Viel Zeit hatten sie nicht damals. „Etwa eine Woche“, sagt Richard Ambs. Ein Baggerfahrer war auf Skelette gestoßen, beim Bau einer Tankstelle. Ambs, eigentlich Kreisarchäologe im Nachbarlandkreis Neu-Ulm, fuhr nach Leipheim, zur Baustelle, und begann zu graben. 26 Skelette hat er freigelegt, aber irgendwie musste er sie ja auch nach München transportieren, zur Staatssammlung für Anthropologie. Also hat er sich Bananenkisten besorgt und systematisch gestapelt: erst die Langknochen, die haben genau hineingepasst, dann die Rippen, die Wirbelsäule, obendrauf der Schädel.
Ambs war schnell klar, worauf sie da gestoßen waren im Sommer 1994. Münzfunde bei einem der Toten gaben dann Gewissheit: das bislang einzig bekannte Massengrab aus der Zeit der Bauernkriege. Vor den Toren Leipheims fand die erste Schlacht des Aufstands statt, die Georg Truchsess von Waldburg gewann, bis heute ist das Gelände unbebaut. Wobei es weniger eine Schlacht war, mehr ein Abschlachten, die Bauern hatten keine Chance, etwa 4000 von 5000 von ihnen ließen am 4. April 1525 ihr Leben.
In Leipheim haben sie den Ereignissen vor 500 Jahren ein Museum gewidmet, das einzige bayerische von insgesamt zwölf deutschen Bauernkriegsmuseen. Zum Jubiläumsjahr hat Natascha Mehler, Professorin für Archäologie an der Universität Tübingen, die Funde aus dem Massengrab mit neuen Methoden untersucht – und, wie sie sagt, „die menschlichen Überreste endlich zum Sprechen“ gebracht.

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Wie in vielen Gegenden gärt es Anfang 1525 in Leipheim. Die Freie Reichsstadt Ulm erhöht die Abgaben und erkennt wichtige Privilegien ab. So dürfen Weber nur noch mit einem statt bislang drei Webstühlen arbeiten, vielen Familien entzieht das die Existenzgrundlage. Kein Wunder also, dass die Lehren des Jakob Wehe auf fruchtbaren Boden fallen. „Heute“, sagt Museumschefin Susanne Anwander, „würde man sagen, Wehe war ein Radikaler, ein aufrührerischer Prediger.“ Der Leipheimer Haufen bildet sich, Weber, Bauern, Handwerker aus 114 Orten in einem Umkreis von 50 Kilometern versammeln sich, vom heutigen Neu-Ulm bis kurz vor Augsburg.
Ein 5000 Mann starker Haufen muss irgendwie versorgt werden, also plündern die Bauern, Prediger Wehe ist vorn dabei, er verwaltet die Kriegskasse. Zu ihrem Pech formiert sich das Heer des Schwäbischen Bundes gerade in Ulm, der Adel und der Klerus werden nervös wegen der aufständischen Umtriebe im Land. In Memmingen hat eine Versammlung von Bauern gerade die Zwölf Artikel verabschiedet, mit der für die damalige Zeit ungeheuren Forderung nach Abschaffung der Leibeigenschaft.
Da liegt es nahe abzuschrecken, einen „Erstschlag gegen das schwächste Glied“ nennt Anwander den Feldzug gegen die Leipheimer Aufständischen. Der Haufen gilt als rabiat, aber schlecht versorgt, der Weg von Ulm ist nicht weit. Also marschiert Georg von Waldburg los, mit einem knapp 10 000 Mann starken Heer. Da nützt auch ein Entschuldigungsbrief der Leipheimer an den Schwäbischen Bund nichts mehr.
Im Bauernkriegsmuseum in der „Blauen Ente“, einem mehrere Hundert Jahre alten Gebäude in Leipheim, sind Mistgabeln und Sensen ausgestellt, mehr haben viele der Aufständischen nicht, um zu kämpfen. Fünf leichte Feldgeschütze können sie noch auftreiben, die stellen sie auf am frühen Morgen des 4. April, als sie sich am Biberhaken versammeln, einer markanten Biegung im kleinen Flusslauf mit dem Namen Biber. Wer mit Historiker Simon Paintner-Frei das Schlachtfeld entlang wandert, erkennt schnell, was er meint, wenn er sagt, dass die Bauern einen guten Ort gewählt haben, um das Schwäbische Heer zu empfangen: oben auf einer Anhöhe, rechts die Donau, unten an der Biber sumpfiges Gebiet, schweres Geläuf für die 1500 Mann starke Reiterei der Angreifer. Die Bauern besetzen die einzige Brücke.

