Wenn das mal kein Wink mit dem Zaunpfahl ist: An diesem Mittwoch ruft das neue Bündnis „Rettet die Berge“ zu einer Protestaktion vor der Staatskanzlei in München auf. Der Grund aus Sicht des Bündnisses, das von den Grünen und SPD über die ÖDP bis hin zum Deutschen Alpenverein (DAV), Bund Naturschutz (BN), Landesbund für Natur- und Vogelschutz (LBV) und weiteren kleinen Organisationen reicht, die sich dem Schutz der Berge verpflichtet fühlen: CSU und Freie Wähler sind drauf und dran, den bayerischen Bergen großen Schaden zuzufügen. Dem wollen die Parteien und Organisationen, die über ihre Mitgliederzahl fast zwei Millionen Menschen repräsentieren, entschieden entgegentreten.
Allein schon von seinem Namen und seinen Partnern her erinnert das neue Bündnis sehr an das überaus erfolgreiche Volksbegehren „Rettet die Bienen“ von 2019, das seinerzeit von mehr als 18 Prozent der Wahlberechtigten unterstützt wurde. Aber auch der Tonfall tut das, den es in seinem Aufruf anschlägt. „Die Beton-CSU ist zurück“, heißt es dort. „Die Staatsregierung will unsere Natur und Heimat weiter zerstören.“ Bayerns Berge seien „einzigartige Naturräume“ – für die Erholung, für die Tier- und die Pflanzenwelt und den Schutz des Klimas. Aber die Staatsregierung wolle dort „immer noch größere Seilbahnen“ möglich machen, dazu Skipisten und Speicherbecken zur Erzeugung von Kunstschnee, sogar in Schutzgebieten. Gleichzeitig wolle sie die Mitspracherechte der Einheimischen abschaffen. Dagegen werde man Einspruch einlegen.

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Die Kritik zielt auf die groß angelegte Initiative zur Entbürokratisierung, mit der Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und sein Kabinett Vorgaben abbauen und Gesetze entschlacken und dadurch alle möglichen Projekte so beschleunigen wollen, dass letztlich die Wirtschaft gestärkt wird und Bayern prosperiert. In einigen wenigen Passagen des Gesetzesentwurfs geht es um eine Reihe Erleichterungen für den Bau von Seilbahnen, Skipisten und Speicherbecken für Beschneiungsanlagen. Sie betreffen alle die Umweltverträglichkeitsprüfung oder kurz UVP, die die Skigebietsbetreiber für solche Projekte absolvieren müssen. Das ärgert das Bündnis immens. Aus ihrer Sicht ist so eine UVP nämlich ein wichtiges Instrument, mit dem sie Einfluss auf die meist umstrittenen Projekte nehmen können.
Bisher fällt so eine Umweltverträglichkeitsprüfung oder kurz UVP nach dem Seilbahngesetz immer dann an, wenn eine neue Seilbahn mehr als 2200 Passagiere in der Stunden den Berg hinauf und hinab befördern sollte oder die Luftlinie zwischen ihrer Tal- und der Bergstation mehr als zweieinhalb Kilometer beträgt. Außerdem war so eine UVP laut Wassergesetz fällig für Beschneiungsanlagen für eine Pistenfläche ab 15 Hektar aufwärts, in Wasserschutzgebieten schon ab 7,5 Hektar. Die Grenzwerte für die UVP bei neuen Skipisten betragen laut Naturschutzgesetz zehn Hektar, in Schutzgebieten oder Biotopen sind es fünf Hektar.
Die Staatsregierung will alle diese Schwellenwerte nun deutlich anheben. Für neue Skipisten soll eine UVP nur noch fällig werden ab 20 Hektar neuer oder beschneiter Piste, in Wasser-, Natur- und anderen Schutzgebieten ab zehn Hektar. Für Seilbahnen wird der Luftlinien-Schwellenwert zwischen Tal- und Bergstation auf 3000 Meter angehoben. Zwar bleibt offenbar der Schwellenwert für die Passagierzahl unangetastet. Aber dafür müssen bei künftigen Seilbahnprojekten beide Schwellenwerte überschritten werden, damit es eine UVP gibt. Außerdem sollen künftig neue Anlagen bereits zwei Jahre nach Inbetriebnahme nicht bei Folgeanträgen berücksichtigt werden müssen. Gerade das kann nach Einschätzung des DAV dazu führen, dass Großprojekte künftig in kleinere Teilprojekte unterteilt werden, um eine UVP und damit die Mitsprache von Naturschützern zu vermeiden.

