Cyberkriminalität:Bayern verstärkt Kampf gegen Kinderpornografie

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Von Oktober an soll ein neu geschaffenes Team gegen Straftäter im Internet ermitteln. Justizminister Georg Eisenreich verlangt, dass die Vorratsdatenspeicherung wieder eingeführt wird.

Von Clara Lipkowski, Bamberg

Es sind die hochkomplexen Fälle, die technisch besonders komplizierten, die, bei denen extrem große Datensätze durchforstet werden müssen, und immer geht es um Missbrauch von Kindern im Internet. Solche Fälle landen künftig auf den Schreibtischen von Thomas Goger und seinen Kolleginnen und Kollegen oder viel mehr, auf ihren Computern. Der Oberstaatsanwalt in Bamberg ist von 1. Oktober an offiziell Chef eines neu geschaffenen Ermittlerteams, genannt: "Zentrum zur Bekämpfung von Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch im Internet", oder kurz: ZKI. Es ist angesiedelt in der dortigen Zentralstelle Cybercrime Bayern (ZCB).

Was das Team aus acht Spezialstaatsanwälten und vier Forensikern, unter ihnen insgesamt vier Frauen, zu sehen bekommen, sei "abscheulich", sagte Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) am Mittwoch in Bamberg. Sie müssen Bilder und Videos ansehen, die zeigen, wie Kinder missbraucht werden; oft auch Chatprotokolle, in denen sich Täter austauschen, mitunter Taten ankündigen. "Das ist für Ermittler sehr belastend", sagte Eisenreich, diene aber dem Kampf gegen Internetkriminalität und Schutz der Kinder.

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Tätern technisch nicht nur auf Augenhöhe begegnen, sondern "immer mindestens einen Schritt vorausgehen", sei das Ziel der neuen Spezialeinheit, sagte Generalstaatsanwalt Thomas Janovsky. Welche Teams wie ermitteln, ist in Deutschland je nach Bundesland unterschiedlich. Eisenreich und der neue ZKI-Chef Goger betonten, Staatsanwaltschaft und Polizei arbeiteten in Bayern eng miteinander, zudem sei man in ein internationales Netzwerk eingebunden, man kooperiere etwa mit Interpol und einer niederländischen Forschungsgruppe. Seit Jahrzehnten ist Kinderpornografie durch die Digitalisierung ein globales Problem.

Oft müssen Ermittler umgehend handeln, sobald sie einen Täter überführt haben, auch dafür stocken die Bamberger jetzt ihre Ressourcen auf. In einem Fall arbeiteten deutsche und schweizerische Behörden zusammen, in dem sie einen Mann festnahmen, der kurz davor gewesen sei, ein fünfjähriges Kind zu missbrauchen. "Wären die Kollegen nur eine Minute später gekommen", sagte der Kriminaldirektor des Landeskriminalamts, Mario Huber, hätten sie die Tat wohl nicht verhindert. Datensätze, so der designierte ZKI-Chef Goger, würden sofort geprüft, ob Gefahr im Verzug sei. Im Alltag sei man darauf angewiesen, innerhalb weniger Stunden einen Untersuchungs- oder Haftbefehl zu bekommen, um einschreiten zu können.

Das Team um den Bamberger Oberstaatsanwalt Goger, 44, soll sich künftig auf Betreiber und Nutzer von Foren im Darknet konzentrieren, die kinderpornografisches Material herstellen, posten oder damit handeln. Es ist Teil der ZCB, die 2015 mit zwei Staatsanwälten gegründet wurde, die damals 500 Verfahren bearbeiteten. 2019 sei die Zahl der Verfahren bereits stark gestiegen: auf 14 000, die dann 14 Staatsanwälte bearbeiteten.

Eisenreich betonte, dass sich im Kampf gegen Internetkriminalität in den vergangenen Monaten bereits einiges getan habe. Gesetze dafür werden auf Bundesebene für alle Bundesländer gemacht, darunter auch die gesetzliche Zulassung von "Keuschheitsproben". Verdeckte Ermittler dürfen dafür mit Avataren, also künstlich hergestelltem kinderpornografischem Material, versuchen, das Vertrauen von Tätern im Netz zu gewinnen. So können sie sie überführen oder an Hintermänner gelangen - Plattformbetreiber etwa, die "nur" ein Medium bieten. Doch auch hier müsse nachgebessert werden, sagte Eisenreich. Er fordert einen eigenen Straftatbestand für eben dieses Betreiben von Kinderpornografie-Foren.

Außerdem setzte sich Eisenreich dafür ein, die sogenannte Verkehrsdatenspeicherung (auch Vorratsdatenspeicherung genannt) wiederzubeleben. "Harte Strafen nutzen wenig, wenn Ermittler Verdachtsfällen nicht nachgehen können", sagte er. Gemeint ist, dass Ermittler zwar IP-Adressen von Nutzern einschlägiger Foren erhalten, diese aber niemanden zuordnen, also nicht feststellen dürfen, wer, wann, von welchem Computer aus unterwegs war. Gehe es um konkrete Taten, müsse das aber möglich sein, forderte er, zeitlich und auf schwere Fälle begrenzt. Er appellierte an Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), für einen entsprechenden Vorstoß auf europäischer Ebene die derzeitige deutsche Ratspräsidentschaft zu nutzen. "Ausdrücklich" begrüßte er den Gesetzesentwurf der Ministerin von dieser Woche, wonach sexueller Missbrauch von Kindern zu einem Verbrechen hochgestuft werden soll.

Die Bamberger Ermittler der ZCB gaben außerdem Einblicke in die weiteren Ermittlungen rund um den Würzburger Logopäden Oliver H. Der Mann hatte in mehr als 60 Fällen Kinder missbraucht und im Darknet Taten verbreitet. Im Mai wurde er zu einer langen Haftstrafe und lebenslangem Berufsverbot verurteilt, das Urteil ist seit dieser Woche rechtskräftig. Die Ermittler des LKA und der ZCB analysierten in eineinhalb Jahren rund 55 Terrabyte Datensatz, darin enthalten laut Kriminaldirektor Huber rund 500 000 Bilder und Videos sowie etliche Chatprotokolle. 44 weitere Täter aus der Szene konnten so gefasst werden, unter ihnen auch der Täter aus der Schweiz und eine Gruppe verurteilter Pädophiler, die aus einem Wiener Gefängnis heraus eine Kinderporno-Plattform betrieben hatten.

© SZ vom 03.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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