Die Verteidiger, sagt Paintner-Frei, hätten ihre Stellung eigentlich länger halten können. Aber Ritter Waldburg ist kampferprobt, und er hat das Gelände auskundschaften lassen. Zunächst lässt er schwere Artillerie donnern, die Bauern versetzt er so in blinde Panik. „Wenn einer wegrennt, löst sich alles auf“, sagt Historiker Paintner-Frei. 5000 Bauern fliehen zurück nach Leipheim, aber die meisten kommen nicht weit. Seine Reiter hat der Heerführer in einem Bogen am sumpfigen Gelände vorbei in den Rücken der Verteidiger geführt. Sie metzeln die Bauern nieder, treiben sie in die Donau, damals ein breiter, mäandernder, ein reißender Fluss – wer es ans andere Ufer schafft, den töten dort postierte Landsknechte.
„Der Truchsess wollte ein Zeichen setzen, dass mit dem Schwäbischen Bund nicht zu spaßen ist“, sagt Paintner-Frei. „Er war kein Monster, er war Berufssoldat und brillanter Stratege“, sagt Museumschefin Anwander. Was in Leipheim geschah, sollte eine Warnung sein für alle anderen Aufrührer, auch deshalb sollte niemand am Leben bleiben. Nur ein paar Hundert Bauern schaffen es nach Leipheim, der Truchsess besetzt die Stadt und lässt die Überlebenden einsperren. Anführer wie der Prediger Jakob Wehe werden hingerichtet. Waldburg lässt die Stadttore aushängen, Leipheim muss bis 1543 alle Waffen abgeben und sogar bis ins Jahr 1802 ein Frevelgeld an die dem Schwäbischen Bund gehorsam gebliebene Nachbargemeinde Nerenstetten entrichten.
1000 Kilometer in vier Monaten marschiert der Truchsess
Die militärische Überlegenheit, die schnelle Niederlage der Aufständischen, dies alles verbreitet sich rasant unter den Haufen in Baden-Württemberg und in Bayern, bis hinauf nach Franken. Die Schlacht von Leipheim nahm vorweg, was folgen sollte: 1000 Kilometer marschiert der Truchsess mit seinem Heer in den kommenden vier Monaten, einen Haufen nach dem anderen besiegt er, ohne nennenswerte Verluste, bis der Bauernkrieg beendet, viele Bauern getötet und der Aufstand niedergeschlagen ist.
Die Stadt Leipheim hat am Biberhaken ein Mahnmal aufgestellt und Gebeine aus dem Massengrab bestatten lassen. Für die Leipheimer sind die Bauern aus dem Grab Helden und es ist auch davon auszugehen, dass dort gefallene Mitglieder des Leipheimer Haufens achtlos übereinandergestapelt in eine Grube geworfen wurden. Schon allein, weil die heutige Tankstelle, der Fundort des Massengrabs, auf direktem Weg zwischen dem Biberhaken und der Stadt liegt, wo die Reiter die Fliehenden niederstreckten. Streng wissenschaftlich betrachtet, sagt Natascha Mehler, könnten die Gebeine aber auch von Kämpfern des Schwäbischen Bundes stammen. „Wir wissen es einfach nicht gesichert.“


Die Professorin für Archäologie hat die Knochen anlässlich des 500-Jahr-Gedenkens neu untersucht. Bereits bei der ersten Analyse in den Neunzigerjahren entdeckten die Archäologen Hiebverletzungen, die schon verheilt waren, was darauf hindeutet, dass Gefallene alte Kampfwunden hatten – also doch erprobte Soldaten, keine Bauern? Eine solche Untersuchung wirft neue Fragen auf, dennoch biete sie „ein kleines Schlüsselloch“, wie Mehler sagt – und in Zusammenhang mit Schriften und anderen Zeugnissen ein großes Bild.
So hat Mehler mit ihrem Team herausgefunden, dass die Toten nicht etwa ausgehungert, sondern wohlgenährt waren, dass Junge und Alte dabei waren, dass sie teils an schweren Krankheiten litten. Einer hatte Syphilis, ein anderer eine weit fortgeschrittene Knochenhautentzündung. „Das geht mit hohem Fieber und heftigen Schmerzen einher, trotzdem hat der Mann offenbar am Kampfgeschehen teilgenommen.“ Hiebe, Stiche, Mehler hat zahlreiche Traumata an Knochen protokolliert. Und bei einem Skelett hat sie den Verdacht bestätigt, dass es sich um eine Frau gehandelt hat. Es war also offenbar nicht nur ein Bauern-, sondern auch ein Bäuerinnenkrieg.