Als Beispiel für eine Bahn, für die nach diesen neuen Kriterien von Anfang an keine UVP mehr vorgeschrieben wäre, führen die Kritiker den „Kreuzwankl-Ski-Express“ im Skigebiet „Garmisch Classic“ an. Der war 1997 als allererste Sechser-Sesselbahn in Deutschland gebaut worden und konnte zuletzt 2400 Menschen pro Stunde befördern. Die Bayerische Zugspitzbahn als Betreiberin des Skigebiets lässt den Kreuzwankl-Express gerade demontieren und bis nächsten Winter durch eine Achter-Sesselbahn ersetzen. Dieser neue Express soll dann eine Kapazität von 3000 Fahrgästen pro Stunde haben, den Skifahrern mehr Komfort bieten und den Betrieb im ganzen Classic-Skigebiet flüssiger gestalten. Allein wegen der Beförderungskapazität war für dieses laufende Projekt eine UVP nötig – in diesem Fall mit einem positiven Ergebnis. Weil die Bahn zugleich aber nur knapp 1000 Meter lang ist, würde die UVP-Pflicht künftig wegfallen.
Ginge es nach dem Verband Deutscher Seilbahnen und Schlepplifte, so würden die Schwellenwerte für eine UVP-Pflicht noch weiter erhöht. Denn nicht alle der bisher geplanten neue Regelungen würden echte Erleichterungen bringen, heißt es sinngemäß in der Stellungnahme des Verbands zum laufenden Gesetzgebungsverfahren. Als Vorbild nennt der Verband das benachbarte Österreich, wo nicht so schnell eine UVP nötig sei. Die Staatsregierung selbst hat sich zunächst nicht zu ihren Plänen geäußert. Die Staatskanzlei sowie die drei zuständigen Ministerien für Tourismus, Wirtschaft und Umwelt ließen entsprechende Anfragen bis zum Dienstagnachmittag unbeantwortet.
„Durch den Klimawandel sind die Arten und Lebensräume in den Alpen ohnehin schon unter großem Druck“
Für „Rettet die Berge“ sind alle geplanten Erleichterungen wie aus der Zeit gefallen. Die Kommentare in den Stellungnahmen zu den Plänen von Söder reichen von „rückwärts gewandetes Denken und Handeln“, über „absurd“ und „völlig falsche Richtung“ bis hin zu „fragwürdiges Verständnis von Bürokratie und Modernität“. „Durch den Klimawandel sind die Arten und Lebensräume in den Alpen ohnehin schon unter großem Druck“, sagt Axel Doering von der deutschen Cipra. „Gerade niedrig gelegene Skigebiete sind gut beraten, einen naturverträglichen Ganzjahrestourismus aufzubauen, statt in neue Beschneiungsanlagen und Pisten zu investieren.“ Die Cipra ist die internationale Organisation zum Schutz der Alpen, in ihrer deutschen Sektion sind alle einschlägigen Verbände zusammengeschlossen.
Die Cipra samt den Partnern von „Rettet die Berge“ hat übrigens schon einmal eine erbitterte Auseinandersetzung um den Schutz der Alpen siegreich ausgefochten – freilich nicht unter dem Namen des neuen Bündnisses. Damals ging es um die Pläne für eine „Skischaukel am Riedberger Horn“. Das Riedberger Horn ist ein knapp 1800 Meter hoher Gipfel in den Allgäuer Alpen mit zwei kleinen Skigebieten an seinen Hängen. Ansonsten ist es streng geschützt. Die Betreiber der Skigebiete und die beiden Gemeinden Obermaiselstein und Balderschwang freilich wollten die Skigebiete mit einem neuen Lift und einer neuen Skipiste verbinden, und zwar durch streng geschützte Gebiete hindurch – mit Unterstützung der Staatsregierung und der Landtags-CSU, die seinerzeit die absolute Mehrheit hatte.
Die Widerstände gegen die Skischaukel waren massiv, der Streit wogte viele Jahre unentschieden hin und her. Erst als Söder 2018 vor seiner ersten Landtagswahl als Ministerpräsident stand und er der CSU die absolute Mehrheit sichern wollte, hat er das Projekt kassiert. Hintergrund dürfte die Einsicht gewesen sein, dass in der Naturschutzszene anders keine Ruhe um den Schutz der bayerischen Alpen einkehren würde – und das sogar Auswirkungen auf die bevorstehende Landtagswahl haben könnte.