Süddeutsche Zeitung

Schule in Bayern:Miese Noten für den Ethikunterricht

  • Die Anmeldungen zum Religionsunterricht sinken in Bayern, die Zahl der Ethikschüler steigt.
  • Viele Lehrer unterrichten jedoch fachfremd, sie haben kein Philosophiestudium absolviert.
  • Die neue Lehramtsprüfungsordnung I (LPO) soll das nun ändern, aber es wurde bisher kein zusätzliches Budget für das neue Vollstudium einplant.

Von Anna Günther

Ranglisten sind im Kultusministerium beliebt, Bayern schneidet oft gut ab in Bildungsdingen. Wenn die Platzierung nicht passt, wird auf den bayerischen Weg verwiesen. Dieser führt beim Schulfach Ethik offenbar nicht sehr weit. Professoren bayerischer Universitäten sprechen gar vom "Entwicklungsland" und "katastrophalen Zuständen". Denn viele Lehrer unterrichten fachfremd, obwohl Bayern 1972 als erstes Bundesland Ethik an Schulen einführte und 281 000 Mädchen und Buben im vergangenen Schuljahr Ethik belegten - 100 000 mehr als vor zehn Jahren.

Dabei gilt der bundesweite Trend auch in Bayern: Die Anmeldungen zum Religionsunterricht sinken, die Zahl der Ethikschüler steigt. Die meisten Lehrer aber haben kein Philosophiestudium absolviert, sondern im Idealfall eine Fortbildung gemacht oder Ethik im Schnelldurchlauf ans Hauptfachstudium drangehängt. Die neue Lehramtsprüfungsordnung I (LPO) sollte das ändern. Am Sonntag soll sie in Kraft treten und angehenden Lehrern das Philosophiestudium als Hauptfach ermöglichen, zumindest theoretisch.

Praktisch ist die Umsetzung fraglich: Weil der Freistaat im Entwurf der LPO I kein zusätzliches Budget für dieses neue Vollstudium einplant, überlegen mehrere bayerische Universitäten, das Fach gar nicht erst anzubieten. Dieser Ausbau sei ohne Zusatzbudget schlicht nicht zu leisten, hört man aus Bamberg, Passau, Würzburg und Erlangen - vier von sechs Unis, an denen angehende Lehrer bisher Ethik als Erweiterungsfach studieren. München und Regensburg halten sich bedeckt.

Fachliche Kompetenz sei nicht das Problem, sagt der Erlanger Philosophieprofessor Nico Scarano. Die gebe es auch an seiner Uni, aber für Ethik als Hauptfach für Gymnasial- und Realschullehrer, sowie für Grund-, Mittel- und Berufsschullehrer bräuchte es fünf Studiengänge. Zudem sei Philosophie beliebt, und Studenten fragten schon, wann es losgehe mit Ethik als Hauptfach. Um ein Mindestmaß an Qualität zu bieten und die Philosophie nicht zu schwächen, bräuchte er mehrere zusätzliche Stellen. Gerade um die Didaktik anzuschieben: Bisher gibt es an keiner der sechs Unis eine Professur für Ethikdidaktik.

Wie viele Lehrer fachfremd unterrichten, vermag das Kultusministerium nicht zu sagen. Zwischen 77 und 95 Prozent hört man. Im vergangenen Schuljahr arbeiteten an Gymnasien 583 und an Realschulen 92 Pädagogen mit der "Lehrbefähigung" Ethik. Unterrichtet haben das Fach 900 Realschul- und 1600 Gymnasiallehrer. An Grund- und Mittelschulen unterrichteten 11 600 Lehrer ohne Philosophiestudium Ethik. Deren allgemeine "Lehrbefähigung" schließe "das Fach Ethik mit ein", heißt es dazu vom Ministerium.

Daraus zu folgern, dass nichts mehr gemacht werden müsse, sei "Hohn", sagt der Passauer Philosophieprofessor Christian Thies. Vorlesungen für angehende Volksschullehrer reichten "vielleicht dafür, dass ein Deutschlehrer in der Stunde eine philosophische Frage erkennt. Mehr nicht". Thies hat Ethik als Lehramt studiert, in Hamburg vor 40 Jahren. Er sei erschüttert gewesen, als er gesehen habe, "wie weit hinterher der Freistaat ist". Ähnlich ging es Scarano. "Schrumpfstudium" nennt er die Kurse fürs Erweiterungsfach. Die Studenten könnten ja nichts dafür, aber "es wäre schon gut, wenn Ethiklehrer ein bisschen Ahnung hätten, wenn sie an die Schule kommen". Dass man nun im Ministerium glaube, der Ausbau sei kostenneutral zu bewältigen, löst bei den Professoren Kopfschütteln aus.

Im Kultusministerium verweist man Schülerzahlen und Weiterbildungsangebote. Ob Unis einen Studiengang einrichten, liege in deren Verantwortung: "Dabei müssen neue Studiengänge grundsätzlich im Rahmen der vorhandenen Stellen und Mittel durch die jeweilige Universität dargestellt werden." Dafür gebe es die Grundfinanzierung des Wissenschaftsministeriums.

Dort heißt es: Sofern Unis Bedarf anmelden, hänge es am Finanzminister. Dass es schnell gehen kann, wenn die Regierung will, zeigt die Offensive für Künstliche Intelligenz, das Medizinstudium an der Uni Augsburg und zusätzliche Studienplätze für Grundschullehrer sowie neue Lehrstühle für Sonderpädagogik. All das sind Projekte, die mit einem eigenen Budget hinterlegt sind.

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SZ vom 28.11.2019/vewo
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