (Foto: Jan Roeder)

Peter Pavlov ging noch einen Schritt weiter: „Was bringt uns Digitalisierung, wenn wir weiterhin Frontalunterricht haben?“ Der Unterricht von vor 100 Jahren sei dringend zu reformieren. Alltagsnaher Unterricht, in dem auch gelehrt wird, wie eine Steuererklärung funktioniert, wäre sinnvoller. Nur so würden sich junge Menschen nach der Schule auf das Leben vorbereitet fühlen, war Pavlov überzeugt.

Nach einer Stunde Diskussion im aufgeheizten Heck-Salon des ehemaligen Passagierschiffs „Alte Utting“, das mittlerweile seinen Liegeplatz auf einer alten Brücke in München-Sendling hat, resümierte Simone Fleischmann, die Vorsitzende des BLLV: „Ich bin sehr berührt, weil ich nicht gedacht hätte, dass die Schüler genau die Themen diskutieren, die wir auch immer wieder besprechen.“

Der BLLV möchte das Diskussionsformat auch nächstes Jahr wieder anbieten. Die Schüler gehen jetzt erst mal erleichtert in die langen Sommerferien. „Ich fliege an den Strand“, „Ich lese Bücher, aber nichts über Mathe“ und „Ich werde einfach nur entspannen“, lauteten einige Pläne für die kommenden Wochen.

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