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Landwirtschaft:Der Bauernstand ist selbst in Bayern nicht mehr das, was er mal war

Das Image eines ganzen Berufsstandes hat in der Diskussion um Tierschutz und Artensterben stark gelitten. Warum sich junge Leute, wie Andreas Lehner, trotzdem für eine Hofübernahme entscheiden.

Von Benedikt Dietsch

Bald wird Andreas Lehner hier für alles verantwortlich sein. Der 26-Jährige spaziert auf dem Familienbetrieb in Richtung Kuhstall. Vorbei an Traktor, Scheune, Wiesen. Ein ganz normaler Hof am Dorfrand, tief in der Oberpfalz, etwa 30 Autominuten von Weiden entfernt In ein paar Jahren will er den Biomilchviehbetrieb seines Vaters übernehmen. "Ich habe lange überlegt, ob ich das machen soll", sagt Lehner.

Schließlich ist der Bauernstand selbst in Bayern nicht mehr das, was er einmal war. "Früher gab es viel mehr Landwirte und jeder wusste aus eigener Erfahrung, wie wir arbeiten", sagt Lehner, ein großer, stämmiger Mann mit dunklem Haar. Ein Typ, der weiß, wie man anpackt. Heute denken viele Büromenschen allenfalls an "Bauer sucht Frau", wenn sie einen Traktor auf der Straße sehen. Da überlegt sich der Bauer von morgen seine Berufswahl schon zweimal. Das schiefe Bild der Landwirtschaft beschränkt sich nicht nur auf RTL-Klischees.

Einige Bauern haben den Eindruck, als würden Sie allenfalls noch als Umweltsünder und Tierquäler wahrgenommen. Das erfolgreiche Volksbegehren "Rettet die Bienen" hat die bayerischen Bauern geradezu schockiert. Selbst Biobauern fühlen sich mit an den Pranger gestellt, sie fürchten zudem, dass die Preise auf dem Bio-Sektor fallen könnten. Als dann die Staatsregierung die Forderungen auch noch gegen den vereinten Widerstand der Landwirte annahm, war klar: Die langjährige Schutzpatronin CSU hält ihre Hand nicht länger über die Landwirtschaft. Doch junge Menschen wie Andreas Lehner wollen trotzdem Landwirt werden. Warum bloß?

Eine Landwirtschaftsschule in Weiden. Hier bereiten Lehner und seine Mitschüler sich auf ihren Beruf vor, die meisten wollen den Hof der Eltern übernehmen. Die Stimmung könnte besser sein, auch hier sind die Nachwirkungen des Volksbegehrens zu spüren. Misstrauen liegt in der Luft gegenüber den Medien. "Der Rückhalt in der Bevölkerung nimmt ab", sagt Johannes Kick, ein junger Milchbauer.

Er klingt dabei nicht wütend, sondern ganz nüchtern. Seine Mitschüler pflichten ihm bei: Abwasserverunreinigung, grausame Tierhaltung, alles werde ihnen in die Schuhe geschoben. "Der Verbraucher will Billigfleisch, aber zugleich auch Tierschutz und möglichst wenig Abgase", sagt Felix Käß, ein Schweinezüchter, und jetzt ist schon etwas Aufregung mit dabei. Die Schüler fühlen sich unverstanden vom Verbraucher. Und blicken mit Sorge in die Zukunft. "Ich spüre eine große Unsicherheit unter den jungen Landwirten", sagt Kick.

Die Sicherheit des Bürojobs ersetzt nicht den Blick über die Oberpfalz

Das liegt nicht nur am Volksbegehren. Wirtschaftliche Sicherheit ist kein Begriff, der auf Werbebroschüren für Jungbauern steht. Die Betriebe werden immer größer, vor allem mittlere Betriebe mit zehn bis 50 Hektar Land sterben. Die Preise für landwirtschaftliche Produkte sind oft zu niedrig, um rentabel zu wirtschaften. Zugleich steigen die qualitativen Anforderungen an die Erzeugnisse.

Zwar haben in Bayern 2017 nur gut ein Prozent der Bauern aufgegeben - bundesweit am wenigsten. Sicherheit bedeutet das noch lange nicht. Den Hof der Eltern zu übernehmen, das sei heutzutage ein "Riesenrisiko", sagt Lehner. Warum er den Weg trotzdem gehen will? Die Antwort liegt auf dem Hof der Lehners zwischen Gülleduft, Vogelgezwitscher und dem Muhen der Kühe. "Ich bin viel an der frischen Luft, kann mir die Arbeit selbst einteilen - und es wird nie langweilig", sagt Lehner.

