Ein Balkon, irgendwo in Bayern. Genauer: mein Balkon. Noch genauer: mein Balkon – und neuerdings auch der von Fred. So hat meine Familie das rote Eichhörnchen genannt. Eigentlich begann die Beziehung zwischen uns und Fred ganz wunderbar. Anfang des Jahres tauchte er fast jeden Tag auf. Immer morgens zur gleichen Zeit. In jeden nicht winterfest gemachten Pflanzentopf grub er Walnüsse ein. Woher er die bekommen hat, bleibt uns ein Rätsel. An windigen Tagen verkroch sich Fred in meiner alten, schweren THW-Decke, die immer draußen liegt, weil sie müffelt.
Freds Besuche wurden für meine kleine Tochter zu einem morgendlichen Happening. Sie stand (früh)morgens auf – und ihr erster Weg führte unbeirrbar zur Balkontür zu Fred. Manchmal wartete sie dort eine Viertelstunde lang, um Fred zu sehen. Wenn er dann kam, sah er meine Tochter einfach nur an, die völlig fasziniert war von dem Eichhörnchen. Herrlich, dachte ich mir, so muss die Beziehung zwischen Mensch und Tier sein! Unschuldig. Harmonisch. Freundschaftlich. Ha! Welch ein naiver, großstädtisch-überromantisierter Irrglaube das war!

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Fred entpuppte sich nämlich als ziemlich dreister Dieb. Seit Wochen klaut er alles, was nicht sehr schwer oder festgeschraubt ist. Die Erdbeeren meiner Tochter beispielsweise. Meistens aber meine Gartenhandschuhe. Die bringt er dann ein Stockwerk höher, auf den Balkon unseres Nachbarn Herrn L. Das ist mittlerweile schon so oft passiert, dass Herr L. die Handschuhe nur noch wortlos vor unsere Tür legt. Neulich saß ich abends auf dem Balkon und war in die Arbeit vertieft. Plötzlich stand Fred vor mir. Er kam gerade vom Stockwerk unter uns und hatte etwas in seinen Pfoten, das aussah wie ein altes Handy. Vielleicht war es aber auch nur eine schwarze Plastikabdeckung. Jedenfalls sah er mich ungefähr eine Minute an, das Diebesgut fest im Griff. Dann schleppte er es weiter nach oben zu Herrn L.

Dabei hätte ich es ahnen können. Schon vor Wochen beobachtete ich, wie meine Nachbarin mit dem Besen versuchte, Fred von ihrem Balkon fernzuhalten. Der ließ sich erstaunlicherweise weder von dem Besen noch von ihren derben Flüchen beeindrucken. Damals dachte ich noch: ein Fall für den Tierschutz. Heute weiß ich: Die Nachbarin wusste mehr als ich. Vielleicht hat Fred die Walnüsse, die er bei uns immer verbuddelte, auch einfach in einem Supermarkt gestohlen.