Süddeutsche Zeitung

Agrarpolitik:Die Bauernversteher

Die Landwirte protestieren und alle Parteien üben sich in Anteilnahme. Die AfD will der CSU Stimmen abnehmen, die Regierungsfraktionen fürchten um Wähler - und die Grünen bieten sich als Fürsprecher an.

Von Lisa Schnell

Ein paar AfD-Abgeordnete meinen wohl, nicht richtig gehört zu haben. Sie neigen sich weiter vor, hin zum Rednerpult. Hat er das wirklich gesagt? Hat er: "Ich darf mich bei den Kollegen der AfD bedanken", ließ Leopold Herz von den Freien Wählern das Plenum am Dienstag wissen. Und dann noch CSU-Mann Martin Schöffel: "Ein guter Zeitpunkt" sei das für diese aktuelle Stunde, sagte er in Richtung AfD. Ein Lob an die AfD! Und das von den Regierungsfraktionen.

Das ist eine kleine Sensation im Landtag. Aber es ist nun mal so: Über das Thema, das die AfD am Dienstag auf die Tagesordnung setzte, will derzeit jeder sprechen. Es geht um die bayerische Landwirtschaft. Und damit auch um die Bauern, die seit Wochen mit ihren Traktoren anrollen und Politikern von Kanzlerin Angela Merkel bis Ministerpräsident Markus Söder ihre Plakate unter die Nase halten. "Ohne Bauern keine Zukunft", steht da etwa. So ähnlich sehen das offenbar auch viele Abgeordnete im Landtag, wobei sie dabei wohl eher ihre eigene Zukunft meinen.

Die Bauernschaft ist mit 1,8 Prozent der Erwerbstätigen in Bayern zwar nicht groß. Für CSU und FW aber ist sie eine wichtige Wählergruppe, die sie nicht verlieren wollen. Andere Parteien wittern ihre Chance, die Unzufriedenen auf ihre Seite zu ziehen. So klein die Wählergruppe der Bauern erscheinen mag, so wichtig ist sie derzeit, auch im Kommunalwahlkampf, den wohl ein Konflikt dominieren wird: Stadt gegen Land, Umweltschutz gegen Landwirtschaft. Dafür stehen die Bauernproteste und für die Kritik, die Politik kümmere sich zu wenig um die Interessen der Leute auf dem Land. Laut aktuellem BR-Bayerntrend sehen das fast 70 Prozent der Bayern so. Aus dem Bauernkampf auf den Straßen ist ein Kampf um die Bauern geworden. Am Dienstag war der Landtag die Arena.

Da ist einmal die AfD, die das Thema auf die Tagesordnung setzte. Warum, das machte ihr Redner Ralf Stadler sehr deutlich: "Die CSU lässt die Bauern sterben und die AfD wird die Stimmen erben", sagte er. Es gehört zum Erfolgsrezept der AfD, ihre Wähler unter den Wütenden und Ängstlichen zu suchen. In der Flüchtlingskrise waren es die Ängstlichen, die Bauern gehören eher zu den Wütenden. Redner Gerd Mannes tat am Dienstag sein Bestes, sie in ihrer Wut noch zu bestätigen und diese auf die CSU zu lenken. Es gebe eine "Hetzjagd gegen die Landwirtschaft", einen "Feldzug", an dem sich die CSU aus Opportunismus beteilige. Schon seit einiger Zeit versucht die AfD, die Bauern auf ihre Seite zu ziehen, etwa mit ihrer Verfassungsklage gegen das bei Landwirten unbeliebte Volksbegehren zur Rettung der Bienen. Auf der Großdemo in Nürnberg vergangenen Freitag tauchte sie mit einem Parteifahrzeug auf. Zwei Traktoren fuhren mit Nazi-Bannern auf, die zumindest CSU-Redner Schöffel am Dienstag der AfD zuordnete. Die nutze, so sagte er unter deren lautem Protest, die Bauerndemos "für ihre rechtsextreme Unterwanderung". Bei der vergangenen Landtagswahl wählten mit sieben Prozent unterdurchschnittlich wenig Landwirte die AfD. Einige bei den anderen Parteien haben Angst, dass sich das bei der Kommunalwahl ändern könnte oder aber, dass viele Bauern überhaupt nicht wählen gehen.

Das würde wohl vor allem CSU und FW treffen, die überdurchschnittlich häufig von Landwirten gewählt werden. Bei der CSU waren es 66 Prozent bei der vergangenen Landtagswahl, bei den FW 15 Prozent. Dementsprechend leidenschaftlich fallen die Angriffe auf die AfD aus. Eine "Unverschämtheit" sei es, der CSU Heuchelei vorzuwerfen, sagte Schöffel, und verwies auf die stundenlangen Diskussionen, die Ministerpräsident Markus Söder mit Landwirten führe. Bei einer solchen Demonstration am Montag in Deggendorf zeigte sich allerdings das Dilemma der CSU. Da standen auf der einen Seite von Söder die Landwirte und auf der anderen Seite "Fridays for Future"-Demonstranten. Söder sprach mit beiden Gruppen. Anders als es viele Landwirte vielleicht gewohnt sind, kann sich die CSU nicht mehr hundertprozentig auf ihre Seite schlagen oder wie es am Dienstag Tanja Schorer-Dremel (CSU) sagte: "Die Gesellschaft braucht genauso viel Wertschätzung wie die Landwirtschaft."

Aussöhnend, so kann man vielleicht die Rolle der CSU beschreiben, aufpeitschend eher die der Freien Wähler und deren Chef Hubert Aiwanger. Der hat den Bauern in letzter Zeit einiges versprochen, von dem sich manche bei der CSU fragen, wer das alles einhalten soll. Die Ankündigung eines bayerischen Wirtschaftsministers, er wolle die Düngeverordnung stoppen, sei "anmaßend", sagte Christoph Skutella von der FDP. Ruth Müller von der SPD forderte "weniger Populismus und mehr Ehrlichkeit". Auch die SPD hätte bei den Landwirten noch einiges zu gewinnen, sie bekam 2018 nur ein Prozent der Stimmen der Landwirte. Bei den Grünen waren es fünf Prozent. Ihr Fraktionschef, Ludwig Hartmann, arbeitet daran, dass es mehr werden und bereist gerade einen Nicht-Bio-Bauernhof nach dem anderen. Hartmann sucht Gemeinsamkeiten und auch am Dienstag verzichteten die Redner der Grünen auf Reizwörter wie "Ackergifte". Die Unterschiede aber wurden trotzdem deutlich. Die protestierenden Bauern wünschten sich, dass es einfach so weitergehen solle, nur mit weniger Kontrollen, sagte Gisela Sengl von den Grünen. So gehe das aber nicht. Zum Schluss trat Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) ans Rednerpult. Für die Partei, die so gerne ihre Stimmen "erben" würde, hatte sie kein Lob, sondern einen Spitznamen: "Billige Bauernfänger."

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SZ vom 22.01.2020/fema
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