Attacken im Amt:"Nahezu täglich gehen bei uns Hilferufe ein"

Polizeistreife im Münchner Hauptbahnhof, 2016

Die Fälle von psychischer und physischer Gewalt etwa gegen Polizisten sind 2018 um rund fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • In einer gemeinsamen Pressekonferenz äußern sich Finanzminister Albert Füracker und der Chef des Bayerischen Beamtenbundes, Rolf Habermann, zur wachsenden Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst.
  • Beide lassen keinen Zweifel daran, dass die Zahl und Heftigkeit der Vorfälle besorgniserregend seien.
  • Der Freistaat will sich die Angriffe auf seine Beschäftigten nicht länger bieten lassen. Füracker kündigt etwa an, die juristische Unterstützung spürbar auszuweiten.
  • Bislang gibt es allerdings keine Zahlen, wie viele öffentlich Beschäftigte in Bayern insgesamt betroffen sind.

Von Wolfgang Wittl

Man könnte den Satz für einen Witz halten, doch ein bitteres Körnchen Wahrheit schwingt aus aktuellem Anlass mit. "Sie müssen jetzt sagen, dass das nicht ich war", flüstert Finanzminister Albert Füracker (CSU) dem Chef des Bayerischen Beamtenbundes, Rolf Habermann, ins Ohr.

Habermann ist gesundheitlich angeschlagen, sein rechter Arm steckt in Schiene und Schlaufe, er musste vor Tagen einen Eingriff an der Schulter über sich ergehen lassen. Gleich werden der Minister und oberste Beamte gemeinsam eine Pressekonferenz abhalten. Thema: die wachsende Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst - und was man dagegen unternehmen kann. Zahl und Heftigkeit der Vorfälle seien außerordentlich besorgniserregend, daran lassen Füracker und Habermann am Montag keinen Zweifel.

Zum Beispiel die Sache mit der Lehrerin an einer Mittelschule in Weiden. Sie ermahnte einen Zwölfjährigen, der seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte. Nach einem Anruf des Schülers kreuzte die Mutter zusammen mit dem Großvater im Schulhaus auf. Die Mutter beschimpfte und schubste die 24-jährige Lehrerin, der Opa schlug sie ins Gesicht. Beide kassierten vom Amtsgericht einen Strafbefehl wegen Körperverletzung und Beleidigung.

An Beispielen mangelt es nicht, die BBB-Chef Habermann mitgebracht hat. Eine Mitarbeiterin einer Sozialbehörde in Miltenberg fand an ihrer Bürotür eine Postkarte mit der Drohung: "Die Bestrafung wird über anderen Weg kommen." Eine andere Beamtin wurde gehindert, ihre Heimfahrt anzutreten. Eine Amtstierärztin in Erlangen-Höchstadt wäre von einem Hundehalter geschlagen worden, hätten Zeugen nicht gerade noch eingegriffen. Am Veterinäramt Erding wurde eine Tierärztin via E-Mails und soziale Medien übel verleumdet. Im Landkreis Dachau wurden Feuerwehrleute angegangen, weil sie bei einem Martinszug Straßen sperrten, um Kinder zu sichern. "Nahezu täglich gehen bei uns Hilferufe ein", berichtet Habermann.

Der Freistaat als Dienstherr werde sich die Angriffe auf seine Beschäftigten nicht länger bieten lassen, kündigt Füracker an. Die juristische Unterstützung etwa soll spürbar ausgeweitet werden. Jedem Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst soll bei Schmerzensgeldansprüchen in Zivilverfahren Rechtsschutz gewährt werden. "Wir zahlen den Anwalt für alle, die angegriffen werden", sagt Füracker. Der Finanzminister verspricht sich davon eine mentale Entlastung für Betroffene sowie eine abschreckende Wirkung auf mögliche Täter.

Zwei Erkenntnisse liegen der staatlichen Offensive zugrunde: Die körperliche Gewalt gegen öffentlich Beschäftigte werde immer härter, psychische Gewalt nehme immer mehr zu. Woran das liegt? Habermann stellt "insgesamt eine Verrohung der Gesellschaft" fest: "Es gibt nahezu keine Grenzen mehr." Es könne nicht sein, dass Menschen, die sich um das Gemeinwohl verdient machten, derartigen Angriffen ausgesetzt seien. Besonders bedrückend sei der Mantel der Anonymität, unter dem alles stattfinde. Was in sogenannten sozialen Medien verbreitet werde, "ist schon sensationell", findet Füracker.

"Wir wollen nicht verhindern, dass jemand sein Recht durchsetzt"

Bislang gibt es allerdings keine Zahlen, wie viele öffentlich Beschäftigte in Bayern insgesamt betroffen sind. Lediglich einzelne Sparten sind erfasst. Die Fälle von psychischer und physischer Gewalt etwa gegen Polizisten sind von 7334 im Jahr 2017 auf 7689 im Jahr 2018 gestiegen. Unklar ist indes, wie viele Lehrer und Gerichtsvollzieher, Richter und Steuerprüfer behelligt werden. Vor allem Stellen mit Publikumsverkehr beklagen oft Übergriffe: Asylbehörden, Veterinärämter, Schulen. Im kommenden Jahr sollen die Zahlen durch ein Monitoring erhoben werden. "Sie werden uns alle erschrecken", sagt Habermann.

Jeder Bürger dürfe sich natürlich gegen staatliche Beschlüsse wehren, betont Füracker: "Wir wollen nicht verhindern, dass jemand sein Recht durchsetzt." Aber: "Die Grenze ist überschritten, sobald nicht die Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung angegriffen wird, sondern der Mensch dahinter. Emotion ja, aber sie darf nicht ausufern in Bedrohungen oder Beschimpfungen." Immer mehr Menschen seien nicht mehr bereit, für sie nachteilige Entscheidungen zu akzeptieren.

Mit einem ausgeweiteten Konzept sollen öffentlich Beschäftigte auf psychische Gewalt vorbereitet werden. In freiwilligen Online-Schulungen sollen sie lernen, drohende Konflikte zu bewältigen. Es seien bereits Module in Planung, sagt Füracker. Für Vorgesetzte soll ein Leitfaden verfasst werden. Habermann kann sich eine ressortübergreifende, zentrale Anlaufstelle vorstellen. Schon jetzt biete der Staat freiwillige Selbstverteidigungskurse an, schütze Gebäude und beauftrage Sicherheitsdienste. Aber die Entwicklung zeige: Das reiche nicht.

So sieht das auch der SPD-Abgeordnete Arif Taşdelen. Es sei "überfällig", dass die Staatsregierung den Vorschlag aufgreife und etwas gegen die ausufernde Gewalt unternehme. Allerdings griffen die Pläne zu kurz, "für ein echtes Präventionskonzept brauchen wir beispielsweise Ombudsleute", fordert Taşdelen. Zur Fürsorgepflicht des Freistaats gehöre es zudem, eine Kultur des Respekts gegenüber den Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu schaffen.

"Es gab eine Zeit, da stand das Gemeinwohl im Mittelpunkt", erinnert sich Beamtenbund-Chef Rolf Habermann. Heute sei es oft nur noch ein "Mein-Wohl". Habermann, 65, spricht aus jahrzehntelanger Erfahrung. Er ist überzeugt: "Wir schaffen das nicht alleine. Es muss ein Ruck durch die Gesellschaft gehen."

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