Gerade mal zehn Zentimeter klein, 18 bis 28 Gramm leicht, ein gelblich-braunes Fell, winzige Augen und so kurze Ohren, dass sie fast völlig im Fell verschwinden: Das ist die Bayerische Kurzohrmaus oder Microtus bavaricus. Das wirklich Besondere an der Wühlmaus-Art aber ist, dass sie weltweit nur in den Bergen im bayerisch-tirolerischen Grenzgebiet vorkommt. Aktuell gibt es sogar nur einen einzigen Nachweis in freier Wildbahn: am idyllischen Lautersee nahe Mittenwald, wo das Wettersteingebirge mit Deutschlands höchstem Berg, der Zugspitze, aufragt.
Vergangenes Jahr ist dort nahe der Kapelle Maria Königin eine Wühlmaus in eine Fotofalle getappt, die einer Bayerischen Kurzohrmaus sehr ähnlich sah. Wenig später haben die beiden Biologen David Stille und Simon Ripperger, die schon Jahre nach der Art geforscht haben, ein Exemplar lebend einfangen können und ihren Kot genetisch untersuchen lassen. Erst danach stand fest, dass es tatsächlich eine Bayerische Kurzohrmaus war, die sie da in ihrer Falle sitzen hatten. Das war eine Sensation.
Der Grund: Bis Herbst 2023 war die Art seit ihrem Erstnachweis auf bayerischer Seite mehr als 60 Jahre in Bayern lang verschollen. Es war 1962, als der junge Zoologe und spätere Direktor des Naturkunde-Museums in Stuttgart, Claus König, der damals an der Vogelschutzwarte in Garmisch-Partenkirchen arbeitete, die Bayerische Kurzohrmaus entdeckte – am Übergang von einer Bergwiese in einem lichten Bergwald mit einigen Bächen im Bereich des heutigen Garmischer Klinikums.
„Meine Frau und ich haben damals die Kleinsäuger in der Region erfasst“, berichtet König, der inzwischen über 90 ist und immer noch wissenschaftlich arbeitet. „Plötzlich hatten wir in einer Falle eine Maus, wie ich sie noch nie gesehen hatte.“ Erst sei er sehr skeptisch gewesen und habe an eine „Fehlbildung, eine Abnormität“ gedacht. Alsbald sei ihm aber klar geworden, dass es eine neue heimische Tierart war. „Das war ein ungeheures Glück“, sagt König und man meint, bei der Erinnerung an diesen Moment ein wenig Glanz in seinen Augen zu sehen.
23 Exemplare hat König gefangen
23 Bayerische Kurzohrmäuse hat König, der mit seiner Frau Ingrid der neuen Art auch den Namen gegeben hat, 1962 bei Garmisch-Partenkirchen fangen können. Danach hat sich die Spur der Tiere auf bayerischer Seite komplett verloren. Und zwar obwohl immer wieder intensiv nach der Art geforscht wurde. Erst 2001 wurde sie wieder entdeckt – auf Tiroler Seite, im Rofangebirge am Achensee. Von dort stammen auch die vier Bayerischen Kurzohrmäuse, mit denen der Alpenzoo in Innsbruck inzwischen eine Erhaltungszucht angefangen hat, damit die Art nicht ausstirbt.
Bis heute weiß man nur sehr wenig über die Art. Experten wie König dachten zunächst, dass sie die Eiszeit überdauert haben könnte und nur in den Bergen entlang der bayerisch-tirolerischen Grenze anzutreffen ist. Dann wurde 2008 in Ostkroatien eine Kurzohrmaus entdeckt, die sich genetisch nur wenig von der Bayerischen Kurzohrmaus unterscheidet. Das Verbreitungsgebiet der Art könnte also deutlich größer gewesen sein. So kann man es auf der Internetseite des Landesamts für Umwelt (LfU) nachlesen. Die Behörde ist zuständig für die Tierwelt in Bayern.
Auch über den Lebensraum, den die Bayerische Kurzohrmaus braucht, damit es ihr gut geht, ist noch nicht wirklich viel bekannt. Ausgehend von den bisherigen Fundorten bei Garmisch-Partenkirchen, im Rofan und jetzt am Lautersee denken die Biologen Stille und Ripperger, dass es sich um lichte Bergwälder und Waldränder handelt, sogenannte halboffene Strukturen, mit einzelnen Bäumen, Baumgruppen und Wiesen. Dort sind die Böden so tief, dass Wühlmäuse ihre Gänge und Bauten gut anlegen können.
Neues Hilfsprogramm
Aufklärung darüber soll nun das neue „Artenhilfsprogramm Bayerische Kurzohrmaus“ bringen. Es läuft zunächst bis 2025 und ist mit 120 000 Euro ausgestattet. Mit diesen Mitteln soll das Verbreitungsgebiet der Bayerischen Kurzohrmaus rund um den Lautersee weiter erforscht werden. Außerdem wollen die Biologen die Lebensraum-Ansprüche der Art besser verstehen. Lichte Wälder wie am Lautersee sind nicht nur wichtig für die Bayerische Kurzohrmaus. Sondern für viele besondere Arten – Waldameisen zum Beispiel, Grün- und Buntspechte.
Im Innsbrucker Alpenzoo denken sie derweil bereits einen Schritt weiter. Die Erhaltungszucht für Bayerische Kurzohrmäuse dort hat sich so gut angelassen, dass Zoodirektor André Stadler Exemplare für Auswilderungen und Wiederansiedelungen abgeben würde. „Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, größer zu denken“, sagt Stadler. „Der Alpenzoo steht als Partner für eine Stützung der bayerischen Population bereit.“