So simpel es klingen mag: er wird Landwirt, weil er seinen Beruf liebt. Die Sicherheit eines Bürojobs ersetzt nicht den Blick auf die weite Hügellandschaft der Oberpfalz, die sich hinter dem Kuhstall ausdehnt. Kaum ein anderer Job ist so vielseitig wie der eines Bauern: Lehner ist zugleich Mechaniker, Betriebswirt, Landschaftspfleger, Tier- und Pflanzenfachmann und einiges mehr.

Doch Romantik allein brachte ihn nicht dazu, das Risiko einzugehen. Der Schritt war wohlüberlegt. "Die jungen Landwirte prüfen bei uns ihren Betrieb genauestens auf seine Wirtschaftlichkeit", sagt Peter Gach, ein Lehrer Lehners an der Fachschule in Weiden. Am Ende der Ausbildung stünden sie vor der Entscheidung: investieren oder Nebenerwerb. Dazwischen gebe es nichts.

Andreas Lehner hat ein Jahr lang überlegt und sich für die Investition entschieden. Wie viel Geld es genau ist, das er für den neuen Stall hinlegen musste, das will er lieber nicht sagen. Auch die Gesamtfläche des Betriebs will er lieber nicht in der Zeitung lesen. Fest steht aber: Der neue Kuhstall ist so groß wie zwei Einfamilienhäuser und kostet auch ungefähr so viel. Deshalb hat Lehner jetzt auch die Zahl der Milchkühe verdoppelt: 65 Kühe stehen sich im Stall in zwei langen Reihen gegenüber. Gemächlich kauen sie auf dem frischen Gras, das Lehner ihnen am Morgen hingelegt hat.

Auf dem Gang zwischen ihnen fährt ein Roboter und schiebt das Gras in Fressweite. "Das spart Zeit. Ohne solche Maschinen könnten wir das hier gar nicht mehr alleine stemmen", sagt Lehner. Aus dem Grund habe sich die Familie auch einen Melkroboter angeschafft. Der Jungbauer greift in einen Grashaufen am Boden und lässt die Halme durch seine Finger gleiten. "Durch die Dürre letztes Jahr hatten wir Ernteausfälle und somit weniger Futter", sagt er. Zum Glück seien noch Futterreserven dagewesen. "Aber wenn die Dürre dieses Jahr wiederkommt, ist das ein großes Problem."

Die Ausbildungszahlen in Bayern sind stabil

Um Risiken wie dieses aufzufangen, suchen sich viele Bauern ein zweites Einkommen. Laut Agrarbericht des Landwirtschaftsministeriums ist die Zahl der Betriebe mit einem zweiten Standbein deutlich gestiegen. Diese Strategie ist quasi der Gegenpol zur Spezialisierung, die Andreas Lehner vorantreibt. "Mit mehreren Standbeinen lässt sich das Risiko streuen", sagt Matthias Weilhammer. Er besucht die Landwirtschaftsschule in Nabburg, 30 Kilometer südlich von Weiden. Seine Eltern haben neben der Milchwirtschaft weitere Betriebszweige erschlossen. Sie bauen Spargel an und verkaufen Eier und Brot direkt am Hof. Weilhammer könne sich vorstellen, das noch auszuweiten, wenn er den Hof einmal übernimmt, mit einem Café oder einem Laden. Direktvermarktung ist eine Nische mit wenig Platz, aber vielleicht eine Nische, in der sich gut leben lässt.

Trotz all der Unwägbarkeiten: Die Ausbildungszahlen in Bayern sind stabil, auch die Zahl der Landwirtschaftsschüler hat sich kaum verändert. An den Universitäten gibt es sogar fast doppelt so viele Studenten wie noch vor zehn Jahren. "An sich boomt die Industrie", sagt Josef Groß, Leiter der Landwirtschaftsschule in Straubing. "Immer wieder rufen bei uns Betriebe an und fragen, ob von unseren Schülern jemand bei ihnen arbeiten könne." Auf dem Markt bestehe eine große Nachfrage nach ausgebildeten Landwirten. Nur eben als Facharbeiter in großen Betrieben, nicht als Betreiber eines eigenen Hofes.

Auf dem Lehner-Hof in Schlammersdorf dringen Kinderstimmen in den Stall. Eine Familie spaziert vorbei. "Oft kommen die hier rein", sagt Lehner, "ich zeige ihnen dann alles und erkläre ihnen wie das bei uns funktioniert." Für ihn sei das eine der größten Investitionen in die Zukunft - und zudem eine, die nichts kostet. "Wenn ich die Leute überzeugen kann, mein Produkt zu kaufen, habe ich gute Chancen", sagt er. Deshalb lädt er auch Schulklassen auf seinen Bio-Hof ein, manchmal kommt eine Kindergartengruppe. Milchpreis und Klimawandel hat er nicht in der Hand. Aber das Image der Landwirtschaft, da ist er sich sicher, lasse sich verbessern.

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Quelle:
SZ vom 25.06.2019/lfr
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